„In Auseinandersetzungen hat sich Vertrauen entwickelt“

Am 29. Februar hatte Jörg Bollmann als Direktor des Gemeinschaftswerkes der evangelischen Publizistik (GEP) seinen letzten Arbeitstag. Im Gespräch mit PRO hat Bollmann Bilanz seiner 22-jährigen Tätigkeit gezogen.
Von Norbert Schäfer
Jörg Bollmann

PRO: Herr Bollmann, wie fällt Ihr Resümee aus?

Jörg Bollmann: Es waren 22 sehr interessante und faszinierende Jahre, in denen sich evangelische Kirche und evangelische Publizistik entwickelt haben, sowohl zum Negativen als auch zum Positiven. Es macht Sorge, dass wir Mitglieder und Finanzkraft verlieren. Es betrübt mich sehr, dass Kirche im Zusammenhang mit sexualisierter Gewalt in so tiefer Schuld verstrickt ist. Es macht aber Freude, dass die Anziehungskraft des Evangelischen, des christlichen Glaubens ungebrochen ist und evangelische Publizistik daran einen in den vergangenen Jahren immer weiter wachsenden Anteil hat.

Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass wir eine stabile Quote und steigende Reichweiten in den linearen Fernseh- und Hörfunkprogrammen erreichen mit unseren Formaten. Oder dass „Chrismon“ stabil 1,4 Millionen Menschen lesen, und 76 Prozent der Marktteilnehmer (Tageszeitungen) die Nachrichtenagentur epd in einem sehr umkämpften Agenturmarkt beziehen, darunter die wesentlichen Verlagsgruppen, dazu alle öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Zudem bewegt sich alles auf dem Weg der digitalen Transformation. Darüber freue ich mich.

Worauf sind Sie stolz?

Dass ein Gesamtunternehmen, was zu meinem Amtsantritt finanziell und strukturell mit dem Rücken zur Wand stand, heute wirtschaftlich auf soliden Füßen steht. 2002 war für mich „Chrismon“ noch nicht in Sicht, 2005 war es bereits an Bord. 2007 haben wir die Rundfunkarbeit ins GEP integriert, 2009 evangelisch.de gelauncht und damit den Startschuss gegeben, uns digital weiterzuentwickeln. Diese Aufbauarbeit zusammen mit den kirchlichen Partnern gehört zu den schönen Dingen.

Auch auf die Vernetzung innerhalb der evangelischen Publizistik schaue ich mit Dankbarkeit zurück. 2002 war das GEP in der evangelischen Publizistik zwar vernetzt, wurde aber sehr misstrauisch beäugt. Jetzt sehe ich eine Vernetzung mit kirchlichen Medienpartnern, die natürlich immer kritisch mit uns umgehen – das muss auch so sein – die aber getragen ist von dem Vertrauen, dass wir für eine gemeinsame Sache streiten und publizieren. Das ist über Konfessionsgrenzen hinaus gelungen. Wir haben sehr gute Vernetzungen mit den Medienhäusern der Landeskirchen, dem katholischen Medienhaus und auch eine vertrauensvolle Zusammenarbeit beim Christlichen Medienkongress „Moveo“ mit ERF, Idea, Christlicher Medieninitiative pro und SCM. Das sind konstruktive Beziehungen. Solche Verbindungen hat es zwar bereits 2002 gegeben, aber sie waren nicht so vertrauensvoll wie jetzt.

Inwieweit haben Sie Ihren Dienst an der Spitze des GEP auch als missionarische Aufgabe verstanden?

Zum 50-jährigen Jubiläum des GEP, das wir im vergangenen Jahr feiern durften, habe ich formuliert: Unsere Aufgabe ist es, das Evangelium mit journalistischen Mitteln zu verkündigen. Wir tun das in dem breiten Handlungsrahmen, den wir für unsere Medienprodukte und Medien-Dienstleistungen nutzen dürfen.

Was hat Sie bei dem ständigen Wandel in der Medienlandschaft am meisten gestresst?

Als ich 1987/88 im Privatfunk anfing, war ich stolz darauf, keinen Techniker zu benötigen wie die Kollegen im Öffentlich-Rechtlichen. Aber seitdem hat es viele technologische Entwicklungen gegeben. Das wird mir bewusst, wenn ich jetzt sehe, wie virtuos und selbstverständlich Kollegen mit den neuen Techniken umgehen, die für mich immer noch neu sind. Früher freute ich mich am Neuen. Jetzt ist es für mich anstrengender, wieder was Neues zu lernen. Auch anstrengend für mich ist, dass ich Ihnen heute nicht sagen kann, wie es in drei oder vier Jahren wegen der Veränderungsprozesse auf der Produktebene aussieht.

Wie gravierend sind aus Ihrer Sicht diese Veränderungen?

