„Hürriyet“ und Co: Streit um Ausländerkriminalität

Der Wahlkampf des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) bewegt die Gemüter. In Deutschland erscheinende türkische Zeitungen wie die "Hürriyet" werfen dem Politiker eine ausländerfeindliche Kampagne vor - ihre Berichterstattung jedoch überschreitet jegliche Grenze. Ist darin doch von "Nazimethoden gegenüber Muslimen" oder "Konzentrationslagern" für Jugendliche die Rede.
Von PRO

Als ein 17-jähriger Grieche und ein 20-jähriger Türke einen 76-jährigen pensionierten Schuldirektor vier Tage vor Weihnachten in der Münchner U-Bahn brutal zusammengeschlagen hatten, forderte Koch härtere Strafen für kriminelle jugendliche Ausländer. Der Vorfall beweise, dass die Integrationspolitik in Deutschland eine „multikulturelle Verblendung“ und verfehlt worden sei. „Wir haben zu viele kriminelle junge Ausländer“, sagte Koch in einem Interview mit der „Bild“-Zeitung.

Politiker und Experten distanzierten sich von Koch, und das umso mehr, als dieser Mitte Januar zusätzlich forderte, „in Ausnahmefällen“ müsse das Jugendstrafrecht auch bei Kindern unter 14 Jahren angewandt werden. Dafür müsse das bestehende Jugendstrafrecht geändert und Erziehungslager – so genannte „Boot Camps“ – eingeführt werden.

Türkische Zeitungen werfen Koch „Lynchkampagne“ vor

Vor allem aber wiegelte die türkische Presse in Deutschland zum Protest auf. „Konzentrationslager! Deutschland bereitet für straffällige jugendliche Migranten Einrichtungen vor, die KZs ähneln“, schrieb die türkische Tageszeitung „Hürriyet“. Die Zeitung verkauft sich täglich 40.000 Mal, erreicht nach eigenen Angaben 700.000 Leser pro Tag und ist damit die am häufigsten gelesene Zeitung unter türkischen Einwanderern in Deutschland.

Die „Hürriyet“, was übersetzt „Freiheit“ heißt, sprach von einer „Lynchkampagne“ Kochs gegen Migranten. Der hessische Wahlkampf und die deutsche Einwanderungspolitik seien „ein letzter Kreuzzug gegen die Türken in Deutschland“. In einem roten Kasten erinnerte die Zeitung ihre Leser an die Aktion Kochs im Wahlkampf von 1999: die CDU Hessen führte eine umfangreiche Unterschriftenaktion unter dem Titel „Ja zu Integration – Nein zu doppelter Staatsangehörigkeit“ durch. Damit erreichte sie, dass Türken auch nach der Staatsbürgerschaftsreform den deutschen Pass nicht als Zweitpass haben dürfen. Die sind bis heute empört, weil etwa Schweizern der Doppelpass erlaubt ist, ihnen jedoch nicht.

Auch die türkische Zeitung „Milliyet“ empörte sich vor kurzem: „Vor der Wahl hat der Stimmenjäger Koch wieder eine hässliche Kampagne gestartet, die sich an Ausländern aufhängt“. In Bezug auf das Motto von der CDU-Wahlkampfplakate, „Sicher leben“, mit dem die Forderung nach einer leichteren Abschiebung krimineller Ausländer geknüpft ist, schrieb die Zeitung im Aufmacher ihrer Europaausgabe: „Koch plakatiert Ausländer“. Weiter hieß es in dem als eher liberal geltenden Blatt: „Aus Angst, die Wahl zu verlieren, wandelt er die Gewalttaten von Jugendlichen in der U-Bahn in rechte Stimmen um“.

„Immer sind die Türken die Zielscheibe“

Auch die türkische Zeitung „Türkiye“ schrieb: „Er fühlt sich in die Ecke gedrängt und spaltet deshalb die Gesellschaft.“ Der „Hürriyet“-Kolumnist Yalcýn Dogan sieht in den Forderungen Kochs „einen Kreuzzug der Deutschen gegen die Türkei“. „Es vergeht kein Augenblick in Deutschland, ohne dass die Türken nicht aus irgendeinem Grund beleidigt, diskriminiert oder aus Versehen gekränkt werden“, so Dogan. „Wann immer es Probleme mit Ausländern gibt, sind Türken die erste Zielscheibe.“

Wie das Magazin „Focus“ berichtet, nannte die „Hürriyet“ die Äußerungen des Berliner Oberstaatsanwalt Roman Reusch „rassistisch“, weil dieser erneut die ausufernde Jugendgewalt in den Berliner Problemstadtteilen angeprangert hatte. Zudem behauptete die Zeitung, er habe in einem Referat von „genetischen Missetätern“ gesprochen. Focus: „Kein Wort davon hat Reusch gesagt.“

„Judenstern und Nazimethoden gegen Muslime“

Am Tag vor Heiligabend titelte „Hürriyet“: „Nazimethoden gegenüber Muslimen“. Bei einem Bild eines Judensterns stand: „Es fehlt nur noch der gelbe Stern.“ In den Unterzeilen erklärte die Zeitung, warum sie sich so aufregt: „Jetzt verlangen Minister der CDU/CSU von den Muslimen auch noch eine Unterschrift unter einer Erklärung ‚Ich werde keine Gewalt anwenden‘.“ Tatsächlich hatten zwei Unions-Politiker gefordert, dass Muslime eine solche Gewaltverzichtserklärung unterzeichnen sollten. Denn kurz zuvor hatte das Bundesinnenministerium eine Studie veröffentlich, wonach knapp 40 Prozent der Muslime die Anwendung von Gewalt bei einer Bedrohung des Islams durch den Westen für gerechtfertigt halten.

Seit Wochen beäugen die türkischen Tageszeitungen Gewaltvorfälle in Deutschland ganz besonders, vor allem, wenn dort Türken die Opfer und Deutsche die Täter sind. Werden die deutschen Jugendlichen ebenso in die Pflicht genommen? Fordern die Politiker auch dann verstärkte Strafmaßnahmen? Am vergangenen Sonntag veröffentlichte die „Hürriyet“ das Bild eines 14-jährigen türkischen Jungen, der in Duisburg von einem betrunkenen, 45-jährigen Deutschen krankenhausreif geschlagen worden war. Darunter stand die Frage: „Warum ist der Deutsche, der diesen türkischen Jugendlichen verprügelt hat, in Freiheit?“ Serkan A., der in München einen Deutschen getreten hatte, sitze hingegen längst hinter Gittern.

Zudem macht die Zeitung derzeit gerne Werbung für die Parteigegner Kochs, wie etwa seine Herausforderin Andreas Ypsilanti (SPD). Die Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Claudia Roth, wurde am Mittwoch auf der Titelseite mit den Worten „Ich schäme mich für Koch“ zitiert. (PRO)

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