Islam-Debatte: Wer wird Reformator?

"Die Kirche muss immer verändert und erneuert werden". So lautet eine der wichtigsten Hinterlassenschaften des deutschen Reformators Martin Luther. Weil sich auch in der islamischen Welt und Theologie aktuell vieles verändert und neu diskutiert wird, fordern Muslime, dass auch der Islam "endlich eine Reformation, einen Luther" brauche. Die Kritiklust der Reformer ist groß.
Von PRO

Wer die Rolle eines Reformators übernehmen kann und ob die
Islamkritiker zur Erneuerung des Islam taugen, hat "Welt"-Autor
Till-Reimer Stoldt in einem aktuellen Beitrag untersucht. Aus Sicht des
Journalisten mutiere die Suche nach einem Reformer "allmählich zu einem
Gesellschaftsspiel", das Gefahr laufe, an Glaubwürdigkeit zu verlieren.
Gehandelt werden viele Namen: Eine Anwärterin auf den "Titel" könnte Necla Kelek sein. Die Soziologin hatte in der Vergangenheit viele Missstände im Islam aufgedeckt, mit denen andere nur zögerlich umgegangen sind. Ihr Manko: Sie galt lange Jahre als Ex-Muslima und Atheistin. Bis vor drei Jahren war sie sogar im Beirat der atheistischen Giordano-Bruno-Stiftung, die den Zentralrat der Ex-Muslime mitgründete. Stoldt fragt zudem, ob eine Frau, die einen kritikresistenten und mit einer offenen Gesellschaft unverträglichen Islam sieht, auch die nötige Überzeugungskraft bei "Gläubigen, denen sie kollektiv Sodomie unterstellt", besitzt.

Radikalkritiker und Rammbock-Rhetoriker

Ein Berliner Monatsmagazin hatte die kanadische Publizistin Irshad Manji ins Spiel gebracht und zum "Luther des Islam" erhoben. Allerdings komme zu ihrer fehlenden theologischen Ausbildung ihr Bekenntnis zur eigenen Homosexualität. Genannt wird auch der ehemalige Ausbilder muslimischer Religionslehrer an der Universität Münster, Muhammad Sven Kalisch. Für Stoldt sind es eher "Radikalkritiker und Rammbock-Rhetoriker", auf die Verlass sei, wenn Missstände im Islam benannt werden müssten. Deren Problem sei, dass sie kaum "auch nur einen einzigen Muslim für eine milde, westkompatible Islam-Variante gewinnen könnten".

Gute Beispiele dafür, dass Muslime gläubig und zugleich strikt reformerisch leben könnten, beweise der Sammelband "Islamverherrlichung – Wenn die Kritik zum Tabu wird". Einer von 28 überwiegend praktizierend-muslimische Gelehrten, die dort alles "aufspießen, was man an der islamischen Welt eben aufspießen" kann ist Ömer Özsoy. Der Frankfurter Wissenschaftler setzt auf eine historisch-kritische und individualistische Interpretation des Koran und kritisiert die oft "zurückgebliebene Theologenszene im Weltislam".

Die von Islamisten bedrohte Vorsitzende des Liberal-Islamischen Bundes, Lamya Kaddor, zeigt in dem Buch auf, warum das Kopftuch gemäß Koran und Aussprüchen des Propheten obsolet sei. Rauf Ceylan, Professor für die Ausbildung islamischer Religionslehrer, prangert die teilweise fundamentalistische Gesinnung mancher Imame in Deutschland an: "Seit Kurzem sind diese Intellektuellen fast alle auf einflussreiche Posten geklettert, die es ihnen erlauben, eine breit angelegte, reformerische Agenda umzusetzen. Aber keinem von ihnen wurde bislang der Titel eines kommenden Reformators angetragen", bilanziert Stoldt. "Aber das wäre ihnen womöglich auch nicht recht, beteuern sie doch, es ziehe sich eine starke Kontinuitätslinie von der Lehre des Propheten Mohammed bis zu den Reformern von heute durch."

Schneider: Islam von Aufklärung und Religionskritik kaum irritiert

Die Debatte über Reformen im Islam hatte auch der Präses der Rheinischen Landeskirche und EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider in seinem Bericht vor der Landessynode zu Beginn der Woche wieder angefacht. Insbesondere seine Aussage der Islam trete "von Aufklärung und Religionskritik kaum irritiert in unserer Gesellschaft auf", verärgert den Zentralrat der Muslime. Zugleich kritisierte der Präses einen "exportierten Islam", also Imame, die aus anderen Ländern kommen und hier nicht in deutscher Sprache predigen.

"Das hilft den Menschen hier relativ wenig, wenn Imame aus Anatolien kommen und aus der Lebenswirklichkeit aus Anatolien predigen", so Schneider. Imame müssten aus dieser Lebenswelt kommen, sie sollten diese Gesellschaft kennen. Schneider wünschte sich zudem "einen auf Augenhöhe wissenschaftlich arbeitenden Islam" und begrüßte eine historisch-kritische Betrachtung des eigenen Glaubens. "Die evangelische Kirche hat den Hang dazu, belehrend aufzutreten. Das finden wir nicht gut", reagierte der Zentralrat der Muslime. (pro)

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