Islamist siegt in Ägypten – Westen gratuliert

Der Islamist Mohammed Mursi ist Ägyptens neuer Präsident. Er hat sich am Wochenende mit knapp 52 Prozent der Stimmen gegen den ehemaligen ägyptischen Regierungschef Ahmed Schafik durchgesetzt. Der Westen beobachtet die Entwicklung mit vorsichtiger Freude.
Von PRO

13,2 Millionen Stimmen reichten aus, um Mohammed Mursi zum neuen Präsidenten Ägyptens zu machen. Am Sonntagnachmittag hatte die Wahlkommission das endgültige Ergebnis der Stichwahl vor einer Woche bekannt gegeben: Mursis Kontrahent Schafik erreichte demnach 12,3 Millionen Stimmen der 50 Millionen Wahlberechtigten. Mursi siegte denkbar knapp, mit 51,7 Prozent.

Wie die "Süddeutsche Zeitung" (SZ) berichtet, wandte sich der neue Präsident in seiner ersten Rede unter anderem an die internationale Gemeinschaft. In einer "Botschaft des Friedens" kündigte er die Achtung aller internationalen Abkommen an. In der Rede versprach Mursi auch, der Präsident aller Ägypter sein zu wollen. Zu der von ihm angestrebten Außenpolitik sagte er: "Wir werden uns um sehr ausgewogene Beziehungen zu allen internationalen Faktoren bemühen, auf der Grundlage gemeinsamer Interessen und wechselseitigen Respekts", zitiert ihn die "Deutsche Presse-Agentur" (dpa).

Kein Mitglied der Muslimbrüder mehr

Sein Sprecher hatte zudem bereits am Sonntag verkündet, der Wahlsieg werde zu keiner Dominanz der Religion führen. Wie um das zu bestätigen, hat die Muslimbruderschaft, der Mursi bisher angehörte, seine Mitgliedschaft am Montag für beendet erklärt. Dies gelte auch für das Verhältnis des gewählten Präsidenten zu der von der Bruderschaft gegründeten Partei "Freiheit und Gerechtigkeit", sagte der Generalsekretär der Muslimbruderschaft, Mahmud Hussein, nach ägyptischen Medienberichten vom Montag. Bereits am Sonntag hatte Mursi formell auf den Vorsitz in der FJP verzichtet.

Vor allem Israel hofft nun auf eine stabile Zusammenarbeit beider Länder. Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu erklärte, er hoffe, dass Ägypten nach der Wahl Mursis am Friedensvertrag mit Israel von 1979 festhalten werde, wie die SZ schreibt. Doch Mursi strebt auch engere Beziehungen zu Iran an. In einem am Montag veröffentlichten Interview der staatlichen iranischen Nachrichtenagentur "Fars" sagte das Staatsoberhaupt, er wolle die Beziehungen zur Islamischen Republik ausweiten, um ein strategisches Gleichgewicht in der Region zu schaffen. Mursi hat diesen Bericht mittlerweile als falsch zurückgewiesen. Er entbehre jeder Grundlage. Er habe "Fars" kein Interview gegeben, zitiert ihn der "Deutschlandfunk".

"Wichtige Etappe im demokratischen Übergang"

International wurde die Wahl Mursis sowohl von westlichen, als auch von arabischen Staaten begrüßt. Die USA bezeichneten sie als Meilenstein auf dem Weg Ägyptens zur Demokratie. UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon äußerte die Hoffnung, dass Mursi "keine Mühen dabei scheuen wird, sicherzustellen, dass das Volk Ägyptens seine Hoffnungen auf mehr Demokratie verwirklicht", wie UN-Sprecher Martin Nesirky laut SZ mitteilte. Die Außenbeauftragte der EU, Catherine Ashton, erklärte, die Wahl Mursis sei "eine wichtige Etappe im demokratischen Übergang Ägyptens und ein historischer Augenblick für das Land und die Region". Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und der deutsche Außenminister Guido Westerwelle gratulierten. Im arabischen Raum kamen Glückwünsche unter anderem von der islamistischen Hamas im Gazastreifen.

