Getötete in Afghanistan: „Durch Nächstenliebe geleitet“

Die getöteten Mitarbeiter der "International Assistance Mission" (IAM) in Afghanistan hatten die offizielle Erlaubnis, das Land zu bereisen und haben nicht missioniert. Das erklärten Sprecher der Organisation am Montag in Kabul. Am Samstag berichteten Medien, dass zehn Helfer im Norden des Landes tot aufgefunden worden waren, unter ihnen eine 35-jährige Deutsche. Mittlerweile sind Details über das Leben der Chemnitzerin bekannt geworden.

Von PRO

In einer Pressekonferenz hat sich die IAM am Montag zu den Verbrechen geäußert und den Tod von sechs Amerikanern, zwei Afghanen, einer Britin und einer Deutschen bestätigt. Zwei weitere Team-Mitglieder hätten überlebt. Die Organisation teilte mit, dass sie von der Regierung die Erlaubnis hatte, durch das Land zu reisen. Die Gruppe habe nicht, wie in manchen Presseberichten behauptet, Bibeln verteilt, sondern sich streng an die afghanischen Gesetze gehalten, die dies verböten. Der Überfall werde nun vom afghanischen Innenministerium und dem FBI untersucht. IAM will trotz der traurigen Vorfälle weiterhin in Afghanistan arbeiten.

Kooperationspartner der IAM in Afghanistan sind unter anderem "Islamic Relief" und die "Christoffel-Blindenmission". Wolfgang Jochum, Sprecher der Organisation, erklärte am Samstag gegenüber der Deutschen Presse-Agentur, er gehe davon aus, dass IAM nicht versuche, Menschen zu missionieren. Die Taliban hatten sich kurz nach Bekanntwerden der Tat zu dem Überfall bekannt und erklärt, die Getöteten seien christliche Missionare gewesen, die in Afghanistan spioniert hätten. Dem widersprechen aber Fachleute. Die Taliban würden ihre Opfer nicht ausrauben. Dies sei aber geschehen, daher sei ein Raubmord lokaler Krimineller anzunehmen. Die "Christoffel-Blindenmission" will ihre Projekte in dem Land aber zunächst aussetzen.

"Christoffel" arbeitet laut Jochum seit mehr als 30 Jahren mit IAM am Hindukusch zusammen. Dort versorge IAM jährlich etwa 250.000 Menschen, die unter Augenerkrankungen leiden. Jochum erklärte weiter, Teams mit Augenärzten würden nicht leichtfertig oder auf eigene Faust aufbrechen. Bevor ein Einsatz stattfinde, würden alle erforderlichen Informationen – auch zur Sicherheitslage – eingeholt. Zum konkreten Fall sagte der Experte: "Ich gehe davon aus, dass die Gruppe eingeladen war von den Dorfautoritäten." Zur Zeit des Überfalls war die Gruppe auf dem Weg von Nuristan im Norden des Landes nach Kabul.

Getötete Sächsin war Dolmetscherin

Über die 35-jährige getötete Deutsche wurden unterdessen weitere Details bekannt. Die Sächsin Daniela Beyer ist 1975 in Chemnitz geboren. Nach dem Abitur studierte sie Sprachwissenschaft an der Universität Leipzig und machte zusätzlich einen Abschluss als Deutschlehrerin für Ausländer. Nach einem vierjährigen Studium an der Universität Gloucesterhire in Südengland kam sie 2007 nach Afghanistan und begann, für die "International Assistance Mission" zu arbeiten. Nach Angaben des Afghanistan-Korrespondenten Christoph Reuter lernte sie in Kabul ein knappes halbes Jahr lang Dari, eine der beiden Landessprachen.

