„Im Netz kann jeder Experte sein“

Qualität ist niemals allein eine Frage von Technik und Geschwindigkeit, sondern auch des wertschätzenden und würdevollen Umgangs miteinander. Dafür plädierte Markus Bräuer, Medienbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), beim Frankfurter Tag des Onlinejournalismus. Unter dem Motto "Mach's gut! Neue Medien, neue Qualitäten" diskutierten am Montag namhafte Experten.
Von PRO

Journalismus braucht mehr Haltung – mehr Mut zur Meinung. Internet-Nutzer sollten aktiv den Kontakt zu klugen Unbekannten suchen, um Wissenswertes zu erfahren, auch wenn diese sich zu Themen äußern, die nicht der eigenen Linie entsprechen. Onlinemedien werden anders genutzt als traditionelle Medien. So lauteten einige der Thesen, die Experten am Montag zum 8. Frankfurter Tag des Online-Journalismus äußerten. Veranstalter waren der Hessische Rundfunk (HR), der Medienbeauftragte der EKD, "evangelisch.de" sowie "epd Medien".

Bräuer sagte in seiner Begrüßungsrede, der arabische Frühling wäre ohne Facebook und Twitter kaum denkbar gewesen. "Soziale Netzwerke machen es möglich, sich einzumischen und zu einer politischen Meinungsbildung auch in den Ländern beizutragen, in denen freie und geheime Wahlen nicht denkbar sind – welch ein Gewinn." Zudem erwähnte er die Piratenpartei, die sich durch des Thema des freien Zugangs zum Internet gefunden habe und Transparenz in der Politik fordere. "Ich bin gespannt, welche Inhalte dann als Substanz auch noch dazu kommen."

Bräuer zeigte sich erfreut über die individuelle Hilfe, die das Netz beispielsweise für suizidgefährdete Jugendliche biete. Sie nähmen etwa die Plattform "U 25" wahr, eine anonyme Online-Beratung für junge Menschen unter 25 Jahren in Krisen und Suizidgefahr. "Wenn es dadurch gelingt, nur einige wenige, nur einen, von den zehntausend Menschen, die sich in jedem Jahr das Leben nehmen, von diesem Vorhaben abzuhalten, dann finde ich, haben wir ein gutes Angebot."

Im Zusammenhang mit der "Bewahrung der Schöpfung" nannte Bräuer den Schweriner Landtag als einen Vorreiter im ökologischen Umgang. Dieser habe alle Abgeordneten mit iPads ausgestattet und rechne nun vor, wie viel Papier dadurch gespart werden kann. Überdies warb er dafür, die mit den analogen Medien gemachten Erfahrungen "wie einen Schatz zu hüten". Auch in den neuen Medien brauche es Zeit für Recherche. Er zitierte Paulus: "Prüfet alles, aber das Gute behaltet."

Keine Selbstjustiz im Internet


Den Medienbeauftragten der EKD sorge jedoch, wenn das Internet zum Pranger wird. "Im Mordfall der 11-jährigen Lena aus Emden ist bekanntlich ein 17-jähriger Verdächtiger, dessen Unschuld sich später herausstellte, über Facebook regelrecht gelyncht worden." Die Unschuldsvermutung müsse auch im Internet uneingeschränkt gelten. Er führte auch die Hochspringerin Ariane Friedrich an, die den Namen ihres Stalkers und seine anzügliche E-Mail via Facebook öffentlich gemacht hatte. "Aber was, wenn die Mail ein Fake war?" fragte Bräuer. Zu den großen Entwicklungsstufen unserer Gesellschaft gehöre es, dass wir das Gewaltmonopol delegieren und nicht zu Selbstjustiz schreiten. Das müsse auch im Internet gelten. "Der Kategorische Imperativ von Immanuel Kant oder gleichen Inhalts die goldene Regel des Neuen Testaments ‚Wie du willst, das dir die Leute tun, das tue du ihnen auch‘ gilt auch heute und auch in den neuen Medien."

