Honecker – „Der Feind in meinem Haus“

Über die Rolle der Kirchen im geteilten Deutschland haben Experten am Dienstagabend in Berlin diskutiert. Das Thema Wendezeit lockte schon am Montag über vier Millionen Menschen vor den Fernseher. In der Dokumentation "Der Sturz – Honeckers Ende" kamen nicht nur zahlreiche Kirchenleute, sondern erstmals seit Jahrzehnten auch die Witwe des Machthabers zu Wort.

Von PRO

Geteiltes Deutschland – geteilte Kirche? Das fragten und diskutierten Martin Kruse, ehemaliger Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Christoph Demke, Bischof i.R. der Kirchenprovinz Sachsen, der Pfarrer und DDR-Bürgerrechtler Stephan Bickhardt und der Kirchenhistoriker Peter Maser in der "Bundesstiftung Aufarbeitung". Kruse nannte die Kirche in der Zeit des geteilten Deutschlands eine "Verantwortungsgemeinschaft für die deutsche Geschichte" und "für die Zukunft". Demke betonte, gerade durch die Trennung der Staaten sei eine "intensive Partnerschaft" zwischen den Kirchen entstanden. Bickhardt hat beide Kirchen als geteilt erlebt, würdigte aber die "Bemühungen um Gemeinschaft". Ein Schlaglicht auf die historischen Tatsachen jenseits des emotionalen Erinnerns warf Maser: Er bezeichnete die Kirche trotz politischer Uneinigkeiten als "einzige funktionsfähige gesellschaftliche Großorganisation", die an der deutschen Einheit festgehalten habe. Keine Institution im geteilten Deutschland habe so viel für das Miteinander über die Grenzen hinweg getan. Das komme einem "heute fast vergessenen Wunder" gleich, sagte er, auch weil sich die Kirchen in Grundsatzfragen häufig eher "ertragen" als vertragen hätten. Der Sender RBB strahlt die komplette Podiumsdiskussion am Ostersonntag um 11.05 und 16.05 Uhr im Inforadio aus.

Kirche in der Wendezeit auch im TV

Das Thema Wendezeit lockte bereits am Montagabend 4,2 Millionen Zuschauer vor die Fernsehschirme. In der NDR-Dokumentation "Der Sturz – Honeckers Ende" kam erstmals seit 20 Jahren Margot Honecker im Rahmen eines Interviews zu Wort – und zeigte auch rückblickend keine Reue. Die DDR sei ihr Leben gewesen, erklärte sie. Eine "Tragik" sieht sie darin, dass es "dieses Land nicht mehr gibt". Auf die vielen Opfer, die etwa beim Überqueren der innerdeutschen Grenze erschossen wurden, angesprochen, sagte sie: "Der brauchte ja nicht über die Mauer zu klettern." Ihr täten vor allem die hinterbliebenen Mütter Leid, die unter der "Dummheit" ihrer Söhne zu leiden gehabt hätten. Jeglichen Hinweis auf Unrecht in der DDR lehnte Margot Honecker, die seit dem Ende des Staates in Chile lebt, ab.

Zu Wort kamen in der Dokumentation auch zahlreiche Kirchenmänner, die die Wendezeit und das Ende Honeckers erlebt haben. Der ehemalige Minister für Kirchenfragen und der letzte Ministerpräsident der DDR, Lothar de Maizière, beschrieb Honecker etwa als "schlichtes Gemüt", das die "Schmuddeligkeiten" in seinem Staat still geduldet habe. Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt nannte ihn "nicht sonderlich intelligent", "taktisch" und "zweckmäßig". Der einstige stellvertretende Vorsitzende des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR und spätere brandenburgische Ministerpräsident, Manfred Stolpe, erklärte, Honecker habe in seiner "eigenen Wirklichkeit" gelebt, umgeben von Menschen, die ihm nach dem Mund geredet hätten. So habe er die wahre Lage der Nation nie erkennen können.

"Heiße Kartoffel" im eigenen Haus

Nach dem Fall der DDR wurde Honecker zunächst festgenommen. Eine Anklage wegen Hochverrats stand im Raum. Als diese fallengelassen und die Honeckers entlassen wurden, stand das Ehepaar auf der Straße – in einem Staat, der seine ehemalige Führung hasste. Als Einziger erklärte sich der evangelische Pfarrer Uwe Holmer bereit, Margot und Erich Honecker aufzunehmen. "Die Kirche hat sich nicht freiwillig gemeldet", erklärte Stolpe in der Dokumentation. Sie habe aber gespürt, dass die Regierung hilflos gewesen sei. Für Holmer war Honecker eine "heiße Kartoffel" und "der Feind in meinem Haus", wie er in der Doku erklärte. Zehn Wochen lebte das Ehepaar bei Holmers in Brandenburg. "Nicht gerade begeistert" sei die Atheistin Margot Honecker darüber gewesen, im Hause eines Geistlichen zu leben. Sie habe das als "Demütigung meiner Partei" verstanden, die antikirchlich aufgestellt war.

Sogar als der Mob Holmer und den Honeckers drohte und die Auslieferung des ehemaligen Staatsführers forderte, stellte sich der Pfarrer vor den Gestürzten. "Uwe Holmer hätte auch zum Märtyrer werden können" erinnerte sich Stolpe im Film. Stattdessen wurden die Honeckers schließlich in eine staatliche Einrichtung im Ort Lindow überführt. "Ein Wunder, dass da nichts passiert ist", kommentierte auch der DDR-Bürgerrechtler Rainer Eppelmann die Lage im Nachhinein. Erich Honecker wurde schließlich freigesprochen und wanderte nach Chile aus. 1994 starb er dort. (pro)

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