Auch das amtierende Oberhaupt der koptischen Kirche, Bischof Pachomius, gratulierte Presseberichten zufolge. Ein Großteil der Kopten in Ägypten hatte allerdings für Schafik gestimmt. Viele begründeten dies mit der Sorge, dass unter der Präsidentschaft eines Repräsentanten der konservativ-islamischen Muslimbruderschaft die Rechte der Christen eingeschränkt und Kopten stärker diskriminiert werden könnten. "Die Regeln der Demokratie verlangen, dass wir das Wahlergebnis anerkennen", zitiert der "Evangelische Presse-Dienst" (epd) den Unternehmer und Politiker Naguib Sawiris, der als einer der einflussreichsten Christen in Ägypten gilt. "Wir gratulieren Mursi zu seinem Sieg und beten zu Gott, dass er tatsächlich als Präsident aller Ägypter dienen wird und dass er die Bürgerrechte hochhalten wird", sagte er weiter.

Kritiker sehen Mursi als machtlosen Präsidenten. Derzeit hat der Präsident ohne Zustimmung des Militärrates keinen Zugriff auf die Streitkräfte. Die das Militär betreffenden Personal- und Finanzentscheidungen sind ihm vollkommen entzogen. Am 30. Juni wollen die Generäle die Staatsmacht an Mursi und eine von ihm ernannte Regierung übergeben. Doch kurz vor der Stichwahl hatte das Verfassungsgericht das Parlament aufgelöst. Der Militärrat hatte daraufhin die Gesetzgebungskompetenz und die Budgethoheit an sich gezogen. Das amerikanische Magazin "Time" zitiert dazu den Politikwissenschaftler Joshua Stacher: Derzeit sei der Militärrat so etwas wie der König Ägyptens. Er habe exekutive und legislative Macht, während ein Scheitern politischer Aktionen, etwa eine Verschlechterung der Wirtschaftslage, Mursi angelastet würde.

Mursi in der Zwickmühle

Entsprechend skeptisch lesen sich auch die Kommentare zur Wahl in großen deutschen Tageszeitungen: Die "Tageszeitung" (taz) fasst zusammen: "Es gibt für Ägypten mit dem Wahlsieg der Muslimbrüder zwei Szenarien. Das pakistanische: die Zusammenarbeit zwischen Militärs und Islamisten. Oder das algerische: eine Konfrontation zwischen Militärs und Islamisten, die Letztere nicht gewinnen können. Beide Szenarien sind für das Land am Nil denkbar schlecht." Mursi stecke in der Zwickmühle. Alles deute darauf hin, dass er versuchen wird, die Militärs nicht direkt vor den Kopf zu stoßen und gleichzeitig ein Bündnis mit anderen politischen Gruppierungen zu schmieden. "Der Muslimbruder braucht die anderen politischen Strömungen von liberal bis links, und das ist die beste Garantie gegen islamistische Staatsexperimente."

In der Berliner "Morgenpost" heißt es: "Leider ist auch vorhersehbar, dass die Hoffnungen der Ägypter enttäuscht werden: Das Versprechen von Wohlstand und Ordnung, das die Generäle repräsentieren, wird in Abwesenheit bürgerlicher Rechte auf Dauer scheitern. Und die islamistische Version von Gerechtigkeit wird sich als Farce erweisen, weil sie die Freiheit des Einzelnen missachtet. Doch es wird Zeit und Opfer kosten, bis die kämpfenden Lager einander entlarvt haben." In der SZ heißt es: "Es liegt eine gewisse Ironie darin, dass die Muslimbrüder nach ihrer erbärmlichen Vorstellung im Parlament nun bei der Präsidentenwahl triumphierten – mit den Stimmen von nur 13 der 50 Millionen Wahlberechtigten. Im Taumel der Möglichkeiten haben sie übersehen, dass sich nicht alle, die ihnen nun ihre Stimme gegeben haben, ein Teheran, ein Riad wünschen. Der Abscheu vor dem Mubarak-Mann Schafik hat ihnen auch jene in die Arme getrieben, die einen Gottesstaat ablehnen." (pro)

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