Manfred Krupp, Fernsehdirektor des HR, definierte den Qualitätsbegriff im Journalismus: "Meine Qualität ist umso höher, je mehr ich die Kundenerwartung, nämlich die Nutzererwartung, erfülle." Dieser Qualitätsbegriff sei zwar nicht ausreichend, meinte Krupp, aber notwendig. Er zeige: "Unsere Kunden erwarten von uns Zuverlässigkeit, saubere Recherche, Faktensicherheit, aber sie erwarten auch eine Aufbereitung in den jeweiligen Medien, die die Interessen der speziellen Nutzer trifft." Die Qualitätsdiskussion sei in den klassischen Medien durch den Qualitätsanspruch im Internet verschärft worden. Denn die Produkte seien im Netz auffindbar und es müsse eine neue Form der Nachhaltigkeit gepflegt werden. Jedoch gehe es in dieser Qualitätsdiskussion nicht mehr um "alte Fronten", sondern "wir alle wissen: In diesem Medium braucht man Textsicherheit, Klarheit und den Text, aber genauso braucht man Videos, Bilder und Audios. Und daraus zwei unterschiedliche Qualitätswelten zu machen, ist absurd." Zudem gebe es nicht mehr "die alten Verkündigungsmedien, sondern wir haben im Netz ein Kommunikationsmedium. (…) Im Netz kann jeder Experte sein" und zur Qualität beitragen.

Was interessiert den Zuschauer: Das Social-TV-Experiment


Über die Kommunikation mit dem Publikum sprach Richard Gutjahr, Mitarbeiter der Chefredaktion des Bayerischen Rundfunks (BR), der via Skype aus München zur Veranstaltung zugeschaltet war. Grund seiner Abwesenheit: Er befand sich in den Vorbereitungen für das Social-TV-Experiment "Rundshow", welches am Montagabend startete. In der Sendung können Zuschauer über Twitter, Facebook, Google+ oder die "Rundshow"-App Inhalte und den Verlauf der Sendung interaktiv mitgestalten und steuern. Gutjahrs Intention für die Sendung: "Wir wollen mit dieser Show einmal was anderes versuchen. Wir sind nach naiven Kriterien vorgegangen: Was würde mich als Zuschauer interessieren?" Das Fernseh-Experiment soll jetzt zunächst vier Wochen auf dem BR laufen.

Der freie Journalist Klaus Raab, der unter anderem für "Der Freitag", "evangelisch.de" und die "Frankfurter Rundschau" schreibt, sagte: "Online-Journalismus wird immer noch als Anhängsel gesehen und kommt in den Redaktionen noch an zweiter Stelle." Onlinemedien würden anders genutzt als sogenannte traditionelle Medien, sie ermöglichten und förderten die Aktivitäten des Users sowie den Dialog mit dem User und seiner Welt und die Darstellungsmöglichkeiten seien erweitert, so Raab.

Die Sachbuchautorin und Gewinnerin des "Grimme Online Awards" Kathrin Passig gab Tipps für die intelligente Nutzung des Internets: User sollten "klugen Leuten" folgen, Freunde nicht vorschnell für unzurechnungsfähig halten, wenn sie in Diskussionen anderer Meinung sind, neue Angebote nutzen, solange sie noch neu sind und manchmal auch ihre "comfort zone" verlassen.

Markus Beckedahl von "netzpolitik.org" und Miterfinder der Web-Konferenz "re:publica" sagte zu den anwesenden Medien- und Kommunikationsvertretern: "Fragt eure Leser und hört ihnen zu." Zudem vertrat er die Ansicht: "Journalismus braucht Haltung – mehr Mut zur Meinung", denn  Journalismus sei nie hundertprozentig objektiv, also sollten die Schreiber auch in gewisser Weise Stellung beziehen. (pro)

http://www.hr-online.de/website/specials/ftoj2012/index.jsp?startrubrik=73186
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