Es kommt eine disruptive Veränderung durch Digitalisierung und KI auf uns zu. 2010 hätte ich gesagt, dass Chrismon, so wie es ist, als Supplement, als Printprodukt eine lange Zukunft hat. Jetzt bin ich mir nur noch sicher, dass die starke Marke „Chrismon“ Bestand haben wird. Aber wie Chrismon am Ende des Tages zu den Menschen kommt, ob im Print oder auf anderen Wegen, welche Rolle KI dann spielt in der Produktion – das würde ich jetzt nicht mehr so sicher sagen können. In Zukunft werden wir selbst die erfolgreichsten Produkte permanent infrage stellen müssen.

Mit der Beteiligung am EKHN-Medienhaus und dem Umbau des Gebäudes werden wir digitale Produktionsstudios bereitstellen, in denen alle Produkte – auch die digitalen – erstellt werden können und gleichzeitig eine Infrastruktur dafür vorhanden ist, dass wir einen dynamischen technologischen Veränderungsprozess im GEP gestalten können.

Sie mussten sich aus dem evangelikalen Lager heraus den Anwurf gefallen lassen, dass sich das GEP mehr mit gesellschaftlichen und politischen Themen beschäftigt statt mit christlichen. Wie stehen Sie dazu?

An dem Vorwurf hat mich nichts gestört. Ich habe mich mit dem Vorwurf in dieser abstrakten Weise auch wenig auseinandersetzen müssen. Es ging immer um konkrete Sachen. Eine der spannendsten Auseinandersetzungen war eine Kommentierung in „Chrismon“ zum Thema Paragraf 219a („Chrismon“-Chefin Ursula Ott hatte die Abschaffung des Werbeverbots für Abtreibungen gefordert). Wir haben dazu einen offenen Diskurs geführt zu der Frage: Darf ein christliches Magazin zu Paragraf 219a eine Meinung haben und sie so publizieren? Und zwar so pointiert, wie das gewesen ist? Es gab eine scharfe, kommentierende Reaktion darauf. Bis hin zu der Aufforderung an die Kirche, die entsprechende Kollegin aus dem Amt zu entfernen. Dagegen habe ich mich gewehrt. Ich bin jederzeit zu Diskussionen bereit, halte es aber für absolut zwingend, dass sich unsere Medienprodukte und eben auch „Chrismon“ in vollständiger journalistischer Freiheit mit einem solchen politischen Thema auseinandersetzen dürfen. Die Diskurse mit den Medien aus dem evangelikalen Lager sind bis auf wenige Ausnahmen immer in einem fairen Rahmen verlaufen, insofern war ich damit nie unglücklich oder ärgerlich darüber. Klar, sie haben Kraft gekostet und Arbeit verursacht. Aber jeder dieser Diskurse hat uns auch weitergebracht – und zwar alle gemeinsam. Zurückschauend kann ich sagen: Auch in Auseinandersetzungen hat sich Vertrauen entwickelt.

Beim ersten christlichen Medienkongress im Gästehaus „Schönblick“ waren wir nicht dabei. Dann bin ich angesprochen worden, ob wir mitmachen wollen. Ich habe mir sehr genau überlegt, ob ich das will. Lohnt der Arbeitsaufwand, gibt es genügend Gemeinsamkeiten? Wir haben uns dafür entschieden – und ich habe es nie bereut. Gerade die Arbeit in einem christlichen Medienkongress hat in den Vorbereitungsteams ganz maßgeblich dazu geführt, dass wir Vertrauen zueinander entwickelt haben. Auch wenn es natürlich immer wieder auch Diskussionen um Referenten und Themen gegeben hat.

Das GEP wirkt von außen betrachtet ein bisschen wie ein Gemischtwarenladen. Wo liegt die Kernkompetenz?

Unsere Kernkompetenz ist Content. Also eine Aufarbeitung von Beiträgen und Nachrichten in evangelischer Perspektive gemäß unserem Leitbild: Fürsorge zu üben, Barmherzigkeit zu vermitteln, eine Stimme für die Stimmlosen zu sein. Das ist unsere inhaltliche Kernkompetenz. Die strategische Kompetenz bezieht sich darauf, die Inhalte in die Kanäle zu bringen, die die Menschen erreichen. Wenn wir aktuell mit Chrismon als Printprodukt 1,4 Millionen Menschen erreichen, sind wir im Moment auf dem richtigen Weg. Das kann sich aber ändern. Dann besteht die dritte Kompetenz darin, die strukturellen Voraussetzungen für Veränderungen zu schaffen.

Was steht als Überschrift über Ihrem weiteren Leben?

Die Bitte an Gott, dass ich noch ein paar Jahre gesund an der Seite meiner Frau und meiner Familie mit meinen erwachsenen Kindern, Schwiegerkindern und Enkelkindern habe. Das steht oben. Dann freue ich mich darauf, mehr Zeit für die Ehrenämter zu haben. Ich bin Lektor im Dekanat Hochtaunuskreis und halte Gottesdienste. Das macht mir große Freude, und dafür werde ich mehr Zeit aufwenden. Und ich singe im Chor. Was ich nicht tun will, ist, dass ich als Seniorberater für das Gemeinschaftswerk weiterarbeiten werde. Das schließe ich aus.

Herr Bollmann, vielen Dank für das Gespräch!

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