„God ist taller than a tower, we need to pray. – Gott ist größer als jeder Funkturm, wir sollten beten.“ Othow Okoti schaut mich mit einem jungenhaften Lächeln an. Ich hatte einen Scherz gemacht, seine Antwort war ein wenig amüsiert, aber auch sehr ernst. Okoti betreibt eine Radiostation in Pochalla, einer Provinz im Osten des Südsudan. Sein Funkturm ist 75 Meter hoch, er erreicht die gesamte Region, in der über 100.000 Menschen verstreut wohnen. „Wenn ich einen 125-Meter-Turm bauen würde, könnte ich bis nach Äthiopien senden.“ Worauf ich erwiderte: „Und wenn es 200 Meter wären, könntest du Elon Musk erreichen, damit er erfährt, welche Auswirkungen es vor Ort hat, dass er in den USA die Entwicklungszusammenarbeit durch USAID eingestampft hat.“ Okoti schmunzelt, aber der tiefgläubige Mann ist überzeugt, dass dauerhafte Hilfe nur von Gott kommen kann. Und für unsere Gebete brauchen wir keine Türme.
Othow Okoti stammt aus Pochalla. Während seiner Schulzeit macht der Teenager eine Ausbildung zum Peace Champion und bringt in seiner Kirchgemeinde Jugendliche aus verfeindeten Stämmen an einen Tisch. Die Leitung der presbyterianischen Kirche ist davon so beeindruckt, dass sie ihm ein Stipendium anbietet. Er geht nach Sambia und absolviert den Studiengang „Peace Building and Reconciliation“. Nach dem Bachelor, den er mit Auszeichnung abschließt, erhält er ein Masterstipendium in den USA. Mehrere Jobs in den Staaten werden ihm angeboten. Doch ihn bewegen die Vorgänge in seiner Heimat. Rebellen hatten sich in die Provinz zurückgezogen und die Bevölkerung mit brutaler Gewalt unterdrückt. Nach deren Abzug brachen alte Rivalitäten um die Nutzung des Landes auf. Farmer und Nomaden liefern sich blutige Kämpfe, Kinder werden entführt, Frauen missbraucht. Okoti weiß: Hier wird die Botschaft der Versöhnung gebraucht, und er hat das Rüstzeug bekommen, etwas dafür zu tun. In ihm nimmt eine Idee Gestalt an: Wenn er eine Radiostation aufbaut und die Häuser mit kleinen Empfängern versorgt, könnte er die Menschen mit Friedensbotschaften erreichen. Tatsächlich findet er Sponsoren, die seine Idee unterstützen.
Mehr als nur Radio
Zurück in Pochalla erntet er Gelächter. Eine Radiostation? Das kann sich niemand vorstellen. Auch die Behörden verweigern die Lizenz. Doch Okoti ist keiner, der schnell aufgibt. Er kauft ein kleines Grundstück und baut ein schalldichtes kleines Haus für sein Studio. Seine Lizenz klagt er vor Gericht ein. Da laut Verfassung jeder Mensch ein Recht auf Information hat, es aber keinen staatlichen Sender in Pochalla gibt, bekommt er die Sendeerlaubnis. Als schließlich der Hubschrauber – Pochalla liegt in einem Sumpfgebiet und ist mit dem Auto nicht zu erreichen – mit den Bauteilen für den Funkturm einfliegt, kommen die Dorfbewohner aus dem Staunen nicht heraus. „Pochalla FFM 880“ geht auf Sendung.
Okoti findet Gehör, viele Menschen sprechen ihn an, erzählen ihre Geschichten. Und ihm wird schnell klar: Es kann nicht beim Radio bleiben, die konkreten Probleme der Menschen müssen angepackt werden. Er gründet eine NGO, baut eine Schule und ein Schutzhaus für traumatisierte Frauen. Gelder akquiriert er in Kirchgemeinden im Ausland, Unterstützung durch USAID kommt dazu.
Okotis Traum wird Wirklichkeit. Doch dann brechen zwei neue Katastrophen über das Land herein: 2022 zerstört eine Flut die Ernte, nachdem eine lange Trockenzeit die Böden so ausgedörrt hatte, dass sie kein Wasser mehr aufnehmen können. Viele Menschen müssen aus ihren Hütten fliehen. Der Klimawandel ist sehr konkret in Pochalla. Während der Flut gelingt mithilfe des Radios, eine Panik zu vermeiden. Stündlich werden neueste Entwicklungen gemeldet und Hilfsmaßnahmen koordiniert.

Ein knappes Jahr später wird der Commissioner ermordet, der Landrat von Pochalla, den die Zentralregierung in Juba eingesetzt hatte. Den Bewohner wurden Hilfen von der Regierung versprochen. Als den Worten keine Taten folgen, kocht die Stimmung hoch. Ich war im Juli 2023 in Pochalla, die Spannung war auch für uns Besucher mit Händen zu greifen. Schließlich greift ein junger Mann zur Waffe. Um eine vollständige Eskalation zu vermeiden, sichert die Regierung nun zu, dass der nächste Commissioner von der Bevölkerung gewählt werden darf. Es kommt, wie es kommen muss: gewählt wird Okoti, jetzt ist er „The Honorable Commissioner Othow Okoti“.
Als wir ihn im Februar 2025 treffen, ist er von einer fröhlichen Schar junger Menschen umgeben. Die Atmosphäre in Pochalla ist wie ausgewechselt. Als er uns seine Geschichte erzählt, sind wir mehr als erstaunt. „Ich wollte nie Politiker werden, aber Gott hat es so geführt, jetzt versuche ich in dieser Rolle das Beste für die Menschen hier zu erreichen.“
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Was nicht leicht ist. Die neueste Herausforderung: 30 Tage vor unserem Besuch haben die USA ihre Entwicklungsbehörde geschlossen und vorübergehend alle Zahlungen eingestellt, die Zukunft vieler Hilfsprojekte ist ungewiss. Darum mein Scherz über den Funkturm und Elon Musk. Doch Okotis Antwort zeigt, dass er sich davon nicht unterkriegen lassen wird: „God is taller than a tower.“
Von: Uwe Heimowski