In Nordkorea bleibt die Ungewissheit

Nach dem Tod des nordkoreanischen Militärmachthabers Kim Jong Il ist unklar, wie es in dem kommunistisch regierten Land weitergeht. Neben der politischen Lage ist auch die der Christen, die bisher massiv unterdrückt wurden, schwierig und ungewiss. Mit einer Besserung rechnen Menschenrechtsorganisationen allerdings nicht.


Von PRO

Laut offiziellen Angaben der Staatsmedien soll Kim Jong Il am Samstag an den Folgen einer körperlichen Ermüdung während einer Zugfahrt gestorben sein. Als potentieller Nachfolger gilt sein jüngster Sohn Kim Jong Un. Ihn hatte der Verstorbene in den vergangenen Jahren massiv gefördert. Der Sohn, der 28 Jahre alt sein soll, ist im September 2010 in die erweiterte Führungsriege der Arbeiterpartei aufgenommen worden. Für viele galt dies als deutliches Zeichen Kim Jong Ils.


Nachfolgefrage klären



"Es ist grundsätzlich schwierig einzuschätzen, wie sich die Lage der Christen in Zukunft verändern wird. Erst einmal muss die Nachfolgefrage definitiv geklärt werden. Fakt ist, dass die Christen als Staatsfeinde bisher massiv gelitten haben", äußert sich Romy Schneider, Pressesprecherin des christlichen Hilfswerks "Open Doors", gegenüber pro. Natürlich erhoffe man sich eine Verbesserung, müsse bei der Einschätzung der Lage aber auch realistisch bleiben. Der dritte Sohn von Kim Jong Il soll schon zu Lebzeiten seines Vaters Anstrengungen unternommen haben, verbotene religiöse Aktivitäten im Untergrund aufzudecken. Es sei, laut "Open Doors", zu verstärkten Hausdurchsuchungen gekommen. Spione seien gezielt dazu ausgebildet worden, religiöse Netzwerke zu unterwandern.



Aus Sicht des Vorstandssprechers Martin Lessenthin, der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM), ist die Gemengelage vor Ort sehr undurchsichtig: "Dadurch, dass die Brüder Kim Jong Uns bei der Nachfolgeregelung übergangen wurden, läuft alles auf den neuen Machthaber Kim Jong Un heraus", vermutete Lessenthin im Gespräch mit pro.



Eine der bösesten Gestalten der Weltgeschichte


Dadurch, dass Un einen Teil seiner Ausbildung in der Schweiz absolviert habe, gebe es zwar Hoffnung, doch der Schlüssel des Menschenrechtsproblems in Nordkorea liege in Peking. Aus Sicht der nordkoreanischen Führung ist das größte Verdienst des Verstorbenen, dass er die Volksrepublik 2006 zur Atommacht machen konnte und das Regime damit außenpolitisch absicherte: "Mit schnellen positiven Veränderungen kann leider nicht gerechnet werden", erläutert der IGFM-Vorstandssprecher. Der bisherige Machthaber Kim Jong Il gehöre zu den bösesten Gestalten der Weltgeschichte, die man in einem Atemzug mit Pol Pot, Hitler, Stalin und Mao-Tse-Tung nennen könne. Die Lage für die Christen in Nordkorea sei entsetzlich, der Wechsel mit der Hoffnung verbunden, dass sich die Glaubens- und Meinungsfreiheit verbessere.



Nach Einschätzung der IGFM ist das kommunistische Reich der Kim-Familie weltweit das Land, in dem Christen am härtesten verfolgt werden. Als Christen erkannte Nordkoreaner würden gezielt in Lager eingewiesen werden und dort als Sklavenarbeiter ausgebeutet. Christliche Mission werde mit Folter und gezielter Ermordung drakonisch verfolgt. Experten gehen von bis zu 70.000 inhaftierten Christen aus. Auf dem Weltverfolgungsindex von "Open Doors" liegt Nordkorea auf Platz 1.

