Islamwissenschaften: Glaube gegen Wissenschaft

Gläubige Muslime, die Islamwissenschaften studieren, müssen sich auch kritisch mit dem Koran auseinander setzen. Kommt es dadurch zu einer Kontroverse zwischen dem eigenen Glauben und der Wissenschaft? Die Meinungen gehen auseinander.
Von PRO

"Die Zeit" schreibt, dass bei gläubigen Muslimen die Kluft zwischen Vorstellung und Wirklichkeit des Studiengangs der Islamwissenschaften oft besonders groß ist. Sie berichtet von Studienanfängern, die sich über kritische Koranauslegung beschweren und protestierend die Seminare verlassen. Ein anderer Student der Freien Universität Berlin habe verlangt, dass der Arabischunterricht allein auf Grundlage des Korans gehalten werden solle.

Anders erlebt dies Marco Schöller, Professor der Islamwissenschaften an der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster. "Natürlich gibt es Rückfragen und auch Diskussionen. Aber in meinen Erfahrungen aus 15 Jahren Uni ist das noch nie ausgeartet in irgendwelchen Beschimpfungen." Er hat jedoch bereits erlebt, dass sich arabische Seminarteilnehmer als Araber angegriffen gefühlt haben. "Wenn wir über Zustände der heutigen arabischen Welt reden, zum Beispiel wie es an den dortigen Unis aussieht, dass die Bibliotheken oft nicht funktionieren und dass die Araber größtenteils nicht in der Lage sind, ihr eigenes kulturelles Erbe würdig zu bewahren oder das selbst zu erforschen, dann wird uns das schon manchmal als eine kolonialistische Sichtweise ausgelegt oder auch, dass wir die Araber schlecht machen wollen", sagte der Professor gegenüber pro.

Perspektive auf den Koran: Innensicht versus Außensicht

In seinen Seminaren zu Koranübersetzung kommt es auch vor, dass muslimische Studenten den Koran aus der Innenperspektive und mit islamischem Verständnis interpretieren. "Wir haben über Stellen im Koran gesprochen, wo der Prophet Mohammed erwähnt wird. In den Versen haben wir festgestellt, dass der Wortlaut gar nicht deutlich sagt, dass es da um Mohammed geht", erklärte Schöller. Die Außensicht befasst sich mit dem Text an sich, der offen lässt, ob es um Mohammed gehe. Laut dem Professor habe die zum Teil auftretende Innensicht von Muslimen auch einen Nutzwert für nicht-muslimische Studenten. Sie würden so auf verschiedene Sichtweisen vorbereitet.

Die Studiengang Islamwissenschaften in Münster ist ein nicht-konfessioneller Studiengang. "Die Studenten wissen, worauf sie sich einlassen – zumindest nach dem ersten Semester. Probleme gab es bisher eher in Studiengängen, die konfessionell ausgerichtet sind", erklärte der Professor. Diese Studiengänge gibt es seit einiger Zeit beispielsweise in Osnabrück, Frankfurt, Erlangen und Münster. Sie sind teilweise noch im Aufbau. Im Laufe dieses Jahres soll es an der WWU Münster die ersten Lehrstühle für islamische Theologie aus konfessioneller Sicht geben.

Jeder hat sein eigenes Blickfeld

Laut Schöller studieren den Studiengang Islamwissenschaften Personen verschiedener Religionen und Herkunft, und das sei eine Bereicherung für die Lehre. "Jeder hat sein Blickfeld. Es haben ja nicht nur die Muslime ein bestimmtes Blickfeld, sondern auch Nicht-Muslime, die in Deutschland aufgewachsen sind."

"Die Islamwissenschaft profitiert von der derzeitigen generellen Aufmerksamkeit", stellt Schöller fest. In den letzten 20 Jahren habe sich das Publikum geändert. Mitte der 1980er und 90er Jahre war der Zulauf von Studenten mit nichtdeutschem Familienhintergrund noch geringer. Bei Studenten mit nichtdeutschem Familienhintergrund haben, laut Schöller, 90 Prozent einen orientalischen Hintergrund. (pro)

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