Helmut Schmidt gegen SPD-Ausschluss Sarrazins

Der ehemalige Bundesbank-Vorstand und frühere Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin, könnte aus der SPD ausgeschlossen werden. Ein entsprechendes Verfahren hat der Parteivorstand am Montag beschlossen. Nun hat der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt von einem Ausschluss Sarrazins abgeraten.
Von PRO

Sarrazin war wegen seiner umstrittenen Integrationsthesen im Buch "Deutschland schafft sich ab" auf scharfe Kritik in der SPD gestoßen. Am Montag beschloss der SPD-Vorstand, ein Parteiordnungsverfahren gegen den ehemaligen Berliner Finanzsenator einzuleiten. Verfahrensbevollmächtigte ist die Generalsekretärin der Bundes-SPD, Andrea Nahles. Wie die Nachrichtenagentur dpa berichtet, fiel die Entscheidung fast einstimmig aus. Lediglich Vorstandsmitglied Dietmar Hexel, der auch der DGB-Spitze angehört, enthielt sich.

Dies sei "der falsche Weg", sagte Altbundeskanzler Helmut Schmidt nun gegenüber der "Bild"-Zeitung (Ausgabe vom Dienstag). Er stimme nicht in allen Punkten mit Sarrazin überein, jedoch habe dieser recht, "was die Integrationsbereitschaft und -fähigkeit vieler Moslems betrifft", sagte Schmidt. "Wer vom Säuglingsalter an in einer völlig europafremden Umgebung groß geworden ist – mit völlig anderem Verhalten gegenüber dem Vater, gegenüber Frauen, mit einem anderen Ehrbegriff -, der lebt sich sehr viel schwerer in die deutsche Gesellschaft ein", so der 91-Jährige. Deutschland sei "de facto ein Einwanderungsland", jedoch fehlten die Regeln dafür. Die Deutschen hätten in der Vergangenheit "gar nicht darauf geachtet", wer ins Land komme, sagte Schmidt. Die Politik müsse die Entstehung von Parallelgesellschaften und Ghettos in deutschen Städten und besonders unter Jugendlichen verhindern, forderte er.

Mehrere SPD-Politiker gegen Sarrazin-Rauswurf

Schon der frühere Hamburger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi hatte sich vor seinen Parteikollegen gestellt und angeboten, ihn vor der Kommission zu verteidigen. "Einen fairen Prozess wird es ja wohl noch geben“, so Dohnanyi. Sarrazin sei kein Rassist, schrieb der SPD-Politiker in einem Beitrag für die "Süddeutsche Zeitung". "Niemand mit Sachkenntnis" könne heute noch bestreiten, dass es "besondere kulturelle Eigenschaften von Volksgruppen" gebe. Zudem habe Sarrazin nicht die Muslime insgesamt angegriffen, sondern nur jenen Teil von Zuwanderern, der sich weigere, seine "Kinder zum Deutschlernen, zu Bildungswillen und offener Integrationsbereitschaft zu erziehen".

Auch der frühere Bundesfinanzminister Peer Steinbrück hatte sich gegen einen Parteiausschluss Sarrazins ausgesprochen. "Abgesehen von den letzten Kapiteln kann man weiten Teilen von Sarrazins Analyse kaum widersprechen", sagte er gegenüber der "Bild"-Zeitung. Allerdings "beschwere" Sarrazin die Debatte "mit einem verquasten Überbau, der nichts anderes ist als platter Sozialdarwinismus". Die SPD vermittele durch einen Parteiausschluss dem breiten Publikum den falschen Eindruck, sie wolle die Debatte loswerden. Das große positive Echo auf Sarrazins Thesen zeige jedoch, dass viele Bürger über Zuwanderung und vermurkste Integration reden wollten, auch in der SPD.

Ebenso sprach sich der langjährige Bundestagsfraktionschef Peter Struck gegen einen Ausschluss Sarrazins aus. "Thilo Sarrazin hat nicht die Meinung der SPD vertreten", sagte er im Interview mit dem "Deutschlandfunk". "Ich hätte klargestellt: Es ist die Einzelmeinung von Thilo Sarrazin und dann hätte man es gut sein lassen sollen."

Bereits im März dieses Jahres drohte Sarrazin der Ausschluss aus der Partei. In einem Interview mit der Kulturzeitschrift "Lettre International" hatte er vielen Arabern und Türken unterstellt, leistungs- und integrationsunwillig zu sein. Er müsse niemanden anerkennen, der vom Staat lebe und diesen Staat ablehne und ständig "neue kleine Kopftuchmädchen produziert. Das gilt für 70 Prozent der türkischen und für 90 Prozent der arabischen Bevölkerung in Berlin." Die Landesschiedskommission der Berliner SPD entschied damals, Sarrazin habe sich nicht rassistisch geäußert und auch nicht gegen die Parteisatzung verstoßen. Seine provozierenden Bemerkungen seien "für die Partei sicherlich problematisch, doch sie können zugleich auch nützlich sein, indem sie die Diskussion voranbringen", hieß es damals in der Begründung. "Die SPD muss solche provokanten Äußerungen aushalten." (pro)

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