Grönemeyer: „Kirche muss 24 Stunden offen sein“

Der Arzt und Professor Dietrich Grönemeyer präsentiert zum Reformationstag die ZDF-Sendung „Leben ist mehr!“. In dem Format untersucht er vier Mal im Jahr den modernen Gehalt christlicher Feiertage. Gegenüber pro erklärt er, was für ihn Reformation bedeutet und er an der Kirche reformationswürdig findet.
Von PRO

pro: Herr Grönemeyer, was bedeutet der Reformationstag für Sie?

Dietrich Grönemeyer: Zunächst den Rückbezug auf Martin Luther: Dass die Gnade unseres Schöpfers nicht durch einen Ablass, also durch Geld, zu erreichen ist und, dass wir selbstverantwortlich unser Schicksal in die eigene Hand nehmen müssen. Das heißt für mich aber auch, dass Gott in uns lebt und unmittelbar und direkt angesprochen werden kann – und zwar von jedem Menschen, dass wir dazu keine Vermittlungsinstanz brauchen, sondern nur unser Herz öffnen müssen.

pro: Was bedarf Ihrer Meinung nach heute in der Kirche einer Reformation?

Dietrich Grönemeyer:
Kirchen sollten sich auch der Gesellschaft anpassen sowie eine zeitgemäße Sprache und Ansprache entwickeln, mit der Zeit gehen. Ich wünsche mir viel mehr Ökumene und Gesang – auch mit nichtchristlichen Gläubigen. Das verbindet und berührt die Seelen. Mehr Öffnung für Kinder und Jugendliche, für Migranten, für Frauen, Arme und Obdachlose. Ich könnte mir andere, neue Formen des Gottesdienstes mit mehr Tanz, Musik und auch gemeinsamer Meditation vorstellen. Dazu müssten die Kirchen aber 24 Stunden am Tag offen sein, wie ich es beispielsweise in Indien in Tempeln erfahren habe.

pro: Warum haben Sie für die aktuelle Sendung zum Reformationstag das Thema Obdachlosigkeit und die Rückkehr ins Leben gewählt?

Dietrich Grönemeyer:
Die ZDF-Sendung „Leben ist mehr!“ hat eine breite Themenpalette. Es geht dabei um die Vielfalt des Lebens in unserer Gesellschaft. Ich möchte vor allem in meiner Sendung zu den christlichen Feiertagen versuchen, nicht abgehoben theoretisch zu diskutieren oder zu belehren, sondern Begegnungen auf Augenhöhe haben mit Menschen, die Schweres erleben müssen, die vom Schicksal in besonderer Weise betroffen sind. Mit ihnen möchte ich über ihre Ängste und Hoffnungen sprechen und auch über den Glauben, auch an sich selbst, und die Kraft, die man aus ihm beziehen kann. Die Schere zwischen Arm und Reich geht in unserer Gesellschaft laut den aktuellen Statistiken stark auseinander. Trotz des sozialen Netzes gibt es immer wieder Menschen, die durch dieses Netz hindurchfallen. In der Sendung am 31. Oktober, der fünften in dieser Sendereihe „Leben ist mehr!“, führe ich Gespräche mit zwei Männern, die dieses Schicksal hatten. Die aber durch ein ungewöhnliches, sehr schönes Projekt und engagierte Menschen, Hilfe und Unterstützung erfuhren und es nun geschafft haben, allmählich wieder Anschluss zu finden, zu arbeiten und zu leben, sogar für andere da zu sein.

pro: Um welches Projekt handelt es sich genau?

Dietrich Grönemeyer:
Ein vorbildliches Projekt, das die Caritas Frankfurt am Main vor etwa 20 Jahren ins Leben gerufen hat und Modell für andere Städte und Kommunen weltweit ist: In Frankfurt wurden inzwischen 24 Wohnwagen bei verschiedenen Kirchengemeinden aufgestellt, unter anderem auf einem Gelände der evangelischen Gutleutgemeinde und der katholischen St. Dionysiusgemeinde in Frankfurt-Sindlingen, um einigen der 2.200 Obdachlosen der Stadt wieder ein Dach über dem Kopf zu bieten.

pro: Welchen Rat geben Sie Menschen, die sozial oder persönlich abgestürzt sind, um wieder auf die Beine zu kommen?

Dietrich Grönemeyer:
Nicht allein bleiben, sich nicht verkriechen, nicht in Selbstmitleid verfallen, sondern aktiv auf andere Menschen zugehen und Hilfe suchen und annehmen. „Sonst ist man verloren!“, wie es eine engagierte Blumenverkäuferin so klar in meiner Sendung ausspricht. Sowie Suchtverhalten bekämpfen, und das schafft man meist nicht allein.

pro: Herzlichen Dank für das Gespräch.




Die Fragen stellte Martina Schubert.


ZDF: „Dietrich Grönemeyer – Leben ist mehr!“
31.10.2013, 17.45 Uhr; Wiederholung 1.11.2013, 4 Uhr sowie online in der ZDF-Mediathek

http://www.zdf.de/Dietrich-Gr%C3%B6nemeyer-Leben-ist-mehr/Zur%C3%BCck-in-die-Gesellschaft-29780908.html
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