Als Geert Wilders vor zwei Jahren seinen islamkritischen Film "Fitna" veröffentlichte, befürchteten zahlreiche Beobachter erneut ein Losbrechen islamischen Hasses in der ganzen Welt – ähnlich den Reaktionen auf die Mohammed-Karikaturen 2005 in Dänemark. Die Reaktionen fielen schwächer aus, doch die Niederlande sind seitdem in großer Aufruhr. Nun soll vor Gericht geklärt werden, ob ein Politiker in dem Staat behaupten darf, der Islam sei faschistisch, oder ob dies "Diskriminierung, Aufstachelung zum Hass und Beleidigung einer Menschengruppe" ist. Wegen dieser Vergehen steht Wilders nämlich vor Gericht.
Der Koran sei "kein altes, verstaubtes Buch" sondern "Anleitung und Inspirationsquelle für Intoleranz, Mord und Terror", sagt Wilders seit einigen Jahren und vergleicht ihn mit Hitlers "Mein Kampf". Davor müsse er warnen, zu diesem Zweck veröffentlichte er auch im März 2008 einen 17-minütigen Film. Darin wechseln sich Bilder von islamistischen Terroranschlägen der vergangenen Jahre mit Koran-Zitaten ab. "Die Ungläubigen sollen im Feuer verbrennen", wird etwa aus dem Koran zitiert. Aufnahmen zeigen Imame in Moscheen, die Schwerter zücken, zum Mord an Juden und allen Nicht-Muslimen aufrufen. Kinder werden gezeigt, die schon im Alter von drei Jahren Juden als "Affen und Schweine" beschimpfen.
Holländische Menschenrechtsgruppen und muslimische Organisationen klagten Wilders vor Gericht an. Die Staatsanwaltschaft in Den Haag prüfte die Vorwürfe und analysierte Wilders‘ Reden und seinen Film. Im Juli 2008 kam die Staatsanwaltschaft dann zu dem Schluss, dass Wilders islamkritische Äußerungen zu einer "öffentlichen Debatte" gehörten, die durchaus "verletzend oder schockierend" wirken könnten, "aber damit noch nicht gleich strafbar" seien. Gegen Wilders sollte deswegen kein Verfahren eingeleitet werden.
Daraufhin riefen die Kläger die übergeordnete Justizstelle an. Das oberste Gericht in Amsterdam wiederum entschied im Januar 2009, die Staatsanwaltschaft müsse nun doch gegen Wilders ermitteln. Wilders zeigte sich damals enttäuscht und sprach von einem "schwarzen Tag für die Meinungsfreiheit". Einen Monat später erhielt er einen erneuten Schlag ins Gesicht: Die britischen Sicherheitsbehörden verweigerten dem niederländischen Parlamentarier die Einreise, die Begründung der Regierung in London: Wilders stelle eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar.
"Rechtspopulist" oder liberaler Warner?
Wilders gründete vor den Wahlen von 2006 die "Partij voor de Vrijheid" ("Partei für die Freiheit"). Sie erreichte bei den Europawahlen 2009 nur einen Sitz weniger als die Christdemokraten und ist damit zweitstärkste politische Kraft in den Niederlanden. Umfragen zeigen: der Rückhalt im Volk wächst stetig, die Partei liegt in den Umfragen auf Platz eins – vor den Christ- und den Sozialdemokraten. Neun Abgeordnete der Freiheitspartei sitzen mittlerweile im Parlament. Die Richtung ist weitestgehend liberal, doch die deutschen Medien haben sich auf den Begriff "Rechtspopulist" für Wilders geeinigt.
Am 20. Januar dieses Jahres begann vor einem Amsterdamer Gericht der Prozess gegen Wilders. Für den Beobachter Henryk M. Broder wirft er die zentrale Frage auf: "Warum sollte eine demokratische Gesellschaft eine Meinung bestrafen?"
Wilders wird seit Jahren beschützt, zwei Leibwächter begleiten ihn überall hin. Der "Spiegel" stellt fest: "Wilders ist neben der rechten Abgeordneten Rita Verdonk der einzige Abgeordnete des niederländischen Parlaments, der aus Sicherheitsgründen keinen festen Wohnsitz hat, zumindest keinen, der im Handbuch des Parlamentes angegeben wird." Broder ist der Meinung: "Schon vor dem ersten Prozesstag haben die Medien ihr Urteil gesprochen: schuldig im Sinne der Anklage."
