Interview: Über die brennende Bibel und umstrittene Glaubenspraxis

F r a n k f u r t / M a i n (PRO) - Der Film "Die Hardliner des Herrn – Christliche Fundamentalisten in Deutschland" hat für erhebliche Diskussionen gesorgt. In Medien und unter Christen wird bis heute über den Film debattiert. Gesendet wurde der Beitrag von Autor Tilman Jens am 11. Juli im Ersten, die Verantwortung für die Produktion lag beim Hessischen Rundfunk (HR). Wir haben mit Alois Theisen, Chefredakteur HR Fernsehen, und Ilyas Mec, Redakteur im Ressort Politik und Gesellschaft des HR, über den Film gesprochen – und insbesondere über die umstrittensten Szenen. Die Fragen stellte pro-Redakteur Andreas Dippel.
Von PRO

pro: Herr Theisen, Herr Mec, wie viele Zuschauerbriefe und E-Mails haben Sie inzwischen aufgrund der Sendung „Hardliner des Herrn – Christliche Fundamentalisten in Deutschland“ gelesen?

Alois Theisen: Gesehen habe ich mehr als 500 Zuschriften, davon gelesen habe ich rund 50. Der überwiegende Teil der Lesermeinungen ist kritisch, bezieht sich aber weniger auf den Inhalt, sondern mehr auf die heftig umstrittene Bildsequenz mit der „brennenden Bibel“. Leider konnten wir natürlich nicht auf jede Zuschrift detailliert antworten. Etwa fünf Prozent der Zuschriften waren positiv, in denen Zuschauer signalisiert haben, dass sie zwar nicht mit allem einverstanden sind, was in dem Beitrag gezeigt und geäußert wurde, aber es grundsätzlich begrüßen, dass über das Thema öffentlich berichtet wurde und darüber diskutiert wird.

Ilyas Mec: Aus all den Zuschriften haben wir jedenfalls einen großen Ordner angelegt…

Theisen: …wobei ich es richtig finde, dass wir uns der Zuschauerkritik auch stellen, gerade als gebührenfinanzierter Sender. Probleme habe ich nur mit Kritik, die in Polemik ausartet oder einen drohenden Unterton annimmt. Wenn also etwa ein Zuschauer schreibt, wir sollten doch einmal in einem Beitrag den Koran verbrennen, dann werde sich das Problem mit uns und unserer Redaktion bald erledigt haben. Das ist für mich keine angemessene Kritik, auch bei aller erhitzten Diskussion nicht. Doch das sind nur wenige und die gehen sicher nicht von einem christlichen Standpunkt an das Thema heran.

pro: Ausgestrahlt wurde der Beitrag im Ersten, die Verantwortung in der Produktion lag bei Ihnen, dem Hessischen Rundfunk. Autor Tilman Jens hatte vor der Ausstrahlung noch gesagt: „Der Film will nicht skandalisieren.“ Dennoch ist doch genau das Gegenteil eingetroffen.

Theisen: In dieser Frage müssen wir zwischen Inhalt und Form unterscheiden. Wenn ich die Diskussion nach der Ausstrahlung richtig beurteile, halten nur Wenige den Inhalt für skandalös, die überwiegende Mehrheit stört sich an der einen, bestimmten Filmsequenz, nämlich der „brennenden Bibel“, die mehrfach zwischen den Kapiteln wiederholt wurde. Zuschauer fühlten sich in ihren religiösen Gefühlen verletzt. Dazu ganz klar: Es war nie unsere Absicht, irgendwelche religiösen Gefühle zu verletzen, und das sage ich nicht nur als Journalist, sondern auch aus persönlicher Überzeugung. In der Vorbereitung zu dem Beitrag haben wir in der Redaktion sicher gut 30 Minuten über eben diese Sequenz diskutiert – und über den Inhalt ebensolange. Als ich die Bildsequenz zum ersten Mal sah, habe ich mich sehr wohl gefragt, was diese „brennende Bibel“ aussagen soll. Ich dachte auch an die Bücherverbrennung in der Nazizeit, was ich in der Sitzung auch vorgebracht habe. Doch das Bild sollte etwas anderes aussagen, es sollte aufrütteln und auch das Feuer als in der Bibel immer wiederkehrendes Symbol für die Kraft des Göttlichen, für Gott selbst darstellen – wie im brennenden Dornbusch bei Mose – oder im Bericht über den Heiligen Geist an Pfingsten.