Beyer nahm ein Jahr lang am "Language Research Program" von IAM in der Nordostprovinz Badakhschan teil. Ziel des Projektes war es, "für die örtlichen Sprachen in den isolierten Bergregionen eine Schriftvariante zu entwickeln, so dass Menschen dort in ihrer eigenen Sprache lesen und schreiben lernen können", zitiert der "Stern" einen ehemaligen Kollegen der Chemnitzerin. Zuletzt soll die nicht nur fließend Dari, sondern auch leidlich Vahi und Mandschi, zwei lokale Sprachen, gesprochen haben.

Bei ihrem letzten Einsatz soll sie als Dolmetscherin unterwegs gewesen sein und nicht, wie bisher angenommen, als Ärztin. Vor einem Jahr verließ sie IAM, um beim Aufbau einer Nichtregierungsorganisation namens "Samar" zu helfen. Ziel der Organisation sollte die Erforschung und Rettung lokaler Sprachen sein. Den Kontakt zu den alten IAM-Kollegen hatte Beyer nie abreißen lassen, schreibt "Stern". Als an ihrem alten Arbeitsplatz eine Übersetzerin gesucht wurde, habe sie zugesagt.

"Letztendlich liegt alles in Gottes Händen"

"Daniela hat ihre Arbeit mit brennendem Herzen getan", erinnert sich der Referent ihrer ehemaligen Gemeinde, Pierre Große. Gegenüber pro berichtete er, dass er die Chemnitzerin zuletzt vor einem halben Jahr gesehen habe. Damals sei sie zu Besuch bei ihren Eltern gewesen. "Sie hat gewusst, dass es in Afghanistan nicht ungefährlich ist", sagt Große. Aber IAM sei nie leichtfertig mit dem Leben ihrer Mitarbeiter umgegangen. Große beschreibt Dabiela Beyer als lebensfroh und bescheiden. Sie habe sich immer gefragt: "Gott, wohin geht mein Weg jetzt?" Bei IAM habe sie ihre Sprachbegabung für eine gute Sache nutzen können.

Große steht auch in Kontakt zu Beyers Eltern. "Sie sind natürlich betroffen, aber auch gefasst, weil sie in Gott getragen sind", sagt er über die gläubige Familie. Auf die Frage, warum Gott ein solches Unglück zulasse, antwortet er: "Durch solche Ereignisse wird uns unsere Endlichkeit bewusst. Letztendlich liegt alles in Gottes Händen."

Regierung verurteilt "feigen Mord"

Die stellvertretende deutsche Regierungssprecherin Sabine Heimbach erklärte laut Presseberichten, das Verbrechen sei ein "feiger Mord". Die Bundesregierung dränge darauf, die Verbrechen aufzuklären und die Urheber gemeinsam mit den afghanischen Behörden zu bestrafen. Der Vorfall unterstreiche die Notwendigkeit, weiter zielstrebig auf eine Stabilisierung der Lage in Afghanistan hinzuwirken, sagte Heimbach.

Er sei "empört und erschüttert", sagte der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Volker Kauder. Gegenüber "Spiegel Online" erklärte er: "Dieser brutale Akt zeigt, dass die Lage in Afghanistan noch immer schwierig und gefährlich ist." Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin sagte: "Der tragische Tod der Hilfskräfte zeigt, wie weit das Land von einer Stabilisierung immer noch entfernt ist." In der "Stuttgarter Zeitung" hatte er jüngst mehr Entscheidungsgewalt für die Taliban gefordert.

Die Deutsche Evangelische Allianz (DEA) teilte mit: "Die IAM ist eine sehr erfahrene internationale Hilfsorganisation. Sie ist von dem christlichen Gedanken der grenzenlosen Nächstenliebe motiviert und hilft deshalb nach dem biblischen Vorbild des ‚barmherzigen Samariters‘ wie viele Katastrophenhelfer auch dann und dort, wo sie sich selbst in Gefahr bringen." Der Raubüberfall und die Ermordung von acht ausländischen Helfern und zwei Afghanen erfülle die Allianz mit großer Betroffenheit und tiefer Trauer. Ihr Mitgefühl gelte den Angehörigen der Helfer und ihren ebenfalls trauernden Freunden in Afghanistan.(pro)

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