Irritation über Opferzahlen

Wenn Christen ermordet werden, dann ist nicht immer ihr Glaube der Grund dafür. Religionssoziologe Thomas Schirrmacher mahnt zu Genauigkeit.
Von Norbert Schäfer
Unterschiedliche Bewertungskriterien sind die Ursache für variierende Zahlen über verfolgte und getötete Christen weltweit

Zum Jahreswechsel hatte die christliche Online-Zeitung Christian Post auf ihrer Internetseite über die weltweite Verfolgung von Christen berichtet und sich dabei auf ein Interview des italienischen Soziologen Massimo Introvigne mit Radio Vatikan gestützt. Demzufolge seien im vergangenen Jahr rund 90.000 Christen ermordet worden. Introvigne vom „Center for Studies on New Religions“ berief sich seinerseits auf eine Erhebung des amerikanischen „Center for Study of Global Christianity“.

Nach Ansicht von Thomas Schirrmacher, dem Direktor des Internationalen Instituts für Religionsfreiheit der Weltweiten Evangelischen Allianz, sind die veröffentlichten Zahlen jedoch irreführend, aber „in der Logik der zugrundeliegenden Studie korrekt berechnet“. Zur richtigen Einordnung müsse das „Kleingedruckte“ der Berechnung verstanden werden. Bei der genannten Zahl von 90.000 getöteten Christen handle es sich um eine „Durchschnittszahl pro Jahr der Schätzung für den gesamten Zeitraums 2000 bis 2010, die auf 2016 übertragen und fortgeschrieben wurde“, sagt Schirrmacher. Die für 2016 genannten Zahlen seien daher nicht aktuell, sondern bezögen sich auf ältere Verhältnisse. Zudem beinhalte die genannte Zahl auch die Opfer von Bürgerkriegen – mehr als 90 Prozent der Getöteten.

„Wegen ihres Bekenntnisses zu Jesus Christus ermordet“

Für die Jahre 2014 und 2015 beziffert das Internationale Institut für Religionsfreiheit (IIRF) die Zahl der Christen, die wegen ihres Glaubens getötet wurden, jeweils auf 8.000 bis 9.000. Open Doors International erfasse nach Angaben von Schirrmacher nur belegbare Fälle und komme für 2015 auf 7.100 getötete Christen, 2016 sind es 1.207 belegte Fälle. Die endgültigen Zahlen des IIRF für 2016 lägen noch nicht vor, es gibt laut Schirrmacher nur eine vorläufige Schätzung von rund 2.000 bis 3.000.

Schirrmacher rechnet damit, dass sie niedriger ausfallen. IIRF und Open Doors zählten nur die Fälle, in denen die Täter Christen getötet haben, weil sie Christen sind. „Ich bin der Meinung, dass auch nur diese Zahl für die Diskussion von Interesse ist“, erklärte Schirrmacher. Die international tätige Organisation World Watch Monitor macht deutlich, dass genaue Statistiken nicht vorliegen. Sie geht aber davon aus, dass die Zahl der wegen ihres Glaubens getöteten Christen jährlich bei unter 10.000 Menschen liegt.

Bereits Anfang des Jahres hatte sich Ado Greve vom Pressebüro des christlichen Hilfswerkes Open Doors auf Anfrage von pro zu den von der Christian Post veröffentlichten Zahlen geäußert. „Wir geben jährlich die Zahl der Christen bekannt, die wegen ihres Bekenntnisses zu Jesus Christus ermordet werden.“ Dies könne Open Doors nur in dem Umfang tun, wie entsprechende Information vorlägen. Open Doors wisse nicht, um alle wegen ihres Bekenntnisses getöteten Christen. Bei Christen, die bei Unruhen oder im Kriegsgeschehen ermordet seien, könne man nicht in jedem Fall davon auszugehen, dass sie deshalb ermordet wurden, weil sie sich zu Jesus bekannt hätten, erklärte Greve. (pro)

Von: nob

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