pro: Herr Bosbach, sind Sie es eigentlich leid, immer und immer wieder öffentlich über Ihre Krebserkrankung zu sprechen?
Wolfgang Bosbach: Jeden Tag ist wirklich zu viel. Ich möchte ja nicht in erster Linie als Patient wahrgenommen werden, sondern als Mensch und Politiker. Die Diagnosen sind, wie sie sind, und sie werden auch nicht erfreulicher, wenn man jeden Tag darüber spricht. Deshalb möchte ich das auch nicht ständig tun müssen.Dennoch sprechen Sie seit 2010 mit der Presse über Ihren Prostatakrebs. Dem Spiegel sagten Sie 2012, dass er unheilbar ist. Sie haben den Medien davon erzählt, welche Ängste Sie mit der Diagnose verbinden, wie Sie sie verarbeiten, wie Sie behandelt werden und wie Sie mit der Krankheit leben, sogar, dass „südlich des Äquators alles in Ordnung ist“, wissen wir. Tut Ihnen diese schonungslose Offenheit im Nachhinein leid?
Nein, zumal ich aus zahlreichen Zuschriften weiß, dass ich vielen Betroffenen auch Mut und Hoffnung gemacht habe. Ich verzweifle ja nicht an der Krankheit, sondern versuche, aus einer schwierigen Situation das Beste zu machen. Das einzige, was ich wirklich bereue, ist, dass ich in meinem Leben nie zur Krebsvorsorge gegangen bin. Hätte ich das ab dem 45. Lebensjahr regelmäßig getan, wäre die Tumorerkrankung früher entdeckt worden und meine Heilungschancen wären viel besser gewesen. Es wird von mir zum Thema Krankheit nie eine Pressemitteilung geben. Ich beantworte Fragen, die Journalisten oder Bürger mir stellen – offen und ehrlich.In Politikerkreisen ist ein solch offener Umgang mit Schwächen alles andere als normal. Ihrer Beliebtheit hat das aber keinen Abbruch getan. 2013 wurden Sie mit 58 Prozent der Stimmen, einem Rekordergebnis, wieder in den Bundestag gewählt. Sollten Politiker es häufiger wagen, offen über Privates zu sprechen?
Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Dass ich offen darüber spreche, ist eigentlich selbstverständlich. Wenn man so viel Zeit wie ich in Krankenhäusern oder Wartezimmern verbringt, dann ist es eine Frage der Zeit, bis man angesprochen wird. Bevor irgendwelche Gerüchte die Runde machen, sage ich lieber gleich, was Sache ist. Hoffe dann aber auch, dass das Thema damit durch ist. Aber jeder Politiker muss für sich selbst entscheiden, wie er mit einer solchen Situation umgeht.Im Zusammenhang mit Ihrer Krankheit haben Sie auch immer wieder über Ihren katholischen Glauben gesprochen, zuletzt in einem Doppelinterview mit dem Essener Bischof Franz-Josef Overbeck zur Osterbotschaft. Sie sind kein Geistlicher. Sehen Sie sich dennoch als Missionar?
Nein. Das würde ich mir nie anmaßen. Das Thema Glauben ist ein sehr persönliches. Ich kann meine Überzeugungen wiedergeben – aber ich verlange von niemandem, dass er sie teilt. Ich fand die Idee des Doppelinterviews interessant, weil Bischof Overbeck und ich zwar als zwei katholische Christen, aber aus unterschiedlichen Perspektiven über den Glauben sprechen – und der Bischof seine Krebserkrankung im Gegensatz zu mir überwunden hat. Wir haben also beide Erfahrungen gemacht, die uns haben zweifeln lassen.Erzählen Sie uns von diesen Momenten des Zweifelns?
Ich leide seit 1994 an einer chronischen Herzmuskelentzündung und trage seit zehn Jahren einen Herzschrittmacher und Defibrillator gegen den plötzlichen Herztod. Daher muss ich viele Medikamente nehmen, damit sich das Herz stabilisiert, kann aber mit der Krankheit gut umgehen. Dann kam vor vier Jahren die Krebsdiagnose dazu. Da war ich schon echt sauer. Ich dachte: Gut, jeder hat sein Päckchen zu tragen, die Herzerkrankung ist deins – aber das hier musste jetzt nicht noch dazukommen. Da fragt man sich natürlich: Warum ich? Was habe ich eigentlich falsch gemacht, damit es mich jetzt zum zweiten Mal so erwischt? Erst recht, wenn dann noch nach der Krebs<discretionary-hyphen>operation die Nachricht kommt: Sie ist zwar gut verlaufen, aber leider hat der Krebs schon gestreut. Das war die dritte schlechte Nachricht. Frau Käßmann hat einmal zu mir gesagt: Herr Bosbach, fragen Sie sich doch stattdessen: Warum ich nicht? So kann man es natürlich auch sehen. Und nach 62 Jahren muss ich auch zugeben, dass der liebe Gott es eigentlich sehr gut mit mir gemeint hat. Ich hatte sehr viel mehr Glück als Pech. Ich habe drei wunderbare Kinder. Die Dankbarkeit überwiegt die Zweifel sehr.Verarbeitet ein Christ Schicksalsschläge mit Blick gen Himmel leichter als ein Nicht-Gläubiger? Oder ist es sogar schwerer, weil er sich ständig fragen muss: Warum?
