Idomeni: „Wohin sollen wir denn sonst gehen?“

Seit Wochen harren Tausende Flüchtlinge an der griechisch-mazedonischen Grenze aus in der Hoffnung, sie möge sich doch noch öffnen. Miriam Schöps von der Shelter-Mission war vor Kurzem für einen Hilfseinsatz dort. Zusammen mit ihrem Mann Christian, der den Einsatz organisierte, berichtet sie über die Situation der Flüchtlinge.
Von PRO
Tausende Flüchtlinge leben seit Wochen in Zelten an der griechisch-mazedonischen Grenze

pro: Warum waren Sie auf Idomeni im Einsatz, wo Shelter doch seinen Sitz in Kreta hat?

Christian Schöps: Wir wollten mit dem Einsatz vor allem die nationale Flüchtlingshilfe in Griechenland kennenlernen. Auf Kreta, wo auch wir wohnen, leben aufgrund der geografischen Lage nur wenige Flüchtlinge. Das kann sich aber in der nahen Zukunft ändern. Wir überlegen, wie wir die bestehenden Flüchtlingsdienste aktiv unterstützen können.

Wie ist die Lage in den Lagern in Idomeni und Piräus?

Miriam Schöps: Im Hafen von Piräus lebten bis vor wenigen Tagen an die 5.000 Flüchtlinge in ihren Zelten. Viele Syrer, Afghanen und andere Menschen hofften auf eine baldige Weiterreise mit den Schiffen. Freiwillige haben Essensausgaben gestemmt und geholfen, die vielen Menschen satt zu bekommen. Sogar der örtliche Fußballverein Olympiakos Piräus hat die Initiative ergriffen, mit in diesem Wettkampf der Nächstenliebe aktiv zu werden. Inzwischen wurden etliche Flüchtlinge „umgelagert“ nach Skaramanga, nordwestlich von Piräus. Für Griechenland ist der Tourismus in den Zeiten der Wirtschaftskrise eine unentbehrliche Einnahmequelle. Da nun die Sommerzeit mit den Touristen beginnt, wird auf diese Weise der Hafen „gereinigt“. Auf den griechischen Inseln sind zur Zeit etwa 7.500 Flüchtlinge. In Idomeni ist das größte Flüchtlingslager Griechenlands mit ca. 11.000 Menschen. Es ist ein „wildes“ Camp, wo sich Flüchtlinge einfach niedergelassen haben.

Wie ist die Stimmung in den Camps?

M.S.: Auf dem Weg zum Camp in Idomeni sahen und hörten wir mehrere Düsenflieger, Hubschrauber, Panzer und Jeeps des griechischen Militärs. Auch die Polizei war mit vielen Polizisten und Fahrzeugen präsent. Wir fühlten uns, als ob wir in ein Kriegsgebiet fahren. Wider alle Erwartungen wirkte die Stimmung im Camp in Idomeni sehr friedlich. Flüchtlingskinder spielten Polizisten auf der Straße Lieder auf der Flöte vor. Sobald sich unsere Blicke trafen, begrüßten die Flüchtlinge uns Freiwillige mit den Worten: „Hello, my friend!“. Einige riefen uns zu sich und baten uns selbstgekochte Falafel an. Sie waren sehr dankbar über alle Sachspenden wie Unterwäsche, Shampoo, Zahnbürsten und Windeln für Babys. Das hat uns überrascht. Einige versuchen in dieser herausfordernden Situation Geld zu verdienen. Es gibt mehrere Friseure und Zigaretten-Verkäufer. Überall sah man Zelte, vor denen Kinder rumliefen und Frauen, die auf kleinen Feuerstellen kochten. Es sind viele humanitäre Hilfsorganisationen vor Ort, die ihr Bestes geben. Das schätzen die Flüchtlinge und bringen es auch zum Ausdruck.

Warum sitzen die Flüchtlinge dort fest?

C.S.: Seit die Grenzen im Süden Mazedoniens nach Griechenland im Februar geschlossen wurden, können die Flüchtlinge nicht mehr auf dieser Route weiter Richtung Mittel- und Nordeuropa reisen. Sie warten an der Grenze mit der Hoffnung, dass diese bald geöffnet wird. Viele Flüchtlinge sind rat- und hilflos. Sie bitten die vielen Journalisten und ausländischen Helfer um Hilfe, die Grenzen zu überqueren. Ein kleines Mädchen hat einen Satz auf Deutsch gelernt: „Nimm mich mit!“ Viele Flüchtlinge fragen sich: „Wohin sollen wir denn sonst gehen?“ Einige sind bereits seit der Grenzschließung in Idomeni, andere kamen noch in den letzten Tagen dazu.

„Viele Griechen helfen gerne“

In Idomeni und am Hafen von Piräus hat die griechische Regierung nun damit begonnen, die Lager aufzulösen und die Flüchtlinge in staatliche Camps zu bringen. Warum wehren sich die Flüchtlinge dagegen?

C.S.: Die meisten Flüchtlinge lassen sich nur schwer davon überzeugen, in die staatlichen Lager umzusiedeln. Die schlechten Erfahrungen auf ihrer langen Reise, die Enttäuschungen, falsche Versprechungen von Schleusern und Politikern haben eine Skepsis erzeugt. Die Bedingungen mögen in den „wilden Camps“ nicht gut sein, aber immerhin sind die Bewohner bis zu einem gewissen Grad frei. Sie warten an der Grenze und hoffen, dass diese bald geöffnet wird oder sich eine Lücke ergibt. Die „wilden Camps“ stehen auch weniger unter staatlicher Überwachung, sodass es sich hier unkomplizierter leben lässt.

