Kommentar

Gewissensfrage in der Union: Hier stehe ich, kann ich auch anders?

In der Regel stimmen Abgeordnete mit der eigenen Fraktion – nicht immer entspricht das auch der eigenen Meinung. Was aber, wenn man plötzlich gegen sein Gewissen stimmen muss? Über einen schwierigen Abwägungsprozess.
Ein Kommentar von Nicolai Franz
Martin Luther

„Hier stehe ich, ich kann nicht anders“, sagte Martin Luther am 18. April 1521 auf dem Reichstag zu Worms. Trotz großem Druck durch die Mächtigen seiner Zeit hielt er an seinen Überzeugungen fest, statt klein beizugeben. Seine Loyalität galt nicht Papst oder Kaiser, sondern zuallererst Gott und seinem Wort. Luther folgte etwas, wovor man sich nicht verstecken kann: seinem Gewissen.

Wenn dieser Tage der Rentenstreit in der Regierung seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht, spielt auch das Gewissen wieder eine große Rolle. Vor allem die Abgeordneten der „jungen Gruppe“ in der Unionsfraktion fragen sich, wem sie am Freitag im Bundestag folgen sollen.

Ihre Kritik am Rentenvorhaben ist gewichtig und wird von Ökonomen unterstützt: Sie warnen vor erheblichen Mehrkosten für die Rente, die unser Land nicht mehr wird stemmen können. Statt in ein marodes System nicht existentes Geld zu pumpen, sei es Zeit für mutige Reformen.

Sollen sie am Freitag im Bundestag daher gegen das Gesetz stimmen? Oder sollen sie dem Kanzler folgen? Gar nicht so leicht.

Grundsätzlich sind Mitglieder des Deutschen Bundestages nur ihrem Gewissen verpflichtet. Zu einer bestimmten Stimmabgabe darf sie niemand zwingen. Wenn sie sich mit anderen Abgeordneten aber zu einer Fraktion zusammenschließen, treten sie in einen Pakt ein: Dass man grundsätzlich einheitlich abstimmt, es sei denn, die Fraktionsdisziplin wird von der Fraktionsführung aufgehoben und die Abstimmung zur – reinen – Gewissensfrage erklärt. Das ist oft in ethischen Fragen der Fall, zum Beispiel bei der Regelung der Sterbehilfe.

Und doch ist die letzte Instanz des Abgeordneten nicht der Fraktionschef, auch nicht der Kanzler, sondern das eigene Gewissen. Immer wieder haben auch in der Ära Merkel Mitglieder von Regierungsfraktionen gegen die Parteilinie gestimmt. Aber Angela Merkel (CDU) hatte häufig eine recht komfortable Mehrheit. Die Mehrheit der gar nicht so großen Koalition beträgt aber nur zwölf Stimmen. Da kommt es auf jede an.

Die jungen Leute haben es doppelt schwer

Doch auch falls das Rentenpaket – zur Not durch Enthaltung der Linken – durchkommt, würde die Koalition zumindest wackeln, wenn Friedrich Merz (CDU) keine Kanzlermehrheit zustande bringt.

Das macht es für die jungen Unionisten doppelt schwer. Sollen sie für eine aus ihrer Sicht klar falsche Entscheidung votieren, für die laut ihrem Chef Merz inhaltlich „gar nichts“ spricht? Oder sollen sie ihm die Gefolgschaft verweigern und damit den Bruch der Koalition riskieren, inklusive allem, was dann kommt: Minderheitsregierung, Neuwahlen, eine weiter erstarkende AfD?

Beides lastet auf ihrem Gewissen. Martin Luther riskierte vor 500 Jahren die Einheit der Kirche, weil er Gottes Wort nicht verwässern wollte. Dagegen wirkt die Frage nach dem richtigen Rentensystem geradezu banal. Dennoch machen es sich die Abgeordneten nicht leicht, weil sie ihre wichtige Aufgabe nach bestem Wissen und Gewissen erfüllen wollen.

Und so sollten Christen heute mehr denn je um Weisheit für die beten, die unser Land führen. Sie haben es nötig.

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