Die nach dem türkischen Imam Fethullah Gülen benannte „Gülen-Bewegung“ gilt in Deutschland bislang als islamisch-konservativ. In der Türkei jedoch sei der Imam eine „Graue Eminenz“, stellt der Hessische Rundfunk am Dienstag auf seiner Website hr-online fest. Seine Anhänger hielten dort einflussreiche Positionen in Staat und Gesellschaft und betrieben eine schleichende Islamisierung der türkischen Gesellschaft. Die Nachhilfevereine verfolgten allerdings auch in Deutschland Hintergedanken. So beabsichtige die Organisation Mitglieder zu gewinnen und eine türkisch-stämmige Elite auszubilden, die das Weltbild des Predigers verbreite. In einer Reportage von Volker Siefert, am Dienstag veröffentlicht auf hr-online, berichten Gülen-Aussteiger auch von übertriebenen Kontrollen.
Eine der Aussteigerinnen wuchs nach Angaben von hr-online in der Nähe von Frankfurt auf. Um ihre Noten zu verbessern, besuchte sie das „Lichthaus“ eines örtlichen Nachhilfevereins, um dort ihre Hausaufgaben zu erledigen. Dort lebten rund zehn Mädchen und Studentinnen in einer Art informellem Internat. Der erhoffte schulische Erfolg habe sich auch eingestellt. Doch es sei nicht bei weltlichem Unterricht geblieben, berichtet hr-online. Sie sei zu religiösen Treffen eingeladen worden, bei denen es um die Lehren Gülens ging. „Durch die Nachhilfe, die sie geben, helfen sie dir und nach einer Zeit musst du denen etwas zurückgeben", zitiert das Portal die Aussteigerin unter geändertem Namen. Sie sei zu Wochenendausflügen eingeladen worden, habe bei Veranstaltungen Gülen-Bücher verkauft und dann selbst Nachhilfe für Jüngere geben, berichtet das Mädchen. Sie habe unter der Aufsicht einer „älteren Schwester“ gestanden, die ihr bis zum Schulhof gefolgt sei, um zu kontrollieren, ob sie geschminkt sei, oder zu überprüfen, wie sie angezogen sei. Im Lichthaus hätten ihr die Mitarbeiter verboten das Handy einzuschalten, weil man damit abgehört werden könne.
Eine weitere Aussteigerin berichtet, dass „Gülens Wort die Regel war“.
Anfragen vom Hessischen Rundfunk zum Hintergrund der Lichthäuser bei dem offiziellen Gülen-Verein in Frankfurt seien bislang unbeantwortet geblieben. „Es ist praktisch so, dass man freiwillig hineingeht in ein solches Lichthaus, aber wenn man einmal drin ist, hat man sich der ganz strengen Ordnungen zu fügen", zitiert hr-online die Marburger Islamwissenschaftlerin Ursula Spuler-Stegemann. Private Ziele seien dem Dienst an der Bewegung untergeordnet. „Das grenzt zur übrigen Gesellschaft eindeutig ab“, konstatiert Spuler-Stegemann.
Das hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz stufe die Gülen-Bewegung als „nach derzeitigem Erkenntnisstand zwar konservativ-islamisch, aber nicht erkennbar islamistisch" ein. Es bestünden Zweifel am zeitgenössischen Islamverständnis im Sinne einer Annäherung an westliche Gesellschaftsentwürfe. Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung lägen bislang beim Verfassungsschutz nicht vor.
Derzeit gibt es nach Angaben von hr-online in Hessen elf Nachhilfeeinrichtungen der Gülen-Bewegung. Die Anzahl der „Lichthäuser“ lasse sich jeodoch nicht feststellen, da keine offiziellen Angaben vorlägen.
Sendung "Fakt" zur Gülen-Bewegung
Auch der Mitteldeutsche Rundfunk griff in einem Fernseh-Beitrag, gesendet am Dienstag um 21:45 Uhr im „Polit-Magazin FAKT“, die Gülen-Bewegung auf. In dem Beitrag ergründet Heiner Hoffmann die Verbindung der Gülen-Bewegung zur Leipziger SPD. So beschäftige der ehemalige Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Wolfgang Tiefensee (SPD), einen Mitarbeiter, der nach Angaben des Fernsehsenders für den Verein aktiv ist. Im Interview mit dem MDR äußere Tiefensee keine Kritik an dem Verein. Nach Angaben des MDR habe die SPD in Leipzig viele neue Mitglieder mit Migrationshintergrund zu verzeichnen. Darunter seien mehrere Wohngemeinschaften, die teilweise geschlossen in die SPD eingetreten seien und Kontakte zur Gülen-Bewegung pflegten. Nach MDR-Angaben beschäftige man sich unterdessen auch in der SPD-Bundeszentrale, dem Willy-Brandt-Haus in Berlin, mit den Vorgängen um die Gülen-Bewegung und der Leipziger SPD. „Gülen ist zum bundesweiten Thema geworden“, stellt Hoffmann fest.
Der stellvertretende Bundesvorstitzende der AG Migration der SPD, Aziz Bozkurt, sieht die Gefahr, dass vor allem in strukturschwachen Regionen wie im Osten die Partei unterwandert werden könnte, um diese für die Ziele der Bewegung zu gewinnen. Die ehemalige islampolitische Sprecherin der SPD, Lale Akgün, erklärte gegenüber dem MDR in einem Interview: „Die Gülen-Bewegung will als politischer Islam in die Institution rein, die Institution instrumentalisieren, für ihre eigene Weltanschauung." Nach Informationen des MDR durch Informanten versuche die Gülen-Bewegung momentan unauffällig bundesweit, gesellschaftlich relevante Positionen zu besetzen, „auch und gerade in Parteien". (pro)