„Hervorragende Voraussetzung für das friedliche Miteinander“

Viele Historiker machen die Schwächen der Weimarer Verfassung für das Scheitern der Republik verantwortlich. Auch wenn die Machtstruktur für die politisch schwierige Zeit nicht austariert war, hatte die Verfassung auch Stärken. Am 11. August wird sie 100 Jahre. Ihre religiösen Aspekte prägen den Staat bis heute.
Von PRO
Friedrich Ebert war seit 1913 Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und amtierte von 1919 bis zu seinem Tode als erster Reichspräsident der Weimarer Republik. Er unterzeichnete die Verfassung am 11. August 1919.

Am 31. Juli 1919 wurde die Weimarer Verfassung beschlossen und am 11. August von Reichspräsident Friedrich Ebert unterzeichnet. Drei Tage später trat sie in Kraft. Die Verfassung hatte in der Rückschau einige Schwächen, eröffnete der deutschen Bevölkerung aber auch neue Rechte – auch im religiösen Bereich.

Grundlage für die Weimarer Verfassung war die Paulskirchenverfassung. In der Frankfurter Paulskirche verabschiedete die Nationalversammlung am 27. März 1849 eine Verfassung, die mit ihrer Verkündung in Kraft trat. Allerdings erkannten die größten deutschen Staaten wie Preußen sie nicht an. Darauf folgte 1871 die Bismarcksche Reichsverfassung und dann nach dem Ende des Ersten Weltkrieges und dem Zusammenbruch des Kaiserreiches die Verfassung der Weimarer Republik.

Erinnerung an die Humanitätsideale

Diese verpflichtete den Staat zu weltanschaulicher Neutralität und garantierte die ungestörte Religionsausübung. Mit ihr bekam somit das Verhältnis von Kirche und Staat seine bis heute geltende Fassung. Ihr Name bezieht sich auf den Entstehungsort Weimar. Die politisch Verantwortlichen hatten den Ort gewählt, weil die politische Situation in Berlin unruhig war. Mit Weimar wollten sie zudem bewusst an die Humanitätsideale der Weimarer Klassik erinnern.

Die Verfassung enthielt eine Präambel – ohne Gottesbezug. Im ersten Hauptteil beschäftigte sie sich in 108 Artikeln mit dem Aufbau und den Aufgaben des Reichs. Der zweite Hauptteil erläuterte die Grundrechte und -pflichten der Deutschen, der dritte Hauptteil widmete sich der Religion und Religionsgesellschaften. Im Artikel 1 wurde die neue Staatsform einer Republik konstituiert. Das wichtigste Organ war der vom Volk gewählte Reichstag, der Gesetze erließ und die Regierung des Reichs überprüfte.

Verzicht auf die Staatskirche

Um die Macht des Parlaments einzuschränken, erhielt der Reichspräsident weitreichende Kompetenzen. Zeitgenossen sprachen vom „Ersatzkaiser“. Die im Artikel 54 festgeschriebene Notverordnung zwang den Reichskanzler zum Rücktritt, wenn ihm der Reichstag durch einen Beschluss das Vertrauen entzog. Diese Regelung sorgte für insgesamt 21 Regierungen in den 14 Jahren der Weimarer Republik. Die Verfassung schaffte sämtliche Standesunterschiede ab. Zudem sicherte sie das Recht auf freie Meinung und deren Äußerung. Der zweite Abschnitt sicherte den Bürgern den Schutz der Ehe und Mutterschaft sowie die Versammlungs- und Wahlfreiheit. Im dritten Abschnitt wurden Glaubens- und Gewissensfreiheit garantiert.

Die Fragen der Religion und der Religionsausübung werden in den Artikeln 135 bis 141 behandelt. Alle Bewohner des Reichs genossen demnach volle Glaubens- und Gewissensfreiheit. Bürger durften öffentliche Ämter unabhängig ihres religiösen Bekenntnisses annehmen. Niemand war verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren, ebenso durfte kein Bürger gezwungen werden, an einer kirchlichen Handlung teilzunehmen oder eine religiöse Eidesformel zu benutzen.

In Artikel 138 ist verbrieft, dass „die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften durch die Landesgesetzgebung abgelöst“ werden. Die Grundsätze hierfür sollte das Reich aufstellen. Diese Regelung wurde auch in das Grundgesetz der Bundesrepublik aufgenommen – und bislang nicht umgesetzt. Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage blieben als Tage der Arbeitsruhe und der „seelischen Erhebung“ gesetzlich geschützt. Auch Angehörige der Wehrmacht erhielten den nötigen Freiraum, um ihren religiösen Pflichten nachzugehen.

