Hoffnungsträger für die Ukraine gesucht

Die Lage in der Ukraine ist nach wie vor schwer durchschaubar. Burkhard Rudat ist Missionsleiter des Hilfswerkes „Brücke der Hoffnung“ und häufig im Land unterwegs. Aus seiner Sicht brauchen die Menschen vor allem eins: Hoffnung. Darüber berichtet er im Gespräch mit pro.
Von PRO
In Großstädten haben die Menschen in der Ukraine demonstriert. An der Lebenswelt der armen Menschen geht das vorbei, meint Burkhard Rudat vom Missionswerk Brücke der Hoffnung

pro: Herr Rudat, welche Eindrücke haben Sie von ihrem letzten Ukraine-Besuch mitgebracht?

Rudat: Zunächst einmal muss ich sagen, dass es in der Ukraine drei Welten gibt. Da ist die Hauptstadt Kiew, dann gibt es viele Kleinstädte und dann die kleinen Dörfer. Dort ist die Armut am größten. Vor allem in den Dörfern und Kleinstädten herrscht große Hoffnungslosigkeit. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Nach dem Zweiten Weltkrieg sorgten die Trümmerfrauen mit ihrem Engagement dafür, dass es in Deutschland wieder bergauf ging. In der Ukraine ist das genaue Gegenteil der Fall. Die Menschen haben Viktor Janukowitsch erlebt (den früheren Ministerpräsidenten bzw. Präsidenten der Ukraine, d. Red.). Sie haben die orangene Revolution erlebt. Egal, was sich politisch tut: Die Menschen meinen, dass es ja doch nichts hilft. Es liegt eine Depression über dem Land. Wir brauchen dringend Hoffnungsträger für die Ukraine. Sie müssten praktische Dinge für die Bevölkerung machen, etwa Gemüse und Kartoffeln anpflanzen und die Menschen ganz praktisch versorgen.

Sie nennen ihre Wirkungsorte die „vergessenen Dörfer“. Bekommen die Menschen dort die politischen Entwicklungen überhaupt mit?

Nein, das ist für die meisten von ihnen nicht Teil ihrer Lebenswirklichkeit. Ihnen geht es ums nackte Überleben. Rentner bekommen hier 50 Euro im Monat, die Wohnnebenkosten liegen bei 25 Euro. Nur um ein Gefühl dafür zu bekommen: Es gibt keine Zeitungen und ganz wenige Schwarz-Weiß-Fernseher, auf dem die Menschen die Konturen erkennen können. Die Preise steigen ständig an. Jetzt hatten wir den Fall, dass vor einer Operation eine Frau gefragt wurde, ob sie die westliche oder die ukrainische Narkose haben möchte, weil diese unterschiedlich viel kosten. Die Menschen sind in einem brutalen Überlebenskampf.

Welche Auswirkungen hat die derzeitige Instabilität auf Ihre Arbeit als Hilfswerk?

Wir haben derzeit viele Flüchtlinge. In einer der Städte wurde ein altes Hotel, das seit Jahren nicht mehr bewohnt ist, dafür umgewidmet. Pro Tag und Flüchtling hatte die Regierung zunächst 5 Euro versprochen. Als auch nach mehreren Wochen kein Geld mehr floss, hat die Regierung die Zusagen zurückgezogen. Die Flüchtlinge mussten den Ort wieder verlassen. Damit wir uns richtig verstehen: Das sind nicht die „typischen“ Flüchtlinge, die wir aus Afrika kennen und vor Augen haben. Das sind alles gebildete Leute. Sie haben nur noch ihre Kleidung am Körper. Wenn der Winter anbricht, wird es für sie sehr schwer. Hinzu kommt, dass Russland nicht mehr in der Ukraine einkauft, und die Arbeitslosigkeit deutlich steigt, analog zur Hoffnungslosigkeit.

Wo sehen Sie die Chancen und Gefahren der Zukunft?

Die Gelder, die aus Europa und der EU fließen, werden nicht nachhaltig verwendet. Das politische System des Landes und das Schulsystem müssten dringend überarbeitet werden. Aber das ist eine Mentalitätsfrage. Die Ukrainer leben nach dem Prinzip: „Gib, gib, gib“. Aus meiner Sicht kann das bis zu 30 Jahren dauern, bis sich hier etwas verändert. Über das, was sie bekommen, wollen die Ukrainer keine Rechenschaft ablegen. Wenn es Winter wird, ist wahrscheinlich oft genug schnelle Hilfe notwendig, etwa wenn Heizungen in Schulen ausfallen. Die Lohnnebenkosten sind so gering, dass die Regierung gar nicht weiß, mit welchem Geld sie die Löcher als erstes stopfen muss. Die Frage ist: „Wo fängst du an? Da könnte jeder in der Regierung sein. Mit dem wenigen Geld kannst du nichts machen.“

Sehen Sie trotzdem noch Chancen für das Land?

Chancen haben die kleinen Projekte, die etwas Konkretes anfangen, was den Menschen hilft. Die Hilfsgüter müssen einfach konstant und nachhaltig eingesetzt werden. Dazu ist es von Vorteil, wenn man mit Einheimischen zusammenarbeitet und die Menschen vor Ort ausbildet.

Herr Rudat, vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Johannes Weil. (pro)
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