Den Ansatz der IGFM vertritt auch der Vorsitzende der Theologischen Kommission der Weltweiten Evangelischen Allianz (WEA), Thomas Schirrmacher: "Solange China aus wirtschaftlicher und strategischer Sicht seine Hand über Nordkorea hält, wird sich nichts verändern", ist er sich sicher. Nordkorea diene für China als Pufferstaat zum amerikanisch dominierten Südkorea. Zudem gewähre Nordkorea China Zugänge zum japanischen und zum gelben Meer. Im Gegenzug erhalte es tatkräftige finanzielle Unterstützung, verdeutlicht Schirrmacher im Gespräch mit pro.



Hinzu komme, dass in Nordkorea nicht einmal ein Hauch von Opposition möglich und zu verspüren sei. Die Nordkoreaner betrieben mit enormer Konsequenz eine Propaganda, die mit einer nicht auszudenkenden Gehirnwäsche verbunden sei. Die Opposition werde in Straflagern unterdrückt. Die Zahl der Christen zu beziffern, hält Schirrmacher für schwierig. Keiner wisse wirklich, wie viele Christen nach 1950 in den Straflagern umgebracht wurden, verschwunden oder in Straflagern eingesperrt worden sind: "Wir wissen aber, dass die Nachkommen, nicht nur von Christen, auch in den Arbeitslagern bleiben." Schirrmacher hatte erst vor kurzem mit einer WEA-Delegation die demilitarisierte Zone zwischen Nord- und Südkorea besucht und sich ein Bild von der Lage vor Ort gemacht.



Streitkräfte in höchster Alarmbereitschaft


Auch auf politischer Ebene herrscht Ungewissheit: Das Nachbarland Südkorea versetzte, laut Informationen der Deutschen Presse-Agentur dpa, seine eigenen Streitkräfte in höchste Alarmbereitschaft. Die Aktivitäten der nordkoreanischen Volksarmee entlang der innerkoreanischen Grenze seien verstärkt worden, teilte der Generalstab in Seoul mit. Die Spannungen auf der koreanischen Halbinsel hatten sich seit dem Untergang eines südkoreanischen Kriegsschiffes im März 2010 und dem Beschuss einer zu Südkorea gehörenden Insel im November desselben Jahres spürbar verschärft. Beide Staaten befinden sich völkerrechtlich seit dem Ende des Korea-Kriegs (1950-53) noch im Kriegszustand.



Das Weiße Haus in Washington erklärte, dass es die Berichte aus Nordkorea aufmerksam verfolge. Die US-Regierung sei weiter entschlossen, sich für die Stabilität auf der koreanischen Halbinsel einzusetzen. Japan hat als Reaktion auf den Tod Kim Jong Ils seinen Sicherheitsrat einberufen. Der Ministerpräsident Yoshihiko Noda wies das Verteidigungsministerium und andere Regierungsstellen an, sich auf alle Eventualitäten vorzubereiten. Japan stehe mit seiner Schutzmacht USA sowie China und Südkorea bereits in engem Kontakt, wie die japanische Nachrichtenagentur Kyodo meldete.


Nach Einschätzung der deutschen Bundesregierung liege in dem Tod des Machthabers eine Chance für das asiatische Land. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes rief am Montag laut dpa die neue Führung in Pjöngjang zu einer politischen und wirtschaftlichen Öffnung des Landes auf. Er appellierte an Nordkorea, das Atomprogramm aufzugeben, demokratische Freiheiten zuzulassen und die katastrophale Versorgungslage der eigenen Bevölkerung zu verbessern.



Die nordkoreanische Staatsspitze ordnete unterdessen eine Trauerphase bis zum 29. Dezember an. Die Beisetzung soll am 28. Dezember in Pjöngjang stattfinden. Ausländische Delegationen würden dazu nicht eingeladen, meldete die staatliche Nachrichtenagentur KCNA.



Kim Jong Il hatte nach dem Tod seines Vaters und "ewigen Präsidenten" Kim Il Sung 1994 die Macht übernommen, einen Personenkult um sich aufgebaut und das Land mit eiserner Faust regiert. Nach einem vermuteten Schlaganfall 2008 galt er als gesundheitlich angeschlagen. Sein 1983 oder 1984 geborener Sohn  wurde offenbar systematisch zum Nachfolger aufgebaut. Kim Jong Un hatte wichtige Posten in der Kommunistischen Partei erhalten und offizielle Termine wahrgenommen. (pro/dpa)

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