Wie wirken sich die Tausende Flüchtlinge auf das ganze Land Griechenland und die Bevölkerung aus?

M.S.: Die griechische Bevölkerung möchte helfen. Es besteht eine große Offenheit von Seiten der Griechen. In den Schulen wurden Sachspenden gesammelt und zu den Flüchtlingslagern geliefert. Mehrere Familien haben bereits Flüchtlinge aufgenommen. Doch wissen viele nicht, wie sie helfen können. Ein Teil der Griechen quält sich mit den Fragen, wie die Sommer-Saison mit den Touristen wird, unter den Umständen der Wirtschaftskrise und der Flüchtlingsflut. C.S.: Es ist toll, die griechische Gastfreundschaft auch gegenüber den Flüchtlingen zu sehen. Obwohl viele Griechen selbst in finanzieller Not sind, helfen sie gerne.

Auf welcher Route wollen die Flüchtlinge, die in Idomeni ankommen, reisen? Was ist ihr Ziel?

C.S.: Eine Heimat, die Frieden gewährleistet. Fernab von Krieg und Terror. Das Ziel von den meisten Flüchtlingen sind Länder in Mittel- und Nordeuropa. Dort hoffen sie darauf, dass ihre Träume und Vorstellungen wahr werden.

Mit welchen Erwartungen und Hoffnungen kommen die Flüchtlinge?

C.S.: Die Hoffnung der meisten ist eng verbunden mit Frieden – Frieden für sich selbst und die nächsten Generationen. Sie erwarten einen Ort, an dem sie willkommen und geliebt sind. Zusätzlich wünschen sich viele Flüchtlinge auch eine neue Heimat mit Wohlstand, Bildung und einer guten Infrastruktur. Hier befinden sie sich dann in Griechenland in einem Dilemma, da ihre Erwartungen nicht erfüllt werden können. Frustration, Trauer und Resignation sind weit verbreitet.

„Wir beten, dass Gott uns gebraucht“

Warum kommen die Flüchtlinge, obwohl viele doch sicher wissen, dass die Grenzen zu sind?

C.S.: Diese Frage ist schwer zu beantworten. Ich denke, dass die Hoffnung, doch irgendwie aufgenommen zu werden, eine große Rolle spielt. Falsche Versprechen von Schleusern und gezielte Fehlinformationen an den Grenzen tragen dazu bei.

Wie hilft Shelter?

M.S.: Wir sind von Piräus nach Idomeni gereist und haben Kontakt aufgenommen mit Flüchtlingen und Hilfsorganisationen. Gesammelte und gekaufte Sachspenden konnten wir zusammen mit tollen christlichen Willkommenskärtchen und Hörbibeln verschenken. Wir stießen auf große Begeisterung und Dankbarkeit. Die meiste Zeit unseres Einsatzes haben wir damit verbracht, in einer Essensausgabe mitzuarbeiten. Dort konnten wir mithelfen, täglich 3.000 Essensportionen vorzubereiten und zu verteilen. Außerdem sind wir auf einzelne Menschen und Familien in den Camps zugegangen und haben Gemeinschaft mit ihnen gehabt. Gemeinsame Essen in den Zelten und Fußballspielen mit den Flüchtlingen waren eindrückliche Erlebnisse für unser Team. Wir möchten auch gerne eine Flüchtlingsfamilie auf dem Shelter-Gelände in der Nähe von Chania auf Kreta aufnehmen. Wir beten, dass Gott uns gebraucht und wir seine Liebe weitergeben können. Möge er uns die Weisheit geben die nötigen Schritte weiterzugehen. C.S.: Das große Anliegen ist es zur Zeit, Flüchtlingsfamilien in Privathaushalten über mehrere Monate oder Jahre unterzubringen. Wir können uns auch vorstellen, Einsätze mit freiwilligen Helfern aus Deutschland in den Camps zu planen und umzusetzen. Uns ist es ein Anliegen, dass Christen in Deutschland die besondere Not der Flüchtlinge in Griechenland erkennen und für diese Menschen beten.

Erstmals werden in den vergangenen Wochen aufgrund des EU-Türkei-Abkommens wieder Flüchtlinge in die Türkei zurückgeschickt. Wird das Abkommen das Flüchtlingsproblem verringern?

C.S.: Das Abkommen ist einer von vielen Versuchen, die Flüchtlingsströme nach Europa einzudämmen. Die politische Entscheidung ist schwer zu beurteilen. Unsere Arbeit besteht darin, Menschen in der Not zu helfen, unabhängig ihres Hintergrunds. Hier wollen wir prüfen, wie wir das praktisch umsetzen können.

Was würde auf politischer Ebene helfen?

M.S.: An dieser Stelle ist guter Rat teuer. Was letztlich politisch gesehen die optimale Lösung ist, wissen auch die Politiker nicht. Wir wollen um Weisheit für die Regierungen beten. Möge Gott gangbare Wege aufzeigen und diesen vielen heimatlosen Menschen gnädig sein. C.S.: Unser Hauptaugenmerk als Werk gilt den Menschen in dieser schlimmen Situation. Wir möchten unseren Teil dazu beitragen, dass Menschen neue Hoffnung finden, dass sie sich geliebt fühlen. Wir möchten in Taten und Worten auf die Liebe Gottes hinweisen. Denn bei Ihm sind alle Menschen willkommen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Swanhild Zacharias. Christian und Miriam Schöps sind seit 2012 als Mitarbeiter der Shelter-Mission in Griechenland. Sie haben drei Kinder. Christian ist Vorstandsvorsitzender der Shelter-Mission e.V. in Deutschland. (pro)
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