Ich zögere keine Sekunde, zu sagen: leichter. Die Botschaft Christi ist eine frohe Botschaft. Sie gibt Mut und Trost über den Tod hinaus, gerade in schweren Stunden. Auf die Idee, zu sagen, „ich bin ein überzeugter Christ und deshalb muss der liebe Gott auf mich besonders gut aufpassen“, bin ich wirklich noch nie gekommen.Haben Sie sich also damit abgefunden, keine Antwort auf das Warum zu bekommen?
Ja. Es gibt keine endgültige Antwort. Deshalb beschäftige ich mich auch nicht länger damit. Da hilft neben dem christlichen Glauben auch das rheinische Grundgesetz: „Et is, wie et is, un et kütt, wie et kütt, un et hätt noch immer jot jegang.“Sie geben Interviews, leiten den Innenausschuss im Bundestag, sind ein gefragter Talkshowgast und verbringen wegen Ihrer Reisen 200 Nächte im Jahr in Hotels. Bleibt Ihnen Zeit, um Ihren Glauben auch privat zu leben?
Ich bin gläubiger Christ, würde mich aber nicht als besonders fromm bezeichnen. Es gab auch schon Sonntage, an denen ich es nicht geschafft habe, in den Gottesdienst zu gehen. Ich versuche auch, meine Kinder vom christlichen Glauben zu überzeugen. Ich will ihnen vermitteln, warum er für mich persönlich wichtig ist, und hoffe, dass auch sie sich dazu entscheiden, diesen Weg zu gehen. Dennoch käme ich nie auf die Idee, sie mit mehr oder weniger starkem Druck auf diesen Weg zu zwingen. Für mich gehört auch zum Glauben, dass ich mir bewusst Auszeiten nehme, in denen ich das Zwiegespräch mit Gott suche. Ich habe noch nie abends die Augen zugemacht, ohne vorher zu beten. Das ist für mich ein wichtiger Abschluss des Tages, um meine Gedanken zu ordnen und den lieben Gott um Kraft und Unterstützung zu bitten.Beten Sie heute mehr als, sagen wir, vor zehn Jahren?
Anders. Ich habe heute andere Sorgen als früher. Das Berufliche tritt in den Hintergrund, das Private aus bekannten Gründen nach vorne.Hat sich Ihre Beziehung zu Gott verändert?
Ich persönlich habe zum lieben Gott wieder ein gutes, entspanntes Verhältnis. Ob er das umgekehrt auch sagen würde, weiß ich leider nicht. Unmittelbar nach der Diagnose des zweiten bösen Befundes habe ich schon meine Zweifel bekommen. Gleichzeitig fand ich Trost und Kraft im Glauben. Ich mag den schönen Gedanken: Du kannst nie tiefer fallen als in Gottes Hand. Das gibt Halt.„Du musst wissen, was du tust“, waren die Worte Ihrer Frau, als Sie sich dazu entschieden haben, trotz Ihrer Krankheit weiter Politik zu machen. Hat Sie im Angesicht des Workaholics Wolfgang Bosbach resigniert?
Eine erneute Kandidatur habe ich mir sehr gut überlegt, weil ich vor zwei Jahren eine neue Therapie begonnen hatte und nicht wusste, wie mein Körper darauf reagiert. Mittlerweile kann ich mit den Nebenwirkungen gut umgehen. Meine Frau weiß, dass ich nicht glücklicher wäre, wenn ich nicht kandidiert hätte. Ich kann mir nicht vorstellen, die meiste Zeit zu Hause zu verbringen. Vermutlich säße ich jetzt statt im Abgeordnetenbüro in der Kanzlei in Bergisch Gladbach und würde juristische Fälle bearbeiten. Nichtstun ist für mich keine Therapie. Aber ich habe meine Reisetätigkeit deutlich reduziert und verbringe mehr Zeit mit der Familie oder Freunden. Es wird nie mehr so sein wie früher, als ich mir die Nächte mit Akten um die Ohren geschlagen habe oder für eine zweistündige Veranstaltung zwei Tage unterwegs war. Obwohl mir das großen Spaß macht – denn volle Säle und gute Stimmung sind ja eine Bestätigung für gute politische Arbeit –, kann ich es einfach nicht mehr.Zwar sprechen Sie öffentlich über Ihre Krankheit, zu Hause ist das Thema aber für Sie tabu. Vermeiden Sie es aus Rücksicht auf sich selbst oder auf Ihre Familie?