pro: Dennoch, die Kritik war heftig, und das nicht nur aus evangelikalen Kreisen. Selbst die „Bild“-Zeitung hat sich des Themas angenommen und getitelt: „TV-Skandal! ARD verbrennt Bibel“. Der Hamburger Weihbischof Hans-Jochen Jaschke etwa kritisierte die Darstellung: „Man soll keine Bücher verbrennen – erst recht nicht die Bibel.“ Und auch Bischof Gebhard Fürst, Vorsitzender der Medienkommission der deutschen Bischofskonferenz, kommentierte laut „Bild“: „Eine Bibel zu verbrennen, bedeutet, die Heilige Schrift der Christen und Juden zu verhöhnen.“ Und Wolfgang Bosbach, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion, sagte der „Bild“: „Was wäre wohl in Deutschland los, wenn die ARD einen brennenden Koran gezeigt hätte?“ Eine berechtige Frage?

Mec: Jede Frage ist berechtigt und einige Zuschauer haben ja genau das so geschrieben. Doch wir wollten mit der Sequenz eben nicht darstellen, dass die Heilige Schrift zerstört wird, sondern das Thema Feuer aufgreifen. Wenn wir einen Film über islamischen Fundamentalismus machen würden, müsste man auf eine andere Symbolik zurückgreifen, etwa auf das Schwert. Wir planen jedoch keinen Beitrag über islamischen Fundamentalismus. Doch die Frage geht an unserer Intention vorbei: Wir wollten die Bibel nicht „verbrennen“, um das nochmals klar zu sagen.

Theisen: Dennoch gebe ich zu, dass wir einen handwerklichen Fehler gemacht haben, das sage ich ganz offen. Wenn man genau hinschaut, sieht es so aus, als ob die Bibel tatsächlich brennt. Doch die Bibel hätte eben nicht brennen dürfen, sondern vielleicht nur vor dem Hintergrund eines angedeuteten Feuers dargestellt werden sollen. Wir haben die Wirkung dieses Bildes auf die Zuschauer falsch eingeschätzt, das müssen wir hinnehmen. Als überzeugter Katholik habe ich mich in der dem Film vorangegangenen Diskussion auch sehr schwer damit getan und musste, wie gesagt, überzeugt werden. Doch würden wir, was jedoch nicht geplant ist, einen Film über islamischen Fundamentalismus machen, würden wir auch darin klar die Strukturen und Praxis des Islamismus benennen. Wenn es notwendig ist, würden wir uns mit allen Religionen kritisch befassen, erst recht mit solchen Strömungen, die fundamentalistisches Gedankengut in die Gesellschaft bringen.

pro: Hintergrund der Frage, was wohl geschehen wäre, wenn statt der Bibel der Koran „vernichtet“ worden wäre, waren vielmehr die Reaktionen von Muslimen, die weltweit nach dem Abdruck von angeblichen Mohammed-Karikaturen gewaltsam protestiert haben.

Theisen: Eine Korrektur: Wir haben die Bibel nicht „vernichtet“! Der Autor Tilman Jens hat ja gerade im Schlusssatz des Beitrages betont, dass es positiv ist, dass ein altes Buch wie die Bibel noch heute viel Aufmerksamkeit erregt. Zudem ist es mir übrigens unverständlich, dass einerseits der Streit um die so genannten Mohammed-Karikaturen in den Forderungen mündete, eine Religion wie der Islam müsse so etwas „aushalten“, und in unserem Fall eine „brennende Bibel“ massiv kritisiert wird. Auch das müssen Christen vielleicht „aushalten“ können. Wir wollen, dass fundamentalistische Grundsätze nicht der oberste Wertmaßstab für die Gesamtgesellschaft sind.

pro: In dem Fernsehbeitrag ging es um allerlei Themen und Gruppierungen: Eine Gemeinde in Blaubeuren, eine Familie, die ihre Kinder aus religiösen Gründen zu Hause unterrichtet oder um das Streitthema Kreationismus. Vielfach wurde kritisiert, dass das nicht die Haupthemen sind, die evangelikale Christen ausmachen. Hat der Beitrag seine Zielsetzung überhaupt getroffen?
 
