Gröhe, Schneider und die Sterbehilfe

Es ist ein Thema, das die meisten Menschen gerne aus ihrem Leben verdrängen. In dem Buch „Und wenn ich nicht mehr leben möchte“ sprechen Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) und der ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider über Sterbehilfe in Deutschland, und darüber, wo sie deren Grenzen sehen. Eine Rezension von Johannes Weil
Von PRO
Setzt sich in einem neuen Buch dezidiert mit den Argumenten für und gegen Sterbehilfe auseinander: Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU)
Zwei hochkarätige Prominente setzen sich intensiv mit einem schwierigen Thema auseinander. Der engagierte Christ und Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) muss sich von Amts wegen mit dem Thema Sterbehilfe beschäftigen. Der ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, hat seine Tochter Meike durch eine Krebserkrankung verloren. Zudem war er in den Schlagzeilen, weil er entgegen seiner eigenen ethischen Ansichten seine schwerkranke Frau Anne zum Sterben in die Schweiz begleiten würde.

Möglichkeiten der Sterbebegleitung bekannter machen

In ihrem neuen Buch stellen sich die beiden den Fragen der Zeit-Journalistin Evelyn Finger und liefern dabei keine leichte Kost. Es geht darum, ob Menschen das Recht haben, sich zum Herrn über Leben und Tod zu machen. Schneider bekennt klar und eindeutig, dass sich seine Lebenszeit durch den Glauben an die Auferstehung der Toten relativiere. Zugleich gebe der christliche Glaube keine ewig gültigen und eindeutigen Rezepte für Lebenskrisen und existenzielle Probleme. Gröhe findet es bedenklich, wenn Leiden, Schmerzen und Belastungen zum Gradmesser darüber gemacht werden, ob das Leben eines anderen Menschen noch lebenswert ist. Auch ist er zurückhaltend damit, jegliche Grenzfälle in Gesetze gießen zu wollen. Beiden Interviewpartnern geht es um den Erhalt von möglichst viel Lebensqualität am Lebensende. Dem CDU-Politiker ist es ein Anliegen, die Möglichkeiten der Sterbebegleitung auszubauen und bekannter zu machen.

Grenzen der Selbstbestimmtheit

Offen und ehrlich gehen der Theologe und der Politiker mit ihren eigenen Grenzerfahrungen mit dem Thema Sterben um. Gesellschaftlich wünschen sie sich tragfähige soziale Netzwerke, um ein einsames Sterben zu vermeiden. Die emotional geführte – auch politische – Auseinandersetzung mache deutlich, wie kostbar das Leben sei. Das Buch behandelt auch die Frage, wann der Mensch selbstbestimmt entscheiden darf. Vor allem Gröhe warnt davor, für Ausnahmen eine Tür öffnen, „die sich dann nicht mehr schließen lässt“. Eine klare Absage erteilen beide der geschäftsmäßigen Selbsttötungshilfe. Der aktuelle rechtliche Rahmen sei von einem großen Vertrauen in die Ärzteschaft geprägt. Beiden ist es auch wichtig, die Aufgaben von Hospizen zu enttabuisieren. Gröhe geht es um „Hilfe im Sterben“ und nicht um „Hilfe zum Sterben“. Das Ende eines Lebens aktiv zu ermöglichen, „selbst wenn man überzeugt wäre, damit einem Menschen zu helfen“, lehnt der CDU-Politiker ab. Viele Menschen treibe aber die Angst um, irgendwann nicht mehr im Vollbesitz ihrer Kräfte zu sein, und wählten dann den Freitod. Der ehemalige Ratsvorsitzende möchte jeden Tag des „irdischen Lebens als Gabe Gottes“ wahrnehmen. Der Glaube an die Auferstehung helfe ihm dabei, sich nicht krampfhaft an das irdische Leben zu klammern. Er freue sich, wenn Menschen wie Franz Müntefering öffentlich und engagiert den Wert des Lebens auch mit Behinderung verteidigten. Am Ende des Buches kommt noch Schneiders Frau Anne zu Wort. Sie habe die Liebe von Gott und von Menschen davor bewahrt, zu verbittern oder zu verzweifeln. Im Disput ist sie mit ihrem Mann, was die verantwortete Freiheit im Blick auf die Gestaltung der Sterbephase betrifft: „Um Gottes willen müssen wir uns nicht am irdischen Leben festklammern.“ Das Schlusswort des Buches gehört dem Präsidenten der Bundes-Ärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, der auf die Verpflichtung der Ärzte verweist, Leben zu erhalten. Es ist keine leichte Kost, die Hermann Gröhe und Nikolaus Schneider dem Leser präsentieren. Trotzdem ist es ein interessantes Buch zu einem Thema, über das es sich nachzudenken lohnt. Ob ein Interview über 160 Seiten das richtige Mittel dazu ist, sei dahingestellt. Das Buch und die vielen theologisch und politisch extrem dichten Sätze ist nichts für schwache Nerven. Vielleicht gibt das Buch dem Leser Anlass, über ein verdrängtes Thema nachzudenken und sich eine eigene Meinung zu dieser existenziellen Frage des Lebens zu bilden. (pro)

Hermann Gröhe, Nikolaus Schneider, Evelyn Finger, Und wenn ich nicht mehr leben möchte? Sterbehilfe in Deutschland – Mit einem Interview mit Anne Schneider und einem Beitrag von Frank Ulrich Montgomery, 192 Seiten, adeo-Verlag, ISBN 978-3-86334-069-8, 17,99 EUR.

https://www.pro-medienmagazin.de/politik/detailansicht/aktuell/sterbehilfe-debatte-politik-mit-gefuehl-90095/
https://www.pro-medienmagazin.de/politik/detailansicht/aktuell/unionspolitiker-fordern-strenge-sterbehilfe-regeln-90073/
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