Gülen: „Islam soll Moderne eigene Farbe geben“

An der Gülen-Bewegung scheiden sich die Geister: Die Befürworter halten sie für eine moderne und liberale Ausprägung des Islam. Krtiker werfen ihr vor, dass sie mit ihren Bildungszentren versucht, eine islamistische Elite heranzuziehen. Begründer und Namensgeber Fethullah Gülen stellt sich in einem ausgiebigen Gespräch mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" diesen Vorwürfen.
Von PRO

Vor allem extreme Randgruppen und ihre Verlautbarungen belasteten das Zusammenleben von Muslimen und Christen, meint Gülen. Dies rufe auf beiden Seiten sehr oft extreme Reaktionen hervor: "Möglichsein wird das Zusammenleben von Muslimen und Christen nur durch die Einrichtung einer Kultur des Zusammenlebens. Dazu müssen die Grundrechte und Freiheiten für alle verteidigt und geschützt werden", fordert Gülen. Der Islam selbst zeige gegenüber jeder Religion Respekt. Grausamkeiten wie die von Al-Qaida oder Hisbollah seien nichts anderes als die Verunglimpfung des sauberen Antlitzes des Islams. Hier stünden persönliche Interessen im Vordergrund.

Islam und Moderne nicht im Widerspruch

Aus Gülens Sicht steht der Islam auch nicht im Widerspruch zur Moderne. Den Muslimen müsse es gelingen, der Moderne "ihre eigenen Farben hinzugeben und zu einigen Fragen ihre eigenen Auslegungen zu entwickeln". Auch der Umgang mit Atheisten bereitet ihm keine Probleme: Jeder Mensch sei zunächst ein Mensch, und dieser "Gottes ausgezeichnetes Werk, und er ist es wert, ihn zu respektieren". Während kriegerischer Auseinandersetzungen sei es eine "wichtige Pflicht, die Wege des Friedens und des innigen Zusammenseins zu erforschen".

Den Islam selbst sieht Gülen als eine tolerante Religion: In einem Koranvers heiße es, "dass es in den Fragen der Religion keinen Zwang geben dürfe, dass die Religion ein göttliches Angebot sei, dass die Menschen dieses Angebot nur mit ihrem freien Willen akzeptieren oder ablehnen sollten". Die Rolle der Frau im Islam hinterfragt "FAZ"-Redakteur Rainer Herrmann kritisch: Diese, meint Gülen, sei nicht beschränkt auf die "Beschäftigung zu Hause und auf das Großziehen der Kinder". Einiges von dem, was zur Rolle der Frau negativ erscheine, müsse im Zusammenhang mit den Bedingungen der jeweiligen Epochen und Staaten bewertet werden: "Auch die die Frau ist eine freie und eigenständige Persönlichkeit", bilanziert Gülen.

"Gott und den Menschen dienen"

Den Austausch mit seinen Schülern und den Mitgliedern des Netzwerks versucht Gülen, der seit über zehn Jahren in den USA lebt, weiter zu halten. Er bezeichnet sich nicht als Führer einer Bewegung: "Mein höchstes Ziel ist es, als einer unter anderen Gott und den Menschen zu dienen und im Namen des Schöpfers und der Erschaffenen meinen religiösen und menschlichen Pflichten nachzukommen". Auch die oft kritisierte Nähe zum Islamismus verneint Gülen: "Entweder werden bewusst falsche Informationen verbreitet, oder diese Personen wissen weder, was Hizmet ist, noch was Islamismus bedeutet". Die meisten Aktiviäten der Gülen-Bewegung, betont der 74-Jährige, fänden in aller Öffentlichkeit statt.

In der Bildung engagiere die Gülen-Bewegung sich so stark, weil "alle gesellschaftlichen Probleme beim Menschen" beginnen und aufhören. Die Arbeit in den Schulen sei sein konstruktiver Beitrag zur Gesellschaft. Auch in den Medien – Gülen verfügt über ein Netzwerk an Zeitungen und Fernsehsender – gelten die Grundsätze "Wahrheitstreue bei der Berichterstattung" und die "Notwendigkeit, einer breiten Palette von Meinungen eine Plattform zu bieten".

Alles andere zweitrangig

Als weiteren wichtigen Baustein seiner Bewegung bezeichnete Gülen das Streben nach "Allahs Wohlwollen". Diese Gottgefälligkeit sei äußerst wertvoll für die Gesellschaft: "Fixiert sich jemand darauf, erscheint im Vergleich dazu alles andere klein und zweitrangig." Auch die Hilfe für die Bedürftigen gehöre zu den religiösen und ethischen Verpflichtungen eines Moslems: "Dass ein Muslim diese Verpflichtung komplett dem Staat überlässt, darf nicht der Fall sein."

Fethullah Gülen wurde 1938 in der Nähe des türkischen Ortes Erzurum geboren. Er galt schon früh als begabter Redner und war schon damals politisch engagiert. Durch seine Bücher wie etwa "Bis zum jüngsten Tag" und Predigten scharte er immer mehr Anhänger um sich. Über ihre Zahl gibt es nur Schätzungen. 1999 geriet Gülen ins Visier der türkischen Staatsanwaltschaft, als die Aufnahme einer seiner Reden an die Öffentlichkeit gelangte. Darin rief er zur Unterwanderung des türkischen Staates auf. Er floh in die USA, wo er heute zurückgezogen lebt. In Deutschland unterhält die Bewegung 165 Bildungseinrichtungen und 25 Schulen – und deren Zahl steigt stetig. (pro)

Mit der Gülen-Bewegung hat sich auch das Christliche Medienmagazin pro in der Ausgabe 05/2012 beschäftigt. Sie können das Heft kostenlos unter der Nummer 06441/915-151 oder online bestellen.

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