Meinungsäußerung oder Aufhetzung?
Wilders Anwalt, Abraham Moszkowicz, kritisiert, dass der Prozess gegen Wilders überhaupt eröffnet wurde und nennt es einen "Skandal": "Dieses Verfahren hätte nie eröffnet werden dürfen. Wenn nicht einmal ein frei gewählter Abgeordneter seine Meinung äußern darf, wer dann?" Wilders Immunität als Abgeordneter wurde aufgehoben. Broder erklärt: "Wenn er sich allerdings darauf beschränkt hätte, seine islamkritischen Ansichten im Parlament zu verbreiten, hätte er dies im Schutze seiner Immunität tun dürfen." Weil er es aber auch außerhalb des Hohen Hauses tat, sei er wegen Volksverhetzung angezeigt worden.
Anwalt Moszkowicz hatte 18 Zeugen benannt, die Wilders Ansicht bestätigen sollten, dass der Islam eine gefährliche, gewaltaffine und intolerante Ideologie sei. "Auf der Liste der Zeugen standen Historiker, Islamkundler, Ex-Muslime und Überzeugungstäter wie der Mörder des Filmemachers Theo van Gogh, Mohammed Bouyeri, der auch nach seiner Verurteilung zu ‚lebenslänglich‘ keine Spur von Reue zeigt", schreibt Broder. Bouyeris Aussage sollte den Richtern deutlich machen, dass der Koran, wörtlich genommen, eine "Anleitung zur Gewalt" ist.
Doch die Richter wollten Bouyeri nicht anhören, vermutlich, so Broder, weil sie "den Krawall vermeiden wollten, der mit seinem Erscheinen vor Gericht verbunden gewesen wäre". Nur drei der vorgeschlagenen Zeugen ließ das Gericht zu. Und sie werden auch nur von einem Untersuchungsrichter hinter verschlossenen Türen angehört, ihre Aussagen werden danach dem Gericht als schriftliche Zusammenfassung vorgelegt. Laut Broder wundern sich angereiste Prozess-Beobachter: "Geht es in dem Verfahren um ein Delikt? Oder um eine Demonstration, dass Holland seine Beziehungen zur islamischen Welt nicht unnötig strapazieren möchte? Wer bedroht wen? Wie viele islamische Hassprediger, die zur Gewalt aufrufen, habt ihr bis jetzt vor Gericht gestellt?"
Das Verfahren werde sich eine Weile hinziehen, ein Jahr oder auch länger. Wilders drohen im Fall einer Verurteilung maximal zwei Jahre Haft. Doch er und sein Anwalt sind bereit, bis vor das Oberste Gericht der Niederlande zu gehen und danach notfalls auch vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Wilders besteht darauf: Alles, was er über den Islam und den Koran gesagt habe, sei erstens wahr und zweitens vom Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt.
Doch sein Anwalt ist der Meinung, dass es gar nicht darum gehe, ob er Recht oder Unrecht habe, sondern darum, ob sein Mandant mit seiner Meinungsäußerung gegen irgendein Gesetz verstoßen habe. Und das sei "einfach nicht der Fall". Über die Behauptung, der Islam sei eine "Religion des Friedens" könne man ebenso geteilter Ansicht sein wie über einen Vergleich des Koran mit "Mein Kampf". "Aber sind die, die sagen, dass der Islam eine Religion des Friedens sei, schon mal vor ein Gericht gestellt worden, obwohl sich jeder Zeitungsleser täglich vom Gegenteil überzeugen kann?", fragt Moszkowicz. Allein die Tatsache, dass Wilders rund um die Uhr bewacht werden muss, während seine Gegner frei agieren können, ohne um ihr Leben fürchten zu müssen, sei schon anschaulich genug. "Nicht die Islamisten leben gefährlich, sondern diejenigen, die sich mit dem friedliebenden Islam anlegen", so der Anwalt. (pro)