22 Prozent der Westdeutschen und 14 Prozent der Ostdeutschen haben sich 2016 ehrenamtlich für Geflüchtete engagiert. Zu diesem Ergebnis kommt die Auftakt-Studie der Bertelsmann-Stiftung zum Religionsmonitor 2017. Deren Zahlen liegen etwas höher als bei der Untersuchung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Dort hatten 2016 11,9 Prozent der Befragten angegeben, sich aktuell für Geflüchtete zu engagieren.
Ostdeutsche setzen sich zwar seltener für geflüchtete Menschen, dafür aber intensiver ein. Ein Fünftel der Flüchtlingshelfer aus den neuen Bundesländern setzt sich mehrmals in der Woche für Geflüchtete ein. Unter westdeutschen Aktiven ist nur einer von zehn mehrmals in der Woche tätig. Die Frauen sind dabei aktiver als Männer. So gab ein knappes Viertel der befragten Frauen an, sich für geflüchtete Menschen zu engagieren, bei den Männern war es jeder Fünfte. Laut Studie ist dies ein wiederkehrender Befund der Engagementforschung.
Rückt den muslimischen Beitrag gerade
Während 44 Prozent der befragten Muslime sich 2016 für Flüchtlinge engagiert haben, waren es 21 Prozent der Christen und 17 Prozent der Konfessionslosen. Für die Studienleiter Alexander-Kenneth Nagel und Yasemin El-Menouar rückt dieses Ergebnis die Berichterstattung über den muslimischen Beitrag zur Flüchtlingshilfe gerade. Muslime aus den Herkunftsregionen der Geflüchteten wie dem Nahen Osten (53 Prozent) oder Südasien (54 Prozent) bringen sich häufiger in der Flüchtlingshilfe ein als ihre Glaubensgeschwister aus der Türkei (42 Prozent) oder Südosteuropa (30 Prozent).
Es besteht ein relativ starker Zusammenhang zwischen Gemeindebindung und dem Engagement für Geflüchtete: Am höchsten ist der Anteil der Flüchtlingshelfer mit 39 Prozent unter denjenigen, die ein bis dreimal im Monat in den Gottesdienst gehen, während er unter denjenigen, die jeden Sonntag in den Gottesdienst gehen, auf 33 Prozent sinkt. Christliche Befragte, die selten oder nie an Gottesdiensten teilnehmen, sind dagegen seltener in der Flüchtlingshilfe aktiv.
Überdurchschnittlich viele junge Engagierte
Während unter 25Jährige allgemein selten ehrenamtlich aktiv sind, bringen sie sich relativ häufig in der Flüchtlingshilfe ein (25 Prozent). Einerseits handelt es sich dabei um einen situativen Hype, andererseits könnten hier neue zivilgesellschaftliche Potenziale gesichert werden. Je besser die formale Bildung des Einzelnen ist, desto höher ist im Schnitt sein Engagement. So setzt sich fast jeder dritte Befragte mit allgemeiner Hochschulreife, aber nur etwa jeder siebte Absolvent einer Hauptschule für geflüchtete Menschen ein
Obwohl sich wirtschaftlich schlechter gestellte Menschen in der Regel selten ehrenamtlich betätigen, sind sie in der Flüchtlingshilfe im Verhältnis stark präsent. So engagieren sich unter den Befragten, die ihre wirtschaftliche Situation als sehr oder eher schlecht einschätzen, mit rund 17 Prozent fast ebenso viele wie unter denjenigen, denen es wirtschaftlich eher gut geht (19 Prozent). Knotenpunkte für Hilfsangebote sind oft die Gemeinschaftsunterkünfte für Kleiderkammern, Deutschkurse oder nachbarschaftliche Freizeitangebote. Menschen, die in der Nähe eines Flüchtlingsheims wohnen, helfen deutlich häufiger Neuankömmlingen als diejenigen, die weiter weg wohnen.
In Westdeutschland helfen 28 Prozent, wenn sie in der Nähe einer Unterkunft wohnen. Tun sie das nicht, sind es nur 14 Prozent. In Ostdeutschland helfen 17 Prozent der Bevölkerung Flüchtlingen, wenn sie in der Nähe einer solchen Einrichtung leben. Leben sie weiter weg, sind es nur 12 Prozent. Jeder 12. Westdeutsche und 15 Prozent der Ostdeutschen fühlen sich gestört, dass Geflüchtete in ihrem Viertel wohnen.
Flüchtlingshilfe mit Sport und Kultur verknüpfen
Für die Zukunft gelte es, diese ehrenamtliche Potenziale zu sichern. Dazu wäre es sinnvoll, den Bereich Flüchtlingshilfe stärker mit anderen, klassischen Bereichen von sozialem Engagement wie Sport und Kultur zu verzahnen. Laut Religionsmonitor 2017 versuchen ein bis zwei Prozent der Muslime, die Flüchtlingshilfe für eine religiöse Einflussnahme zu missbrauchen und Flüchtlinge zu radikalisieren. Die übrigen Befragten sind offen gegenüber anderen Religionen und wollen ihre guten Integrationserfahrungen weitergeben.
Alexander-Kenneth Nagel ist seit 2015 Professor für Religionswissenschaft mit dem Schwerpunkt sozialwissenschaftliche Religionsforschung an der Universität Göttingen. Yasemin El-Menouar ist seit 2014 bei der Bertelsmann Stiftung verantwortlich für den Religionsmonitor. Dieser untersucht anhand repräsentativer Bevölkerungsumfragen, welche Rolle Religion und die zunehmende religiöse Vielfalt in europäischen Gesellschaften spielen. (pro)
Von: jw