Ilyas Mec: Natürlich hat der Beitrag seine Zielsetzung getroffen. Wenn mehr als 1,4 Millionen Zuschauer den Film gesehen haben und viele davon auch in Zuschriften – in der Mehrheit kritische, aber auch viele zustimmende – oder öffentlich Stellung beziehen, hat der Beitrag ein wichtiges Thema angesprochen. Man kann sicher im Nachhinein darüber diskutieren, ob ein, zwei Aspekte weniger dem Film gut getan hätten und zum besseren Verständnis bei Zuschauern geführt hätten, die sich in dieser Thematik nicht gut auskennen. Doch der Film war ja keine Dokumentation über evangelikale Christen allgemein. Es sollte das Thema christlicher Fundamentalismus aufgegriffen und dabei natürlich auch unterschieden werden, welche Strömungen fundamentalistisch sind und was gelebter Glaube ist. Insofern war der Film ein Versuch, christlichen Fundamentalismus zu thematisieren, den es nun einmal auch im evangelikalen Bereich gibt. Für manche Zuschauer hat der Film sicher Aspekte erläutert und dargestellt, die bislang nicht so bekannt waren.

Alois Theisen: Die Dokumentation beginnt ja mit einer Szene über eine christliche Gemeinschaft in Blaubeuren, die durchaus als fundamentalistisch bezeichnet werden kann. Unser Autor ist dann der Frage nachgegangen, wie diese und ähnliche Glaubensüberzeugungen weitere Kreise bis in die
evangelische Kirche hinein ziehen, denken Sie an die Aussagen des EKD-Ratsvorsitzenden, Bischof Wolfgang Huber. Dabei bestimmten die negativen Aspekte fundamentalistischer Glaubensüberzeugungen aus meiner Sicht nicht den Film, sondern vielmehr positive Formen gelebten Glaubens. Der Film wollte auch zeigen, wie die religiöse Haltung von bislang eher mutlosen Christen durch engagierte Evangelikale verändert wird. Die Veränderung sieht so aus, dass sich Christen wieder deutlicher zu ihrem Glauben bekennen, was gut ist. Bis vor wenigen Jahren waren religiöse Äußerungen nahezu vollständig aus dem öffentlichen Leben verbannt. Durch den Bekennermut engagierter Christen werden andere nachhaltig geprägt. Das ist ein positiver Aspekt, den der Film auch dargestellt hat.

pro: Nun ist die evangelikale Bewegung weltweit und auch in Deutschland sehr unterschiedlich geprägt. Manche gehören charismatischen Gemeinden an, andere sind aktive Mitglieder der evangelischen Landeskirche. Der Vorsitzende der Deutschen Evangelischen Allianz, Jürgen Werth, kritisierte daher doch zu Recht, dass in dem Film überwiegend Randgruppen gezeigt wurden – doch eine Differenzierung nicht stattfand.

Theisen: Die Gruppierung in Blaubeuren sind doch eindeutig christliche Fundamentalisten. Das sind die Extreme, mit denen der Autor seinen Beitrag begonnen hat. Es gibt eben auch Eltern, die ihre Kinder aus religiösen Überzeugungen zu Hause unterrichten. Wogegen der Beitrag nicht grundsätzlich argumentiert, nur die gezeigte Familie ist ebenfalls ein Extrem. Tilman Jens hat im Zuge seiner Recherchen zu dem Beitrag durchaus sein Bild über konservative Christen geändert und er war durchaus überrascht, wie weltoffen und tolerant der größte Teil der Evangelikalen ist. Es waren daher die Extreme, mit denen der Film begann.

pro: Doch ist nicht der gesamte, unterschwellige Tenor des Beitrages, evangelikale Christen schürten Angst vor dem Höllenfeuer, nutzten die Bibel dazu, um andere zu richten oder hätten eine „tiefe Angst vor Sodom und Gomorrha“, wie das gesagt wurde? Zurück bleibt der Eindruck, Evangelikale wollten ihren Mitmenschen ihre Sicht des Glaubens aufzwingen. Hat der Film eine unbegründete Angst geschürt?

