Hartz IV anheben: Hilft das aus Armut und Arbeitslosigkeit heraus?

Seit den Äußerungen von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) tobt eine neue Debatte zum Thema Hartz IV. Sollten die Regelsätze angehoben werden? Oder sorgt das dafür, dass Menschen im Armutssystem verbleiben? Maria Lohheide, Vorstand Sozialpolitik der Diakonie Deutschland, und Uwe Heimowski, Politikbeauftragter der Deutschen Evangelischen Allianz, haben verschiedene Ansichten.
Von Anna Lutz
Würden höhere Hartz-IV-Sätze aus Armut und Arbeitslosigkeit heraus helfen? Die Meinungen dazu gehen auseinander.

Pro: Die Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze ist gut

Maria Lohheide, Vorstand Sozialpolitik der Diakonie Deutschland, befürwortet eine Anhebung der Hartz-IV-Sätze Foto: Diakonie/Thomas Meyer
Maria Lohheide, Vorstand Sozialpolitik der Diakonie Deutschland, befürwortet eine Anhebung der Hartz-IV-Sätze

In Deutschland leben circa sieben Millionen Menschen mehr schlecht als recht von Hartz IV oder Sozialhilfe, darunter circa drei Millionen Kinder. Die derzeitigen Regelsätze decken nur unzureichend die grundlegenden Bedürfnisse wie angemessenes Wohnen und gesunde Ernährung ab. Zu einem menschenwürdigen Leben gehört aber auch die Möglichkeit, aktiv an der Gesellschaft teilnehmen zu können. Kinder sind vom Mittagessen in der Schule oder Kita ausgeschlossen, weil ihre Eltern den einen Euro Eigenbeteiligung nicht aufbringen können. Im Regelsatz ist dieser Euro nicht vorgesehen. Ihnen fehlt notwendiges Schulmaterial, von der Ausstattung mit Laptops oder Tablets ganz zu schweigen. Eltern können eine defekte Waschmaschine nicht ersetzen oder ein Kinderfahrrad nicht bezahlen. Kranke können Zuzahlungen und Medikamente nicht finanzieren.

Die Politik streitet immer noch darüber, was zum Existenzbedarf für Erwachsene, Jugendliche und Kinder gehört. Reale Ausgaben werden als „nicht regelbedarfsrelevant“ gestrichen, darunter zum Beispiel Zimmerpflanzen, Handys, Regenschirme, Weihnachtsbaum und Adventsschmuck, Speiseeis, Modeschmuck, Kabelfernsehen, Haftpflichtversicherung, Malstifte für Kinder in der Freizeit oder besondere Kleidung, zum Beispiel für Familienfeste. Und leider gibt es auch in Deutschland Menschen, die kein Geld für Lebensmittel haben: EU-Bürgern, die zur Arbeitssuche nach Deutschland kommen, stehen in den ersten fünf Jahren ihres Aufenthaltes keine Sozialleistungen zu. Ebenfalls keinen Anspruch auf Sozialleistungen haben sanktionierte Hartz-IV-Empfängerinnen und Hartz-IV-Empfänger. Leistungen werden gekürzt oder gestrichen, wenn Termine, Trainingsmaßnahmen oder Bewerbungsvorgaben des Jobcenters nicht eingehalten werden. Es wird in Kauf genommen, dass diese Menschen dann betteln oder hungern müssen und obdachlos werden. Diese soziale Ausgrenzung muss ein Ende haben. Die Diakonie setzt sich für einen höheren Regelsatz ein, der je nach Bedarfsgemeinschaft bis zu 150 Euro mehr betragen muss. Außerdem sind vorgelagerte Leistungen und politischen Maßnahmen so auszubauen, dass der Bezug von Hartz IV generell vermieden wird. Dazu gehören ein ausreichender Mindestlohn, tarifliche Beschäftigung, ein besserer Familienlastenausgleich für Alleinerziehende und eine eigenständige und einheitliche Geldleistung für alle Kinder und Jugendlichen.

