Informationen statt Emotionen

Medien sollten bei Katastrophen sachlich informieren, statt auf Effekte und Emotionen zu setzen, hat der Medienethiker Christian Schicha beim ersten Evangelischen Medienkongress in Köln gefordert. Journalisten, Pfarrer und Mitarbeiter der kirchlichen Öffentlichkeitsarbeit diskutieren noch bis Donnerstagabend über ethische Maßstäbe im Journalismus.
Von PRO

"Durch die Geschehnisse bei der Love Parade in Duisburg hat dieser Medienkongress so traurige Aktualität", sagte Verena Kuhlenkampff, Fernsehdirektorin des WDR in ihrer Begrüßung. Tatsächlich stand zumindest am Mittwoch die Berichterstattung über die Massenpanik bei der Love Parade im Zentrum der Diskussionen. Auch die Medienberichte über den Amoklauf in Winnenden oder den Selbstmord von Robert Enke vor einem Jahr wurden kritisch betrachtet.

Christian Schicha, Professor für Medienwissenschaften und Studienleiter für Medienmanagement an der Mediadesign Hochschule Düsseldorf, forderte Journalisten zu einer zurückhaltenden Berichterstattung bei Katastrophen auf. Dies sei besonders wichtig im Spannungsfeld zwischen einem "rücksichtslosen Sensations-Journalismus als reinem Voyeurismus und einem reflektierten und sensiblen Journalismus, der Rücksicht auf die Betroffenen, die Angehörigen nimmt, ohne dass notwendige Informationen vorenthalten bleiben". Dieser Spagat sei aber schwer zu bewerkstelligen.

Recherche braucht Zeit

Zum Druck des Marktes kämen immer schlechtere Arbeits- und Einkommensbedingungen für Journalisten. Dass dadurch die Qualität der journalistischen Tätigkeit leide und die ethischen Maßstäbe nicht immer im Zentrum der Berichterstattung stünden, findet Schicha "nachvollziehbar". Dennoch gelte der Grundsatz: Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Ein Journalist sollte auch zugeben, dass er Zeit braucht, um Sachverhalte und Hintergründe zu recherchieren, um zu einer umfassenden Hintergrundinformation zu kommen. "Wir müssen nicht alles sofort wissen", so der Medienethiker. Er wies auf die Macht der Bilder hin, die unmittelbarer und emotionaler wirkten als das geschriebene oder gesprochene Wort. "Bilder sind in der Lage zu manipulieren, zu verschleiern oder zu täuschen. Sie können aber auch Zusammenhänge aufklären und aufdecken." Dass sich manche Boulevard-Medien zur Bebilderung eines Artikels im Internet bei sozialen Netzwerken bedienen, nannte Schicha "hochgradig makaber".

Schicha ermahnte die Journalisten, gerade bei Katastrophenberichterstattung auf der journalistischen Ebene, Distanz zu wahren: Zu große Nähe erschwere die objektive Berichterstattung. Zwar seien Berichterstatter keine unbeteiligten Akteure, sie dürften auch die eigene Betroffenheit in Worte fassen. Allerdings sollten sie der Versuchung widerstehen, zu trösten. Dies sei die Aufgabe von Seelsorgern, Pfarrern und Therapeuten.

Der Journalist und ehemalige Intendant des WDR, Fritz Pleitgen, verteidigte die Absicht vieler Redakteure, möglichst schnell zu sein: Nachrichtensendungen hätten die Pflicht, zeitnah zu informieren, hierbei müssten nicht alle Hintergrundinformationen bereits vorliegen. Allerdings sollten sich Berichterstatter vor frühzeitigen Schuldzuweisungen und Interpretationen hüten, und stattdessen darauf hinweisen, dass Informationen auf dem derzeitigen Kenntnisstand beruhen.

Die Macht der Bilder kritisch prüfen

Fotos im Internet bereiteten vielen Kongressteilnehmern Sorge: Bilder von Unglücksfällen, die sofort ins Web gestellt würden, bildeten Eindrücke ab, trügen aber nicht zur Einordnung eines Ereignisses bei, sagte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider.

Der EKD-Medienbeauftragte Markus Bräuer forderte Grenzen bei der Jagd um "die besten Bilder und die ersten Statements". Die journalistische Freiheit ende dort, "wo die Berichterstattung in Wort und Bild die Würde des Einzelnen verletzt".

Trauernde vor den Medien abschirmen

Bei Katastrophen mit großem öffentlichen Interesse müssten Angehörige und Trauernde vor der Presse geschützt werden, so der Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche, Nikolaus Schneider. Er berichtete von den Erfahrungen bei der Trauerfeier für die Opfer der Love Parade. Nach den Erfahrungen mit dem Presserummel nach dem Amoklauf in Winnenden habe man in Duisburg strikte Absprachen mit der Presse getroffen und die Angehörigen mittels Polizeischutz abgeschirmt. Mit diesem Verfahren habe er gute Erfahrungen mit den Journalisten gemacht, die keineswegs nur, wie oft tituliert, eine "lästige Meute" seien, sondern durch sensible Berichterstattung einen wichtigen Beitrag zur Verarbeitung der Ereignisse leisten könnten. Da Massenmedien nicht nur Informationen, sondern auch Emotionen transportierten, sei eine angemessene Berichterstattung wichtig. Er forderte Journalisten dazu auf, kritisch zu prüfen, "was die Öffentlichkeit wirklich wissen muss".

Anteilnahme und Trauer in Internetportalen

Zunehmend nutzen Menschen die interaktiven Möglichkeiten im Netz, um belastende Ereignisse zu verarbeiten. Zu diesem Thema berichtete Verena Kuhlenkampff von den Erfahrungen des WDR nach der Massenpanik bei der Love Parade: "Tausendfach meldeten sich im Netz junge Leute zu Wort und drückten in der überwiegenden Mehrheit ihr tiefes Mitgefühl den Opfern, Angehörigen und Familien aus." Das WDR-Hörfunkprogramm "1Live" verzeichnete 12.000 Gästebuch-Einträge zu den Todesfällen in Duisburg. Eine erste Analyse der Einträge zeige, dass hier Gefühle öffentlich gezeigt werden, die Menschen sonst eher im Privaten versteckten, sagte Kuhlenkampf.

Der evangelische Medienkongress findet vom 20. bis 21. Oktober im WDR-Funkhaus statt. Veranstalter des Kongresses ist die Evangelische Kirche in Deutschland. (pro)

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