Mec: Der Film zeigte nicht die Bandbreite der evangelikalen Bewegung. Das war auch nicht die Intention. Hätte der Titel des Filmes gelautet: „Evangelikale Christen in Deutschland“, dann hätten wir mit anderen Beispielen aufmachen und andere Schwerpunkte setzen müssen. Aber es war ein Film über christlichen Fundamentalismus, der eben auch in einem Teil des evangelikalen Spektrums vorkommt. Insofern sehe ich das etwas anders als Sie.

Theisen: Es ist auch so, dass das Denken einiger radikalerer christlicher Gruppen auch Auswirkungen hat auf das Denken anderer. Etwa in der Form, dass wieder schärfer zwischen Gut und Böse, Wert und Unwert unterschieden wird. Dies zeigen Meinungsäußerungen im Film etwa über Fragen der Homosexualität oder Ehescheidung. Gleichzeitig führt die Wahrnehmung einer großen oder größer werdenden fundamentalistischen Bewegung dazu, dass andere Christen ihre Glaubensüberzeugungen und -praxis wieder mehr reflektieren und vielleicht schärfen. Dazu gehört etwa die Ansicht, dass geschiedene Pfarrerinnen und Pfarrer in der sächsischen Kirche die Gemeinde wechseln müssen. Der zuständige Landesbischof Jochen Bohl hat das in dem Beitrag dargelegt. Aus meiner Sicht ist diese Praxis nicht anstößig, die Kirche kann dies für sich selbst entscheiden, aber das ist meine private Meinung. Es ist aber auch nicht anstößig, wenn diese Einstellung zur Diskussion gestellt und kritisch beleuchtet wird. Autor Tilman Jens wollte auch zeigen, dass die
Meinungen zwischen christlichen Fundamentalisten, Evangelikalen und den Amtskirchen nicht immer klar zu unterscheiden sind.

pro: Ihr Fazit über „Die Hardliner des Herrn“ – und das der erhitzten Debatte?

Theisen: Ich fand den Beitrag überzeugend. Es war kein Film für Evangelikale oder Experten, sondern für einen ganz normalen Zuschauer, der Fernsehen neben anderen Tätigkeiten vielfach nebenbei konsumiert. Dabei muss der Zuschauer einem Beitrag folgen können. Das zeigt die Quote, die der Film erreicht hat, immerhin sahen mehr als 1,4 Millionen Zuschauer den Film. Das, und nur das zeigt die Quote, die kein Qualitätszeichen an sich ist, aber ein Zeichen, dass viele Zuschauer dem Beitrag folgen konnten und sich mit ihm auseinander gesetzt haben. Wenn wir den Zuschauern Denkanstöße gegeben haben, dann war die Sendung aus meiner Sicht qualitativ gut und erfolgreich. Dass wir die Evangelikalen nicht alle überzeugen konnten oder jede Facette diskutiert haben – mit dieser Kritik können wir leben.

pro: Planen Sie, sich erneut mit dem Thema zu befassen?

Theisen: Ja, wir planen eine Diskussionssendung, die im HR-Fernsehen live ausgestrahlt wird. Zudem wird die Dokumentation – ohne die anstößige Sequenz der „brennenden Bibel“ – nochmals ausgestrahlt. Meinhard Schmidt-Degenhardt, Leiter des zuständigen Ressorts, wird die Diskussionsleitung übernehmen und mit seinen Kollegen die Sendung wie immer intensiv vorbereiten. Geplanter Sendetermin ist im September oder Oktober. Wir werden darauf achten, die Talkrunde angemessen zu besetzen und sicher einige, die sich jetzt an der Diskussion beteiligt haben, einladen.

pro: Herr Theisen, Herr Mec, vielen Dank für das Gespräch!

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