Der katholische Bischof Reinhard Kardinal Marx findet, dass Gott das Thema Flüchtlinge „uns auf die Tagesordnung gesetzt“ hat. Die Deutsche Evangelische Allianz sieht Chancen, mit Muslimen über den christlichen Glauben zu sprechen.
Reinhard Kardinal Marx hofft, dass die Situation mit den Flüchtlingen die Christen auch wieder sprachfähig macht, um über ihren eigenen Glauben zu reden
Im Gespräch mit dem EKD-Ratsvorsitzenden Heinrich Bedford-Strohm und der Süddeutschen Zeitung (SZ) betonte Reinhard Kardinal Marx, dass die Vielfalt der Religionen, die in Deutschland ankommt, dabei helfen kann, sich die eigene Identität klarzumachen. „Wir Christen müssen wieder lernen, offener von unserem Glauben zu reden, wir müssen uns unserer eigenen Schätze bewusst werden“, sagte er am Montag in der SZ. Die Flüchtlinge habe „Gott uns auf die Tagesordnung gesetzt“.
Mauern und Stacheldraht widersprechen dem christlichen Glauben
Für Bedford-Strohm widersprechen Mauern und Stacheldraht zentralen Orientierungen des christlichen Glaubens. Sie seien ein Konjunkturprogramm für kriminelle Schlepperbanden: „Wir müssen diese unglaubliche Hilfsbereitschaft und Empathie nutzen und Inspirationen für die kommenden Jahre mitnehmen.“ Eine egoistische Haltung helfe hier nicht weiter. In Bezug auf die religiösen Konflikte ist dem Protestanten wichtig, „die im Grundgesetz verankerten Regeln des Zusammenlebens für unser Land“ durchzusetzen.
Die Arbeitsgemeinschaft Evangelikaler Missionen (AEM) und die Deutsche Evangelische Allianz (DEA) sprechen in einer gemeinsamen Stellungnahme von Migrationsgeschichten aus der Bibel. Auch durch sie habe Gott gehandelt und Heilsgeschichte geschrieben, meinen die Verfasser. Die Gemeinde Jesu bestehe von Anfang an aus Menschen aller Völker, sozialen Ständen und Sprachen. „Das zeichnet die Gemeinde Jesu aus; das gilt es auch heute in unseren Gemeinden zu lehren und zu leben.“
Menschen in großer Not eine Zuflucht bieten
Deutschland habe aufgrund seiner Geschichte Erfahrung darin, Flüchtlinge willkommen zu heißen. „Auch jetzt haben wir wieder Gelegenheit, Menschen in großer Not eine Zuflucht und neue Heimat zu bieten.“ DEA und AEM wünschen sich, dass sich die Gemeinden ihren Nachbarn zuwenden wie beim biblischen Gleichnis vom Barmherzigen Samariter. Missionare, die aus unterschiedlichen Gründen nach Deutschland zurückkommen, könnten sich hier als „unschätzbare Brückenbauer“ einbringen.
Viele der Flüchtlinge seien schockiert über die menschenverachtenden Grausamkeiten, die im Namen von Religion angerichtet werden. Warum die aus ihrer Sicht „ungläubigen“ Europäer den Muslimen die Tür öffneten, werfe bei ihnen Fragen auf. Ihnen jetzt in Liebe zu begegnen, sei eine große Chance. Die existierenden Ängste vor einer „biologischen Übernahme“ widersprechen den Fakten, so hätten beispielsweise Flüchtlinge aus Syrien „relativ wenige Kinder“.
Wunderbare Botschaft von der Gerechtigkeit Gottes
Die AEM forderte den Schutz von Christen, die weltweit besonders sozial diskriminiert und verfolgt seien. Sie nehme die Ängste in der Bevölkerung wahr und erkenne die finanziellen und sozialen Leistungen, die jetzt für die Versorgung und Integration so vieler Flüchtlinge erforderlich sind. Die „wunderbare Botschaft von der Gerechtigkeit Gottes und der Versöhnung durch Jesus Christus“ dürften die Gemeinden mit den Menschen in ihrer Nachbarschaft teilen. „Wir haben heute die einzigartige Gelegenheit, vor Ort zahllose Menschen mit Jesus bekannt zu machen, die noch nie die Gute Nachricht gehört haben.“
Im Gespräch mit pro sagte Detlef Blöcher, der Vorsitzende der AEM, dass viele Muslime Werte verträten, die auch Christen wichtig seien, wie beispielsweise Gastfreundschaft, Familiensinn, Respekt vor dem Alter und Spiritualität. Darin sieht Blöcher Anknüpfungspunkte, um Beziehungen zu Flüchtlingen aufzubauen, ihnen praktisch zu helfen und auch über den Glauben zu reden. „Gott ist für Muslime ein ganz natürliches Gesprächsthema“, sagte er. Gleichzeitig könnten diese Werte einer individualisierten Gesellschaft wie der deutschen gut tun. Gerade jetzt seien Gemeinden aufgefordert, auf Flüchtlinge – ob Christen oder Muslime – zuzugehen und ihnen die Liebe Gottes nahe zu bringen.
Er machte zudem deutlich, dass Flüchtlinge sich auch den Gepflogenheiten des Gastlandes anpassen müssten und sich dem nicht verweigern dürften. „Wir müssen das Gastrecht schützen“, mahnt Blöcher, der selbst mehrere Jahre in Nahen Osten gelebt hat. Auf die Angst vieler Christen gegenüber muslimischen Flüchtlingen angesprochen, sagte er: „Der Atheismus ist ein viel größeres Problem. Einen Großteil seiner christlichen Prägung hat Europa schon in den vergangenen 50 Jahren verloren.“ Zudem seien viele Muslime säkular. Doch gegen jene, die Gewalt ausüben, müsse der Staat wehrhaft sein. „Unsere tolerante, demokratische Gesellschaftsordnung, Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie Meinungs- und Religionsfreiheit müssen wir verteidigen“, sagte Blöcher. (pro)
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