Wenn sich in Leipzig zu Pfingsten Anhänger der "Wave-Gotik"-Szene treffen, besuchen sie nicht nur die Friedhöfe der sächsischen Metropole. Seit neun Jahren laden Christen zu einem aufwendig gestalteten Gottesdienst für die schwarz gekleideten Gestalten ein.
Von PRO
Foto: Johannes Rieble
Sie tragen Schwarz und bezeichnen sich als "Gothics". Ob dunkel umrahmte Augen, schwarze Lippen, schlicht oder extravagant gekleidet, stechen Anhänger der Szene aus dem gewöhnlichen Straßenbild hervor. Einmal jährlich ist Leipzig ein bisschen "verrückt": Wer dort an Pfingsten nichtsahnend aus seinem Zug aussteigt, muss die Stadt für das Zentrum der dunklen Gestalten halten. Denn dann findet dort eines der weltweit größten Festivals der schwarzen Szene statt. Das seit 1992 veranstaltete "Wave-Gotik-Treffen" (WGT) zieht mittlerweile zehntausende Gothics an.
Die Szene ist so schillernd wie ihre äußerlichen Erscheinungen. Zu Unrecht werden sie häufig als Satanisten, "Gruftis" oder Anhänger sonstiger dunkler Mächte verschrien. Dass viele auf ihrer Suche nach einem tieferen Sinn eine außergewöhnliche Offenheit für die christliche Botschaft prägt, verrät ein Blick in die Peterskirche zu Leipzig. Seit neun Jahren öffnet die mächtige neugotische Kirche am Pfingstsonntag ihre Pforten für die Besucher des Festivals.
Initiiert wurde dieses Angebot durch die der Jugendkultur nahestehende Gemeindebewegung "Jesus-Freaks". Ein kleiner Kreis lokaler Christen unterschiedlicher Konfessionen führte die begonnene Tradition fort und etablierte den Szenegottesdienst zu einem gefragten offiziellen Programmpunkt des WGT. Sie nennen sich "Freundeskreis Gothic Christ", kommen selbst aus der Schwarzen Szene oder fühlen sich mit ihr verbunden.
Liebe statt Verurteilung
Eine vom Alter gezeichnete Dame, die sich an ihrem Gehgestell neben dem Eingang der Kirche stützt, erinnert sich noch daran, wie alles begann. Sie wagte früher kaum, ihr Haus zu verlassen, wenn die Festivalbesucher die Stadt überströmten. Eine Pfarrergemeinschaft rief damals zum Gebet auf. Irgendwann begann sie, die dunkel gekleideten Menschen mit anderen Augen anzusehen und für sie zu beten. "Jesus ging doch auch unter die Leute, ohne Vorwurf", ist sie sich sicher. Doch aus der Kirche erlebte sie viel Widerstand und begann, sich privat mit Gleichgesinnten zum Gebet zu treffen. Während die Gemeinde für das Verschwinden der Gothics aus der Messestadt betete, lag ihnen die Szene mehr und mehr am Herzen. "Diese Menschen brauchen Verständnis und Liebe, nicht Verurteilung." Daraus entwickelte sich schließlich der "Freundeskreis Gothic Christ".
Der Gottesdienst soll nicht nur Ruhepol für die Festivalbesucher sein, sondern auch ein Begegnungsort, um sich seinen eigenen Vorurteilen zu stellen und eine Brücke in die Welt der "anderen" zu bieten. Der großen Nachfrage wird durch das Angebot zweier Gottesdienste abgeholfen. Die Menschen in Schwarz fühlen sich sichtbar wohl in der liebevoll eigens für die Szene dekorierten Kirche. Grablichter umrahmen das Geländer der Empore, ein Projektor wirft wechselnde Gemälde auf eine Leinwand, der Mittelgang zum Altar wird von Kerzen und Blumen umsäumt. Ein Gebetsbuch lädt zum Eintrag eigener Anliegen ein. Dazu ertönen gregorianische Klänge aus einem Kontrabass und einer klaren weiblichen Stimme.
Rosen mit Bibelversen
Der gesamte Szenegottesdienst ist ganz den Bedürfnissen der Gothics angepasst. "Wir wollen ihnen nicht das Kreuz auf den Kopf schlagen", stellt die Dame neben der Kirchtür klar. Vielmehr soll Skepsis gegenüber Kirche und allzu eifrigen Christen abgebaut werden. Der Dichter Patrick Thile trägt seine Predigt szenisch und in poetisch-bildhafter Sprache vor. Es geht um Gnade. Organisator Franz Steinert liest von einer Schriftrolle aus Psalm 103 vor: "Barmherzig und gnädig ist der HERR, geduldig und von großer Güte." Als er betet, wendet er sich dem Altarraum zu. Auch die musikalische Umrahmung ist auf das Thema des Gottesdienstes abgestimmt. Das Leipziger Musikerehepaar "Ebenbild" und das Duo "Lambda" spielen melodische Musik.
Das Kirchenschiff ist bis zum Ende gut gefüllt, hier und da stechen ein paar ältere Menschen wie Farbkleckse auf schwarzem Hintergrund hervor. Nach dem Segen bleiben viele weiter auf ihren Stühlen sitzen und lauschen der Livemusik von "Lambda". Beim Hinausgehen bekommt jeder eine rote Rose mit auf den Weg. Daran baumelt ein Vers aus dem Psalter: "Die Gnade des Herrn währt von Ewigkeit zu Ewigkeit."
Die ältere Dame ist zufrieden mit dem Verlauf. Sie wird sicherlich auch im kommenden Jahr wieder mit dabei sein: "Gottes Welt ist bunt. Da ist auch Schwarz drin." (pro)
http://www.gothicchrist.com
http://www.wave-gotik-treffen.de/
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