Die Gedenktafel zur Weimarer Nationalversammlung am Großen Haus des Deutschen Nationaltheaters in Weimar erinnert an die Ereignisse vor 100 Jahren Foto: Barnos/Wikipedia | CC BY-SA 3.0 Unported
Die Gedenktafel zur Weimarer Nationalversammlung am Großen Haus des Deutschen Nationaltheaters in Weimar erinnert an die Ereignisse vor 100 Jahren

Die Väter der Verfassung verzichteten auf eine Staatskirche. Damit schafften sie das bis dahin geltende „landesherrliche Kirchenregiment“ ab, nach dem der Inhaber der Territorialgewalt auch über die Geschicke der evangelischen Landeskirche bestimmt hatte. Die Kirchen blieben aber Körperschaften des öffentlichen Rechtes, soweit sie es vorher schon waren. Anderen Religionsgemeinschaften sollte dieses Recht auf Antrag auch gewährt werden. Das berechtigte sie dazu, öffentliche Steuern zu erheben.

Neu waren auch Elemente direkter Demokratie. Über Volksbegehren konnte das Volk die Politik beeinflussen, wenn mindestens zehn Prozent der Wahlberechtigten dies verlangten. Durch Volksentscheid konnte ein Beschluss des Reichstags außer Kraft gesetzt werden, wenn sich mehr als 50 Prozent der Wahlberechtigten an der Abstimmung beteiligten.

Von der SED verfälscht

Die Wissenschaftler diskutieren immer wieder darüber, inwieweit Teile der Weimarer Verfassung zum relativ schnellen Untergang der Republik beigetragen haben. So enthielt die Verfassung bewusst keine Sperrklausel für den Reichstag, die vergleichbar mit der heutigen Fünfprozent-Hürde ist. So sollte der Wählerwille nicht verfälscht werden. Jedoch zogen dadurch bei manchen Wahlen viele Parteien in das Parlament ein, was die Meinungsbildung erschwerte. Manche bewerteten die Stellung des Reichspräsidenten als zu stark, weil er die Republik in sogenannten Notfällen in eine Art Diktatur mit sich selbst an der Spitze umwandeln konnte.

Andererseits sind Historiker davon überzeugt, dass die Republik schon früher gescheitert wäre, wenn die Verfassung nicht so flexibel und pragmatisch angewendet worden wäre. Der Tag der Verfassungsunterzeichnung am 11. August wurde Nationalfeiertag. Er sollte an die „Geburtsstunde der Demokratie in Deutschland“ erinnern – allerdings nur bis zu Hitlers Machtergreifung. Danach bestand die Verfassung offiziell fort, auch wenn sie weitgehend außer Kraft gesetzt wurde.

Als der Parlamentarische Rat 1948 das Grundgesetz ausarbeitete, orientierte er sich auch an der Weimarer Verfassung – unter anderem beim Verhältnis zwischen Kirche und Staat. Die Väter des Grundgesetzes merzten einige Schwächen aus und tarierten das Gleichgewicht der Staatsorgane anders aus. Bestimmte Passagen wurden sogar in der Verfassung der DDR 1949 verwendet. Allerdings gestaltete die SED dies in ihrem Sinn.

Am 6. Februar 1919 trat die Nationalversammlung zu ihrer konstituierenden Sitzung in Weimar zusammen. Aus Anlass des 100. Jahrestages bezeichnete Irmgard Schwaetzer, Präses der Evangelischen Kirche in Deutschland, die Verfassung als „eine hervorragende Voraussetzung für das friedliche Miteinander“. „Mit der Weimarer Reichsverfassung wurde die Grundlage für das moderne Religionsverfassungsrecht des Grundgesetzes gelegt, mit dem die Religionsfreiheit umfassend gesichert und das öffentliche Wirken der Kirchen vom Staat in ‚fördernder Neutralität‘ geschützt wird“, würdigte Schwaetzer.

Von: Johannes Blöcher-Weil

Helfen Sie PRO mit einer Spende
Bei PRO sind alle Artikel frei zugänglich und kostenlos - und das soll auch so bleiben. PRO finanziert sich durch freiwillige Spenden. Unterstützen Sie jetzt PRO mit Ihrer Spende.

Ihre Nachricht an die Redaktion

Sie haben Fragen, Kritik, Lob oder Anregungen? Dann schreiben Sie gerne eine Nachricht direkt an die PRO-Redaktion.

Offline, Inhalt evtl. nicht aktuell

PRO-App installieren
und nichts mehr verpassen

So geht's:

1.  Auf „Teilen“ tippen
2. „Zum Home-Bildschirm“ wählen