Heimat ist nicht Abschottung

Der Begriff Heimat wird derzeit gern benutzt, um Menschen ideologisch zu verführen. Aber Heimat ist kein Ort, an dem sich Menschen von anderen abschotten, sondern den sie miteinander teilen, meint der Benediktinermönch Abtprimas Notker Wolf. Wie das gelingen kann, darüber schreibt er in seinem neuen Buch. Eine Rezension von Johannes Blöcher-Weil
Von PRO
Abtprimas Notker Wolf hat sich Gedanken darüber gemacht, wie Heimat aussieht und wie man sie gestalten kann

Die Fremde verunsichert Menschen und stellt sie infrage. Deswegen wünscht sich der katholische Theologe Notker Wolf, dass Menschen eine Heimat bekommen und sie positiv erleben. In seinem neuen Buch „Hier bin ich Mensch, hier darf ich sein“ schreibt er auf Grundlage seiner eigenen Lebensgeschichte, was für ihn Heimat bedeutet und wie sie gestaltet werden kann.

Bis zu seinem siebten Lebensjahr wuchs Wolf ohne seinen Vater auf, der 1947 aus der Kriegsgefangenschaft zurückkehrte. In seinem Heimatort Bad Grönenbach fand der heutige Theologe früh den Weg in die Kirche, die ihn positiv prägte. Er erlebte dort einen Pfarrer, der wusste, „wo den Menschen der Schuh drückte“. An seinem Leben im Kloster schätze er heute den Wert der Beständigkeit. Der lasse ihn wissen, wer er ist und wo er hingehöre. Solche Werte, Zeichen und Formen des Miteinanders brauche auch eine Gesellschaft, um sich zurechtzufinden und zu funktionieren.

Christentum von Anfang an global

Wolf möchte nicht, dass die menschliche Sehnsucht nach Heimat denen überlassen wird, die Heimat als ein „Wir gegen die“ konstruieren. Die deutsche Kultur habe schon eine lange Geschichte in der Begegnung mit Fremden. Bei der Ankunft der Heimatvertriebenen nach dem Krieg habe etwa die CDU dafür geworben, die Herausforderung gemeinsam zu bewältigen. Diesen Zusammenhalt wünscht sich Wolf auch in der aktuellen Debatte. Deutschland habe eine lange Werte-Tradition. Wolf geht es nicht darum, blauäugig tradierte Werte zu übernehmen, aber er wünscht sich eine Rückkehr zu Werten im Allgemeinen.

So müssten Kardinaltugenden wie Gerechtigkeit und Mäßigung wieder bedeutsamer werden in der Gesellschaft, findet der Theologe. Mit dem Begriff Leitkultur kann er dagegen nicht viel anfangen: „Entweder haben wir eine Kultur – oder wir haben keine!“ Wolf blickt aber auch über Ländergrenzen hinaus. Globalisierung hält er dann für schwierig, wenn Menschen keine richtige „Verortung“ hätten. Das Christentum sei jedoch schon immer global gedacht gewesen. Und die Christen seien aufgefordert, weltweit Liebe zu verbreiten.

Den letzten Teil seines Buches widmet Wolf der Angst vor dem Fremden und der Überfremdung. Er kann nicht wirklich verstehen, woraus die „diffuse Angst“ vor dem Fremden resultiert. Die Gesellschaft müsse lernen, sich mit den Flüchtlingen zu verständigen und ihnen auch die Regeln im Umgang miteinander klarzumachen. Integration beginne im Kleinen, erfordere viel Zeit und koste Kraft. Darin sieht Wolf die Aufgabe aller. Um Heimat zu ermöglichen, müsse die Gesellschaft die Ankommenden in guter Art und Weise fordern und fördern: „Zukunft kann nur in einem großen Miteinander gelingen.“ Weder Schönreden noch Schwarzsehen seien Optionen.

Kirche soll Hoffnungsträger, Tröster und Mutmacher sein

Statt alles dem Staat zu überlassen, gehe es darum, die Menschen an die Hand zu nehmen: „Es gilt Mensch zu sein. Und Mensch zu bleiben.“ Gleichzeitig dürften die Grenzen des Erträglichen nicht verschoben werden. Das Grundgesetz sei das Maß aller Dinge: „Alle, die dies anders sehen, gehören auf keinen Fall dazu.“

Auch die Kirche habe in diesem Prozess eine wichtige Aufgabe. Wer seinen Glauben verliere, sei immer mehr auf absolute Gewissheiten angewiesen. Wolf warnt deswegen davor, dass sich Kirche aus der Fläche zurückziehe. Sie müsse Räume und Anlaufpunkte für Fragende bieten. Gerade Christen sollten in einer Zeit der Populisten keine Angsthasen sein, „sondern Hoffnungsträger, Tröster und Mutmacher“.

Jeder Mensch suche feste Größen für sein Leben. Wolf selbst hat seine in der Kirche gefunden. Ein festes Fundament führe dazu, souveräner zu agieren. Zudem gehe es darum, die Sorgen des Gegenübers ernst zu nehmen. Das biblische Gleichnis von den fünf Broten und drei Fischen zeige ihm, dass „es am Ende gut aufgehe, wenn wir von Herzen teilen“.

Heimat im Glauben macht innerlich frei

Der Autor möchte dabei helfen, Probleme zu lösen. Die Menschen müssten merken, dass Christen „mit ganzem Herzen bei der Sache sind“. Sie sollen Gesprächspartner und Zuhörer sein. Für Wolf sind „Glaube, Hoffnung und Liebe“ die Schlüssel dafür, wie Kirche agieren soll – mit der Priorität auf der Liebe. Weil er seine Heimat im Glauben habe, könne er innerlich frei werden und diese Aufgabe leisten. Dies ermögliche es ihm, dem anderen mit Toleranz zu begegnen und genügend Raum zu lassen, in dem jeder Einzelne das leben kann, was für ihn Heimat ausmacht.

Der Leser merkt, dass dies keine oberflächliche Beschäftigung mit dem Thema ist. Wolf gelingt es mit seinem Buch, Reizpunkte zu setzen und klare Appelle zu formulieren. Er möchte in einer Welt der Abschottung nicht leben – und alles dafür tun, dass andere sich auch nicht abschotten. Es ist eine informative Lektüre, die zum Weiterdenken anregt, wie gelingendes Miteinander möglich wird – nicht nur mit Flüchtlingen. Der Textteil des Buches wird ergänzt durch Bilder aus der Natur und dem menschlichen Zusammensein des Fotografen Hans-Günther Kaufmann, die einen darüber nachsinnen lassen, was Heimat bedeuten kann.

Notker Wolf mit Fotos von Hans-Günter Kaufmann, „Hier bin ich Mensch, hier darf ich sein – Was Heimat wirklich ausmacht“, bene!-Verlag, 18 Euro, ISBN 978396340070

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