Homeschooling – Deutschland, die „einsame Insel“

K a s s el (PRO) - Dass Eltern strafrechtlich verfolgt werden, wenn sie ihre Kinder lieber zu Hause unterrichten, ist ein typisch deutsches Phänomen. In anderen Ländern werden "Homeschooling"-Eltern sogar staatlich unterstützt. Der Marburger Soziologe Thomas Spiegler hat für seine Doktorarbeit Anhänger des Heim-Unterrichts befragt.
Von PRO

In den USA ist „Homeschooling“ ganz normal, etwa zwei Millionen Schüler lernen daheim statt in der Schule. Auch in Großbritannien und Finnland müssen die Kinder nicht notwendigerweise in die Schule gehen, wenn sie Unterricht erhalten sollen. In Österreich bekommen solche Eltern sogar Unterrichtsmaterialen von der Schule zugeschickt.

In Deutschland wurde die allgemeine Schulpflicht 1871 eingeführt; sie ist allerdings nicht direkt im deutschen Grundgesetz verankert, sondern wird jeweils von den einzelnen Bundesländern geregelt. Die Verletzung der Schulpflicht gilt in allen Bundesländern als Ordnungswidrigkeit und kann mit Bußgeldern von bis zu mehreren tausend Euro geahndet werden. In manchen Bundesländern wie Hessen kann das ständige Fortbleiben von der Schule als Straftat gewertet und mit Freiheitsentzug von bis zu sechs Monaten oder einer Geldstrafe von bis zu 180 Tagessätzen belegt werden. Oft jedoch werden daheim unterrichtende Eltern kaum behelligt und stillschweigend geduldet, so Spiegler.

Spiegler: Thema „Homeschooling“ wird wichtiger

Der Soziologe ist davon überzeugt, dass das Thema „Homeschooling“ in Deutschland an Bedeutung zunehmen wird. Denn immer mehr Eltern sind von dem Konzept überzeugt; die Kritik am deutschen Bildungswesen wächst, nicht zuletzt wegen der PISA-Studie; die Vernetzung im Bereich „Homeschooling“ wurde besser, sodass Eltern effektiver zu Hause unterrichten können. Spiegler: „Im Zeitalter der Globalisierung wird zunehmend Bezug genommen auf Situationen in anderen Ländern. Deutsche Homeschooler begreifen sich als Teil einer weltweiten Bewegung. Damit sinkt die Akzeptanz des Umstands, dass Bildungswege, die anderswo legal und erfolgreich sind, hier unter Strafe stehen.“

Wie die „Frankfurter Neue Presse“ berichtet, befragte der Soziologe Spiegler mehr als 100 Homeschooling-Anhänger. Ihm sind insgesamt mehr als 700 deutsche Familien bekannt, die den Unterricht lieber in den eigenen vier Wänden erteilen. Spiegler hat Theologie studiert und ist gegenwärtig Doktorand im Fach Soziologie an der Philipps-Universität in Marburg. Seit über zwei Jahren beschäftigt er sich mit dem Thema „Home Education“. Seine Doktorarbeit wird er in Kürze veröffentlichen.

Die Gründe dafür, Kinder zu Hause zu unterrichten, sind unterschiedlich. „Schulunterricht zu Hause ermöglicht Eltern, ihren Kindern eine ihren körperlichen, seelischen und geistigen Fähigkeiten entsprechende Bildung zu geben“, findet der Verein „Schulunterricht zu Hause“. „Häusliche Schulunterrichtung bietet beste Bildungschancen für das Kind.“ Viele Eltern mit christlicher Prägung stören sich daran, dass in staatlichen Schulen die Evolutionstheorie Darwins unkritisch gelehrt wird, dass der Sexualkunde-Unterricht zu freizügig durchgeführt wird oder dass mit den Kindern esoterische „Phantasiereisen“ mit Fabelwesen unternommen werden.

Verein „Schulunterricht Zuhause“ hofft auf Besserung

Familie Bauer aus dem hessischen Vogelsbergkreis hatte seine Kinder über Jahre hinweg nicht zur Schule geschickt, sondern selbst unterrichtet, weil sie fürchteten, sie könnten „zwangssexualisiert“ und „zur Zügellosigkeit und Ausschweifung animiert“ werden. Der Vater sieht christliche Erziehungsgrundsätze wie Schamhaftigkeit und Gehorsam gegenüber den Eltern von Schulen unterwandert und hatte sogar Verfassungsbeschwerde eingelegt. Ohne Erfolg. Das Land Hessen verurteilte das Ehepaar im April zu einer Geldstrafe von 2.000 Euro. Dass Kinder mit Polizeigewalt zur Schule gebracht werden, sei rechtlich zwar möglich, komme aber praktisch nicht vor, schreibt die „Frankfurter Neue Presse“ unter Berufung auf das hessische Kultusministerium.

Dem Interessenverband „Schulunterricht Zuhause“ aus Dreieich, der im Jahr 2000 gegründet wurde, gehören mittlerweile 130 Familien an. „Die Schulpflicht widerspricht der grundgesetzlich garantierten Glaubens- und Gewissensfreiheit und dem Schutz der Familie“, ist der Vorsitzende Armin Eckermann überzeugt. Er ist optimistisch, dass sich in Sachen „Homeschooling“ etwas tut, schließlich sei Deutschland mit seiner strikten Ablehnung des heimischen Unterrichts noch eine „weltweit einsame Insel“. Der UN-Bildungsbeauftragte Vernor Munoz hatte der Bundesregierung Mitte März sogar empfohlen, „Homeschooling“ zuzulassen.

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