Heftigkeit des Antisemitismus hat zugenommen

Wie kann es der Politik gelingen, jüdische Bürger besser als bisher zu beschützen? Über diese Frage haben die Gäste am Sonntagabend bei Anne Will diskutiert. Auslöser waren die Echo-Verleihung an zwei Rapper, die antisemitische Texte produzieren, sowie eine Attacke auf einen Mann mit Kippa in Berlin.
Von Johannes Blöcher-Weil
Über Antisemitismus in Deutschland diskutieren (von links) Katja Kipping, Ulf Poschardt, Volker Kauder, Schimon Stein und Ahmad Mansour mit Anne Will

Vor allem der Diplom-Psychologe Ahmad Mansour nutzte die Diskussion in der Sendung „Anne Will“ zu einer Generalabrechnung mit der deutschen Politik. Die Aufklärung zum Antisemitismus müsse bereits bei den jungen Menschen anfangen. Diese bräuchten ein gutes Toleranz- und Demokratieverständnis. Antisemitische Tendenzen gebe es schon länger, nur die Heftigkeit habe zugenommen, argumentierte Mansour.

„Wir müssen die jungen Menschen pädagogisch abholen, ohne ihnen Verschwörungstheorien zu präsentieren“, forderte er. Er wolle nicht gegen Muslime, sondern um die Muslime kämpfen. Ihm fehlten die politischen Konzepte. Auch den neuen Antisemitismus-Beauftragten werde er an seinen Taten messen. Es gehe darum, bei den Menschen ein geschlossenes Weltbild aufzubrechen. „Die Politik muss verstehen, dass ein Umdenken erforderlich ist.“

Einseitige Anschuldigungen seien hier nicht hilfreich. Er selbst habe seinen Hass überwunden, nachdem er die jüdischen Bürger persönlich kennenlernen konnte. „Wir müssen die Menschen erreichen, bevor es Skandale gibt. Lehrer werden von der Politik alleine gelassen“, kritisierte er. Hier sei der Ruf der Schule oft wichtiger als das Wohl des Kindes.

Berichtspflicht über antisemitische Vorfälle

Der CDU-Politiker Volker Kauder entgegnete, dass die Politik Antisemitismus nicht dulde. Dass jüdische Einrichtungen nicht ohne Polizeischutz auskämen, sei bedenklich. Er sprach sich dafür aus, das Thema noch stärker als bisher in Schulen und öffentlichen Einrichtungen zu verankern. Der Vorsitzende der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag wünschte sich eine Berichtspflicht über antisemitische Vorfälle. Das Thema sei mitten in der Gesellschaft. Die CDU-Fraktion habe einmal einen Bundestagsabgeordneten wegen Antisemitismus aus ihrer Fraktion ausgeschlossen.

Für Kauder war das Existenzrecht Israels genauso indiskutabel wie die Tatsache, dass hier lebende Menschen die grundsätzlichen Werte des Landes teilen müssen. Antisemitismus müsse zu einem Dauerbrenner in der gesellschaftlichen Debatte werden. Schimon Stein, ehemaliger israelischer Botschafter in Deutschland, bemängelte, dass es in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg keine „Stunde Null“ in Sachen Antisemitismus gegeben habe. Er stellte die Frage, ob eine liberale Gesellschaft bestehende Stereotypen aushalten könne. Neben den Schulen sah er vor allem eine wichtige Verantwortung bei den Eltern.

Auch aus Sicht der Linken-Parteivorsitzenden Katja Kipping handele es sich um eine kollektive Verantwortung. Die Regierung Israels zu kritisieren sei legitim, nicht infrage gestellt werden dürfe das Existenzrechts Israels und die Zwei-Staaten-Lösung. Im pädagogischen Bereich wünschte sie sich Freiräume für Lehrer zur Fortbildung. Den überwiegenden Teil der antisemitischen Taten könne man im rechten Spektrum verorten. Viele segelten im Strom des Rechtsrucks mit, bemängelte sie.

Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt hatte in einem leidenschaftlichen Kommentar in seiner Zeitung die Debatte ausgelöst. Er habe Angst davor, den Kampf gegen den Antisemitismus zu verlieren. Viele jüdische Gemeinden sähen in Europa keine Zukunft mehr für sich. „Diese Herausforderungen wollte ich aufzeigen. Wir müssen noch viel stärker ‚Null Toleranz‘ zulassen.“ Die Medien müssten dagegen ihre Stimme erheben und aufklären.

Zu Wort kam in der Sendung auch der Berliner Lehrer Roland Hoffer. In seiner Schule in Neukölln würde er keinem Schüler empfehlen, mit einer Kippa herumzulaufen. Viele seiner Schüler hätten ein verfestigtes Weltbild, obwohl sie noch nie etwas mit einem Juden zu tun gehabt hätten.

Von: Johannes Weil

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