Der Historiker Michael Wolffsohn beklagt Zerrbilder in der gegenseitigen Wahrnehmung von Christen und Muslimen. Ursache sind für ihn viele Klischees, Legenden und „Toleranz-Kranke“ auf beiden Seiten.
Muslmie und Christen liegen gar nicht so weit auseinander, meint der Historiker und Pubilizist Michael Wolffsohn
Oft würden ohne Kenntnis Legenden als Tatsachen verkauft, schreibt Wolffsohn in einem Beitrag für die Tageszeitung Die Welt. Es gebe weder „die Christen“, noch „die Muslime“, beide Gruppen seien vielschichtiger.Es gebe viele Auseinandersetzungen zwischen Orient und Okzident. Eine „Einheitsfront“ von Christen und Juden gegen Muslime sieht der Autor nicht. Im Mittelalter hätten Christen gemeinsam mit Muslimen gegen andere Christen gekämpft. Als Napoleon die islamische Welt eroberte, habe damit die Befreiung der islamischen Araber vom islamisch-osmanischen Joch begonnen. Das „Muslimschlachten“ auf dem Balkan in den 90er Jahren sei von den USA beendet worden. „Ebenso mit geringer Hilfe Deutschlands verdankten die Kosovo-Albaner 1999 ihr Überleben dem Westen“, erinnert Wolffsohn. Aktuell rette der Westen die Muslime vor „den sunnitischen Killern“ des Islamischen Staates.
Wolffsohn widerspricht der These, der Islam sei militant antichristlich und antijüdisch. Der Koran gebe zwar zum Teil solche Inhalte wieder. Zugleich gebe es neben der Militanz aber auch große Phasen der Toleranz.
„Uminterpretationen ins Sanfte“
Wolffsohn freut sich darüber, dass es im Islam auch „fundamentale Uminterpretationen ins Sanfte“ gibt. Zwar ändere keine Rhetorik die Tatsache, dass mit „Dschihad“ eindeutig Krieg gemeint sei. Aus dem „Ur-Dschihad“ könne aber ein „Dschihad für Demokratie, Freiheit und Frauenrechte“ werden. Die islamischen Reformer seien eine Minderheit, „aber auch die christliche Welt brauchte Zeit und Blut für Toleranz“. Für Reform-Muslime sei eine Umformung des Wortwörtlichen zur Toleranz kein Problem. „Doch der etablierte Islam ist noch lange nicht so weit“, schränkt er ein.
Eine Legende sei auch, dass beide Seiten – Juden und Christen sowie der Islam – die Kultur des Anderen verachteten. Goethe habe das Islamische bewundert und literarisch umgesetzt. Auch jüdische Forscher und Literaten hätten den Islam mit Respekt behandelt. „Es gibt ähnlich respektvolle Stimmen in der Islamischen Welt gegenüber Juden- und Christentum. Sie sind noch leise, es gibt sie.“
Als Legende bezeichnet Wolffsohn auch, dass sich die muslimische Minderheit im Westen selbst aufgeben und anpassen müsse. Anpassung bedeute keine Selbstaufgabe. So hätten sich muslimische Spieler der deutschen Fußball-Weltmeister geweigert, die Nationalhymne zu singen, kickten trotzdem auf dem „Feld der Ehre“ für Deutschland und würden von Deutschen dankbar bejubelt.
Der Historiker und Publizist lehrte bis 2012 an der Universität der Bundeswehr München Neuere Geschichte. Wolffsohn ist der Sohn einer 1939 nach Palästina geflüchteten jüdischen Kaufmannsfamilie. 1991 hat er die Forschungsstelle Deutsch-Jüdische Zeitgeschichte gegründet. Wolffsohn ist Autor zahlreicher Bücher und schreibt für mehrere Zeitungen im In- und Ausland. Eines seiner bekanntesten Bücher ist „Wem gehört das Heilige Land“, das 20014 in 11. Auflage erschienen ist. Im April 2015 soll das Buch „Zum Weltfrieden“ erscheinen. (pro)
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