Wenn es etwas Neues gibt, teile ich das meiner Familie natürlich mit. Wenn nicht, möchte ich nicht dauernd darüber reden. Wenn ich die Haustür hinter mir zu mache, möchte ich mich nicht mit Sorgen und Zweifeln beschäftigen, sondern ein möglichst unbeschwertes Leben führen und die wenige Freizeit, die ich habe, nicht mit düsteren Gedanken füllen.Sie lehnen die Homo-Ehe ab, ebenso sind Sie ein Gegner von Abtreibungen. Schmerzt es Sie, zu sehen, dass Deutschland sich in ethischen Fragen wie diesen zunehmend liberalisiert und die Gegner dieser Entwicklung weniger werden?
Ja und Nein. Es hat immer gesellschaftlichen Wandel gegeben, und es wird ihn auch zukünftig geben. Aber ich frage mich natürlich, warum Themen des Lebensschutzes längst nicht so viel politische Bedeutung haben und öffentliche Beachtung finden wie zum Beispiel die Frage, wieviel Arbeitslosigkeitszeiten bei der abschlagsfreien Rente mit 63 angerechnet werden. Das ist für viele Menschen wichtig und bewegt die Öffentlichkeit seit Monaten. Themen des Lebensschutzes spielen im Gegensatz dazu in den Medien nur dann eine Rolle, wenn ein Gesetzgebungsverfahren ansteht wie etwa derzeit beim Thema organisierte Sterbehilfe. Hand aufs Herz: Wer regt sich denn heute noch über eine sechsstellige Zahl von Abtreibungen jährlich in Deutschland auf?Warum treten Lebensschutzthemen in den Hintergrund?
Gute Frage. Vielleicht deshalb, weil die meisten froh sind, dass ein Thema wie § 218 StGB (der Paragraf zum Schwangerschaftsabbruch, Anm. d. Red.) nicht mehr gesellschaftlich polarisiert. Aber: Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber eine Beobachtungs- und Nachbesserungspflicht auferlegt. Die Legislative sollte beobachten, ob die damalige Neuregelung des Abtreibungsrechts, die Fristenregelung mit Beratungszwang, den erhofften Erfolg hat, also, dass die Zahl der Abtreibungen deutlich zurückgeht. Das ist sie zwar, aber nur in dem Maße, wie die Zahl der Geburten auch zurückgegangen ist. Trotzdem wagt sich niemand mehr an dieses Thema heran, weil man die kontroversen Debatten der Vergangenheit fürchtet.Wissen Sie heute, ob Sie in dreieinhalb Jahren erneut kandidieren werden?
Nein. Die Legislaturperiode hat doch gerade erst begonnen – warum soll ich da schon an die nächste denken? Ich habe mir vorgenommen, ein Jahr vor Ende dieser Legislatur zu entscheiden, wie es weitergeht. Am Ende der kommenden Wahlperiode wäre ich knapp 70 – auch das muss ich bedenken. Politik ist ein wichtiger Teil meines Lebens, aber nicht mein ganzes Leben. Und mit halber Kraft würde ich ohnehin nichts machen. Wenn, dann wird bis zum letzten Tag hart und fleißig gearbeitet.Wie soll man Sie in Erinnerung behalten? Als einen der letzten wahren Konservativen der CDU vielleicht?
Das klingt mir zu sehr nach Last-Man-Standing. Mir würde es völlig reichen, wenn die Menschen mich als fröhlich und fleißig in Erinnerung behalten. Das trifft meinen Charakter ganz gut. Ich bin bei allem Ärger immer gerne ins Büro gegangen. Reinhard Mey hat einmal beschrieben, was auf seinem Grabstein stehen sollte: „Hier liegt einer, der nicht gerne, aber der zufrieden ging.“ Das gefällt mir.Herr Bosbach, vielen Dank für das Gespräch! Dieses Interview ist zuerst in der aktuellen Ausgabe des Christlichen Medienmagazins pro erschienen. Bestellen Sie pro kostenlos und unverbindlich unter der Telefonnummer 06441/915 151, via E-Mail an info@pro-medienmagazin.de oder online.