Von: Maria Lohheide, Vorstand Sozialpolitik der Diakonie Deutschland

Kontra: Hartz IV anheben? Gießkannen helfen nicht gegen Armut

Uwe Heimowski, Politikbeauftragter der Deutschen Evangelischen Allianz, ist gegen eine Anhebung der Hartz-IV-Sätze Foto: pro/Norbert Schäfer
Uwe Heimowski, Politikbeauftragter der Deutschen Evangelischen Allianz, ist gegen eine Anhebung der Hartz-IV-Sätze

Das Existenzminimum heißt nicht umsonst Existenzminimum. Es beschreibt eine rote Linie. Weniger geht nicht. Das Grundgesetz stellt klar: Deutschland ist ein „sozialer Rechtsstaat“ (GG Artikel 28). Ausgestaltet wird das in weiteren Gesetzen, und darin ist unmissverständlich vorgesehen, dass sich der Hartz-IV-Satz am Existenzminimum orientiert. Insofern gilt ohne wenn und aber: Steigen die Lebenshaltungskosten, muss auch Hartz IV angehoben werden. Über dessen Höhe entscheidet ein unabhängiges Gremium. Dass „Existenz“ in einem reichen Land wie Deutschland bedeutet, angemessen am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können, sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Der Satz „in Deutschland“ müsse „niemand verhungern“ ist gerade deshalb so zynisch, weil er das Leben aufs Überleben reduziert.

Soweit, so einvernehmlich. Die weitere Frage lautet: Ist Hartz IV insgesamt zu niedrig berechnet, und muss es generell angehoben werden? Meine Antwort ist ein klares Nein. Hartz IV ist eben gerade nicht die generelle „Antwort des Sozialstaates auf Armut“ (Jens Spahn), sondern die Antwort des Sozialstaates auf die Sicherung des Existenzminimums einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe. Hartz IV pauschal zu erhöhen, ist klassisches Gießkannenprinzip. Es tröpfelt auf alle, die wirklich Bedürftigen erreicht es kaum.

Echte Armutsbekämpfung dagegen geschieht durch gezielte Förderung. Auch in Deutschland gibt es Menschen, die in einer Armutsfalle stecken. Und das sind nicht pauschal alle Hartz-IV-Empfänger. Es sind Menschen, deren Probleme struktureller Natur sind. Jede Erhöhung tut ihnen gut, keine Frage, bleibt aber letztlich ein Almosen, wenn die Probleme nicht bei der Wurzel gepackt und gelöst werden.

Wen betrifft das in Deutschland?

Geringverdiener, insbesondere Aufstocker, die trotz Erwerbsarbeit Hartz IV beziehen müssen. Mit der Einführung des Mindestlohnes ist hier immerhin ein Schritt gemacht – doch bleibt das Problem der drohenden Altersarmut. Langszeitarbeitslose, deren Qualifikation am ersten Arbeitsmarkt nicht ausreicht, und für die der zweite Arbeitsmarkt keine stabilen und langfristen Instrumente bereithält, so dass sie von Maßnahme zu Maßnahme geschoben werden. Alleinerziehende und Mehrkindfamilien. In beiden Fällen bräuchte es neben einer verbesserten Möglichkeit, am Erwerbsleben teilzunehmen, auch eine deutlich stärkere Kompensation für die Erziehungsleistung, um das Armutsrisiko (besonders dann im Alter) zu verringern. Kindergeld sollte nicht auf Hartz IV angerechnet werden. Weitere Gruppen wären zu nennen: Kinder aus sogenannten „bildungsfernen“ Familien, die Möglichkeiten brauchen, Schul- und Berufsabschlüsse zu erwerben. Menschen mit Migrationshintergrund, alleinstehende Senioren, Obdachlose, Menschen mit Behinderungen, Zwangsprostituierte und andere mehr.

Gute Sozialpolitik muss Strukturen schaffen, um diesen Menschen Teilhabe zu ermöglichen und sie vor Armut zu schützen. Eine pauschale Erhöhung des Hartz-IV-Satzes vermag das nicht.

Von: Uwe Heimowski, Beauftragter der Deutschen Evangelischen Allianz am Sitz des Bundestages und der Bundesregierung

Von: Anna Lutz/Swanhild Zacharias

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