Integration: „Nicht fordern, sondern geben!“

"Deutschland liegt in Mitteleuropa und ist christlich. Punkt. Wer hierher mit einer fremden Kultur und mit einer fremden Religion kommt, muss sich erklären." Davon ist die türkische Juristin Zümrüt Gülbay-Peischard überzeugt. Sie ist eine von drei türkischstämmigen Deutschen aus drei Einwanderungsgenerationen, die das Nachrichtenmagazin "Focus" zum Thema "Integration" interviewt hat.
Von PRO

Dass jeder seine Religion leben dürfe, besage bereits Artikel 4 des Grundgesetzes, stellt Gülbay-Peischard fest. Sie war mit zwei Jahren nach Deutschland gekommen und gehört zur "zweiten Generation" der Einwanderer. Das heiße aber nicht, "ich kann verlangen, dass jeder meine Religion versteht". Wenn Deutsche sagten, das sei ihnen fremd, "dann ist das für einige Muslime sofort ein Angriff". Manche Muslime seien latent beleidigt, weil sie erwarteten, dass jeder den Islam kennen müsse. "Nein. Muss nicht jeder", bekräftigt die Anwältin mit Schwerpunkt internationales Wirtschaftsrecht. Sie ist die jüngste Jura-Professorin, die jemals in Deutschland einen Lehrstuhl erhalten hat.

Damit Integration gelingt, wünscht sich Gülbay-Peischard "für junge Muslime ganz eindeutig: nicht fordern, sondern geben!" Aber die meisten jungen Muslime seien integriert oder wollten sich integrieren. "Klar, wenn ich Ayse und nicht Klara heiße, muss ich mehr leisten als der Durchschnitt", betont die Mutter zweier Töchter in dem Interview. "Aber erst wenn ich mich angestrengt habe und immer noch benachteiligt werde, muss die Gesellschaft eingreifen."

Man kann nicht ewig Ausländer bleiben

Den Gründer des Reiseveranstalters "Öger Tours", Vural Öger, stört es, dass es "teilweise diese Vertreter der türkischen Vereine" gebe, die von einer deutschen Bringschuld redeten. "Tatsächlich können nur wenige für uns alle sprechen. Die türkische Gesellschaft besteht aus fast 70 Nationalitäten, verschiedenen Kulturen und Religionen." Auf die Frage, warum er Deutscher geworden sei, antwortet der 70-Jährige, der zur "ersten Einwanderergeneration" zählt, dem "Focus": "Sie können nicht hier leben und ewig Ausländer bleiben. Ich zahle hier Steuern und bekenne mich zu diesem Land, das mittlerweile meine Heimat geworden ist." Er sei an die "Sportschau" gewöhnt und schaue um 20 Uhr die "Tagesschau". Beim Feiern und Essen lebe er seine türkische Seite. Er höre gerne deutsche Klassik und türkische Volksmusik. "Das schafft keine Probleme, das macht mich glücklich."

"Ich würde mal sagen: Ich arbeite deutsch und lebe türkisch", sagt Aylin Selcuk, deren Großväter als Analphabeten aus der Türkei nach Deutschland kamen und die zur "dritten Generation" gehört. "Im Studium oder bei der Arbeit sind mir Pünktlichkeit, Disziplin und Genauigkeit sehr wichtig. Türkisch zu leben steht bei mir für Kreativität und Spontanität." Auf die Frage, was ihre Eltern richtig gemacht hätten, antwortet die Zahnmedizin-Studentin dem Nachrichtenmagazin: "Ich hatte das Glück, dass meine Eltern Akademiker sind. Sie haben mich stets unterstützt." Für ihre Abiturarbeit hatte die 23-Jährige deutschtürkische Jugendliche aus bildungsfernen Schichten interviewt und "gemerkt, dass diese Jugendlichen nicht einfach ’nicht wollen‘, sondern zu wenig Unterstützung aus dem Elternhaus und kaum eine Zukunftsperspektive haben". Die Gesellschaft schließe sie konsequent aus. Man mache es sich zu einfach, wenn man darin nur eine ethnische Problematik sehe.

Integration betrachtet die Einser-Abiturientin Selcuk als ein zeitlich begrenztes Thema. "Wir haben mehr als 16 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland, die Zahl der bikulturellen Ehen wächst." Es sei wichtig, die soziale Komponente nicht aus den Augen zu verlieren. "Es geht nicht um die Integration von Muslimen oder Türken, sondern um die Integration sozial Benachteiligter. Da sollten wir ansetzen." (pro)

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