„Hier gilt die säkulare Frau als unterdrückt“

Seit Beginn des Ramadan ist der salafistische Sender "Maria TV" in Ägypten zu sehen. Die Betreiber beschäftigen ausschließlich vollverschleierte Frauen – sowohl vor als auch hinter der Kamera (pro berichtete). Für die Islamwissenschaftlerin Isabelle Wöhler macht das deutlich, wie die Salafisten Einfluss auf die ägyptische Gesellschaft und Politik nehmen wollen. pro gab sie ein Interview zu dem Thema.

Von PRO

pro: Wird ein Sender wie "Maria TV" künftig zum medialen Alltag Ägyptens gehören? Wird es so etwas häufiger geben?

Isabelle Wöhler: Ägypten hat eine sehr vielfältige Medienlandschaft von halbstaatlichen und privaten Medien und es ist nicht verwunderlich, dass ein Programm wie "Maria TV" ausgestrahlt wird. Nach der Revolution sind die Salafisten zwar erstmals in den westlichen Medien sichtbar geworden, aber die Bewegung ist schon länger in Ägypten aktiv und hat in den vergangenen Jahren sehr viel innerhalb des Landes, besonders bei jungen Menschen, missioniert. Ob es mehr Frauen mit Niqab im TV geben wird? Sicher nicht im Staatsfernsehen, da hier das Militär und das alte Establishment mitreden, aber bei einem privaten Sender wie "Al-Umma", der "Maria TV" ausstrahlt, kann man damit rechnen.

Zeigt das das Machtstreben der Salafisten?

Die Salafisten wurden im November 2011 ins Parlament gewählt und verfügen über eigene Medien, mit denen sie ihre Sicht des Islam verbreiten. Es handelt sich um eine Bewegung, die wahrscheinlich auch aus Saudi-Arabien mit Geld gesponsert wird und neben den Muslimbrüdern ihren Einfluss in der Gesellschaft und Politik umsetzen will.

Die Macher begründen den Senderstart damit, dass sie etwas für die Frauen tun wollen, die einen Niqab tragen, weil diese in Ägypten diskriminiert würden. Stimmt das?

In den staatlichen Medien gibt es keine Moderatorin mit Niqab. Hier treten die Moderatorinnen westlich gekleidet und unverschleiert auf. In einigen privaten Gesellschafts-Klubs und einigen teuren Restaurants in Kairo wird Frauen mit Kopftuch der Zutritt verweigert. Dies ist eine Form der Diskriminierung. Inwieweit eine vollverschleierte Frau auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert wird, kann ich nicht beurteilen. Ich vermute, dass sie keine Anstellung im öffentlichen Dienst erhalten können und auch in der freien Wirtschaft benachteiligt werden. Es bleibt aber fraglich, inwieweit eine vollverschleierte Frau an der bestehenden Gesellschaft partizipieren würde, wenn sie die Möglichkeit dazu hätte. "Maria TV" scheint im Gegenzug Frauen, die kein Kopftuch tragen und Männer genauso auszuschließen.

Die Betreiber von "Maria TV" stellen den Sender als emanzipatorisches Projekt dar, weil sie gläubige Frauen vor die Kamera bringen. Können Sie der Argumentation folgen?

Es scheint für die salafistische Bewegung selbst ein emanzipatorisches Projekt zu sein, mit dem sie ihre Anhängerinnen sichtbarer machen kann, nachdem vergangenes Jahr auf einigen Wahlplakaten der Salafisten nicht einmal Fotos von Frauen mit Niqab gedruckt werden durften. Die Salafisten verändern sich seit der Revolution sehr schnell und nehmen jetzt als politische Kraft einen wichtigen Platz in der öffentlichen Wahrnehmung ein. Aber da die Ideologie, die von den Salafisten vertreten wird, egal ob von Frauen oder Männern, mit einer pluralistischen Gesellschaft im westlichen Sinne nicht vereinbar ist, muss hier emanzipatorisch als "Emanzipation zum Islam hin" gelesen werden. Hier wird die säkular denkende Frau als unterdrückt wahrgenommen, die durch die Hinwendung zum strengen Islam "befreit" wird.

Frau Wöhler, danke für das Interview!

Die Fragen stellte Anna Wirth.

Isabelle Wöhler ist Islamwissenschaftlerin an der Georg-August-Universität Göttingen. Derzeit promoviert sie über die ägyptische Revolution von 2011.

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