Politisch korrekt ist das sicherlich nicht, was Kelek in ihrem Buch "Chaos der Kulturen" vertritt und fordert. Etwa, dass in Sachen Fremdenfeindlichkeit in Deutschland Islamverbände "vor der eigenen Tür kehren" sollten und hinterfragen, was manche, "angeblich so tolerante und friedliebende Muslime" von den Deutschen halten. Die Kritik geht jedoch nicht nur in eine Richtung: Auch bei deutschen Einrichtungen nennt Kelek Versäumnisse beim Namen.
Bei dem Buch handelt es sich um eine Zusammenstellung von Reden und Schriften aus dem Zeitraum von 2005 bis 2011. Dem Leser begegnet ein breit gefächertes Sammelsurium von Textgattungen. So wird eine Rezension zum Anlass, über den Ursprung der unterschiedlichen Mentalitäten von Deutschen und Türken nachzudenken. Ein Essay vertieft dies mit einem geistesgeschichtlichen Abriss. Auf diese Weise betrachtet Kelek ein Problem aus vielen Perspektiven.
Versäumnisse auf beiden Seiten
Das Problem heißt Integration, die Einbindung von Menschen fremder Herkunft und Denkweisen in eine Gesellschaft. Meist geht es um Türken, die in Deutschland leben. Kelek kritisiert, dass Integration nicht stattfindet, sondern es zu einem "Nebeneinander" ohne Verständigung kommt. Und dass die deutsche Politik, deutsche Medien und deutsche Gerichte dies nicht nur billigen, sondern befördern – mal blinden Auges, mal aus Angst, mal völlig bewusst.
Dies macht Kelek an verschiedenen Beispielen deutlich: An dem Gericht, das bei einem Ehrenmordprozess darauf verzichtet, nach den Ursachen zu fragen, sondern nur am Tathergang interessiert ist. An dem Fernsehsender ZDF, der vor dem Druck von Islamverbänden einknickt und islamkritische Äußerungen als "Islamhetze" durchgehen lässt: "Kein gutes Zeichen für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk."
Auch sonst nimmt Kelek kein Blatt vor den Mund. Islamverbände in Deutschland kritisiert sie, weil sie Kritik am Islam und an Muslimen als "rassistisch" deuten. Kritik erfährt auch die deutsche Politik, die dieser Auslegung folgt und islamischen Verbänden Fördergelder aus öffentlichen Fonds gewährt, die für Kampagnen gegen Rechtsradikalismus vorgesehen sind.
Postmoderne Beliebigkeit in Europa
"Mich erschreckt der bewusste Versuch von Wissenschaftlern, Lobbyisten und Politikern, die eigene Geschichte und Kultur, die eigene Identität und damit Zukunft zu leugnen", bekennt Kelek. Die Ursache hierfür sieht sie in einer postmodernen Beliebigkeit, in einer Gesellschaft, die sich ihrer Werte nicht mehr sicher ist. Für Kelek sind die Werte Aufklärung und Freiheit zentral, und sie sieht den Islam nicht dazu in der Lage, diese zu integrieren.
Kelek stammt selbst aus einer türkischen Familie, mit der sie als Kind nach Deutschland kam. Dort führte die Familie ein streng muslimisches Leben, unter dem Kelek nach eigenen Angaben gelitten hat. Als Jugendliche hat sie sich aus dem engen Korsett, das ihr die Familie vorgab, befreit. Sie bezeichnet sich jedoch weiterhin als Muslimin. Nach dem Studium der Soziologie hatte sie verschiedene Anstellungen und promovierte schließlich 2001.
An der an sich gelungenen Aufmachung des Buches ist lediglich zu kritisieren, dass es wenig komfortabel ist, die Angaben zum Kontext der Texte im Anhang nachschlagen zu müssen. Davon abgesehen handelt es sich um ein lesenswertes Buch mit einem selten kritischen Blick auf die Möglichkeiten und Grenzen der Integration. (pro)
Necla Kelek, "Chaos der Kulturen. Die Debatte um Islam und Integration", Verlag Kiepenheuer & Witsch 2012, 9,99 Euro, 256 Seiten, ISBN 978-3-462044287