„Islamisches Experiment“ hat begonnen

Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) hat diese Woche das "Zentrum für islamische Theologie" in Tübingen eröffnet. Damit nimmt die erste von vier islamisch-theologischen Einrichtungen an deutschen Universitäten ihre Arbeit auf. Einige Experten befürchten einen unkritischen Umgang mit dem Islam, andere sehen darin eine Chance.
Von PRO

Schavan lobte das Tübinger Islam-Zentrum bei der offiziellen Eröffnung als "Meilenstein für die Integration". Das Zentrum biete "die große Chance, auch den Dialog mit den christlichen Religionen zu fördern. Glaube muss gedacht werden. Religion braucht Klärung und Aufklärung", so die Ministerin. Glauben ohne zu denken, könne schnell in eine falsche Richtung führen.

Gegenwärtig sind am Islam-Zentrum 36 Studenten eingeschrieben, davon 23 Frauen. Auch Christen gehören zu den Studenten. "Das Studium ist nicht konfessionsgebunden, sondern offen für alle", sagte der Leiter des Zentrums, Omar Hamdan, der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Noch in diesem Jahr sollen drei weitere islamisch-theologische Fakultäten ihre Arbeit aufnehmen an den Doppelstandorten Nürnberg-Erlangen, Frankfurt/Gießen und Münster/Osnabrück. Eine Akademisierung des Islam und damit ein kritischer Umgang mit seinem Grundtext ist in Deutschland unaufhaltsam im Kommen.

Bildung im Dienste der Integration

Das Ziel dieser Bildungsoffensive ist es, bekenntnisorientierte islamische Fakultäten an den Universitäten einzurichten. Bislang wurde der Islam nur "von außen" im Rahmen der Religionswissenschaften oder der Orientkunde behandelt. Nun aber sollen gläubige Muslime eine hochwertige Ausbildung erhalten, um als Sozialarbeiter oder als Religionsgelehrte in Schulen, Moscheen oder an Universitäten zu arbeiten. Und natürlich wird es auch darum gehen, am Islam und den dazugehörigen Quellen zu forschen.

Die Neuentwicklung in der akademischen Landschaft Deutschlands trägt vor allem der Tatsache Rechnung, dass in Deutschland etwa vier Millionen Muslime leben. Über die Hälfte davon sind türkischstämmig. Muslime bilden nach den beiden Konfessionen des Christentums die – mit großem Abstand – drittgrößte Religionsgemeinschaft in Deutschland. Daher, so verlautete es aus dem Bundesbildungsministerium, hätten sie im Sinne einer "zeitgemäßen Integrationspolitik" Anspruch auf religiöse Bildung für ihre Kinder, so wie es den schulischen Religionsunterricht für Christen gibt.

Wie unabhängig wird die Islamforschung sein?

Befassen sich künftig gläubige Muslime an deutschen Universitäten mit dem Islam, werden sie nicht umhin kommen, den gleichen kritischen Umgang mit ihrem Glauben zu lernen, wie es Christen bereits getan und auch ausgehalten haben. Freiheit der Forschung und historisch-kritische Exegese des Korans müssen die Signaturen eines akademischen Islams in Deutschland sein. "Wir wollen mit der großen Erfahrung, die wir an deutschen Universitäten mit der Theologie haben, auch einen Beitrag zur Weiterentwicklung der islamischen Theologie leisten", betonte Schavan.

Allerdings befürchten Kritiker wie Friedman Eißler, Islam-Experte der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Berlin, dass sich an deutschen Universitäten eine "unkritische islamische Theologie" etabliert. Der islamischen Theologie gehe ein "gewisses Wissenschaftsverständnis" ab, "wenn sie den Koran sozusagen über die Geschichte hebt und als absolut gegebenes Wort Gottes betrachtet".

Hinzu kommt der Umstand, dass es Muslimen vorbehalten ist, durch "Beiräte" Einfluss auf die Besetzung der Lehrstühle zu nehmen. Da die "Beiräte" jedoch meist von konservativen Verbänden kommen, wird die Befürchtung laut, dies schränke die akademische Freiheit ein. "Dadurch kann es dazu kommen, dass etwa in der Auslegung des Korans bestimmte Maximen eingehalten werden sollen, die westlichen Wissenschaftsstandards widersprechen", befürchtet Eißler. Bedenkenswert ist außerdem der Umstand, dass der Verband "Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion", der etwa in Tübingen das größte Mitspracherecht besitzt, unter der direkten Kontrolle des türkischen Staates steht.

Der Sprecher des Koordinationsrates der Muslime in Deutschland, Bekir Alboga, forderte, als nächster Schritt müssten die Muslime nun auch juristisch als Religionsgemeinschaft anerkannt werden. "In Deutschland herrscht ein sehr negatives Bild vom Islam und Muslimen", sagte er. Das sei auch eine Folge davon, dass den Muslimen die juristische Anerkennung verweigert werde. (pro)

Die ungekürzte Fassung des Beitrags "Das islamische Experiment" lesen Sie in der aktuellen Ausgabe des Christlichen Medienmagazins pro. Die Zeitschrift kann kostenlos unter 06441/915151 oder per E-Mail an info@kep.de bestellt werden.

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