Gesetz gegen Islamismus: Schaden auch für Kirchen?

Ein neues Gesetz soll in Frankreich Islamismus stärker kontrollieren. Nach der Enthauptung des Lehrers Samuel Paty am 16. Oktober und den Terroranschlägen in Nizza will die Regierung unter Präsident Emmanuel Macron den Separatimus bekämpfen. Doch das neue Gesetz würde auch andere Religionen im Land stark beeinflussen, kritisieren unter anderem Kirchenvertreter.
Von Jörn Schumacher
In Frankreich soll ein neues Gesetz den Islamismus einschränken. Kritiker bemängeln, auch Kirchen könnte dadurch geschadet werden.

Der brutale Mord an dem Lehrer Samuel Paty am 16. Oktober 2020 in Conflans Saint-Honorine, 27 Kilometer nordwestlich von Paris, löste ein weiteres Mal Entsetzen über islamische Gewalt in Frankreich aus. Verübt hatte den Mord ein islamistisch motivierter 18-Jähriger tschetschenischer Herkunft. Zwei Wochen später wurden bei einem offenbar ebenfalls islamisch motivierten Anschlag in der Basilika Notre-Dame in Nizza drei Personen mit einer Stichwaffe getötet.

Im Dezember hat das Kabinett um Präsident Emmanuel Macron ein neues Gesetz auf den Weg gebracht, das den sogenannten Separatismus bekämpfen soll und die Kontrolle von Religionsgemeinschaften verschärft. Offiziell ist nicht die Rede von einem Gesetz gegen Islamismus, das Wort kommt in den 70 Artikeln des Gesetzentwurfes nicht vor. Ursprünglich sollte das Gesetz die Überschrift „Gegen den islamistischen Separatismus“ tragen, doch wurde es umbenannt in „Gesetz zur Stärkung der Werte der Republik“.

Verbot von Jungfräulichkeitszertifikaten

Der Gesetzesentwurf sieht unter anderem vor, dass ein religiöser Verein, der gegen die „Werte der Republik“ verstößt, Subventionen zurückzahlen muss. Auch die Finanzierung von Moscheen aus dem Ausland soll unterbunden werden, etwa durch die Türkei und Saudi-Arabien. Davon wäre auch der türkische Dachverband Ditib betroffen, der wegen seiner Nähe zu Präsident Recep Tayyip Erdogan auch in Deutschland in der Kritik steht.

Der Entwurf fasst bereits bestehende Gesetze als neues Paket zusammen. So etwa das Verbot der Ausstellung von Jungfräulichkeitszertifikaten. Ärzte, die diese Atteste über die angebliche Jungfäulichkeit von jungen Frauen ausstellen, sollen zukünftig mit einem Jahr Haft und einer Geldbuße von 15.000 Euro bestraft werden. Muslimische Männer versuchen immer wieder, ihre Ehe wegen angeblich fehlender Jungfräulichkeit der Gattin annullieren zu lassen. Weitere Punkte, die das neue Gesetz reguliert, sind Polygamie, Zwangsehen, Predigten und Beifall für Terrortaten. Wie die Tageszeitung Die Welt berichtet, sollen Standesbeamte in Zukunft die Motivation der Ehepartner im Zweifelsfall hinterfragen. Nach Angaben der Regierung leben schätzungsweise rund 200.000 Frauen in Frankreich in Zwangsehen.

Laut der Zeitung dürfen dann Staatsbeamte sowie private Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes keine „religiösen Zeichen“ wie etwa ein Kopftuch tragen oder sektiererische Überzeugungen vertreten. Davon betroffen sind rund 100.000 Menschen, etwa Mitarbeiter an Flughäfen oder Busfahrer.

Das Gesetz sieht zudem Strafen für Hass im Internet vor. Der französische Justizminister Eric Dupond-Moretti sagte gegenüber dem französischen Sender RTL, wer das „Gift“ des Hasses online streue, solle „von einem Strafgericht im Rahmen einer sofortigen Vorführung verurteilt werden“ können. Strafbar mache sich künftig, wer „das Leben eines anderen durch Verbreitung von Informationen über dessen Privat- und Familienleben oder seinen Beruf in Gefahr bringt“. Dem Mord an dem Geschichtslehrer Samuel Paty, der die Mohammed-Karikaturen der Satire-Zeitschrift Charlie Hebdo im Unterricht durchgenommen hatte, waren Drohungen voraus gegangen, und sein Name und seine Schule waren veröffentlicht worden.

Auch der Heimunterricht soll nach dem neuen Gesetz nur noch in Ausnahmefällen genehmigt werden. Imame müssen zukünftig in Frankreich ausgebildet werden.

Einschränkung auch von Kirchen

Laut einem Bericht der Tagesschau stehen 76 Moscheen in Frankreich bereits jetzt unter dem Verdacht eines radikalen Separatismus. „Die Imame verstoßen gegen unsere Werte, erkennen die Gleichstellung von Mann und Frau nicht an, sind antisemitisch, predigen Hass auf Frankreich“, sagte dem Bericht zufolge Frankreichs Innenminister Gérald Darmanin. Nach dem neuen Gesetz können Präfekten religiös motivierte Praktiken innerhalb von 48 Stunden verbieten. Als Beispiel nannte Darmanin separate Schwimmbadzeiten für Frauen und Männer. Eine solche Regelung sei „nicht vereinbar mit den Werten der Republik“.

Als der französische Premierminister Jean Castex am 9. Dezember 2020 den Gesetzesentwurf präsentierte, sagte er gegenüber der Presse, der Text sei weder „gegen die Religionen noch insbesondere gegen die muslimische Religion“ gerichtet. Es sei „ein Gesetz der Emanzipation angesichts des religiösen Fundamentalismus“.

Doch Widerstand regt sich auch vonseiten der anderen Religionen in Frankreich. Der Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz, Eric de Moulins Beaufort, kritisierte laut einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) das Gesetz als Versuch, die Religionen unter staatlichen Vormund zu stellen. In einem Schreiben an den Vorsitzenden des Rechtsausschusses kritisierte er das geplante Recht für Präfekten, Kirchen und andere Religionsstätten „überprüfen“ und gegebenenfalls schließen zu können. Bisher ist dafür ein richterlicher Beschluss notwendig. De Moulins-Beaufort, der Erzbischof von Reims ist, mahnte, dass das neue Gesetz ein Angriff auf das bereits bestehende Gesetz zur Trennung von Kirche und Staat aus dem Jahr 1905 sei. „Das Gesetz von 1905 ist ein Freiheitsgesetz. Doch mit dem neuen Gesetz droht es sich in ein Kontroll-, Polizei- und Repressionsgesetz zu verwandeln“, warnte der Bischof.

Auch die Protestantische Föderation Frankreichs (FPF) befürchtet Kollateralschäden für alle Religionen. Die Kirchenvertreter warnten am 5. Januar in einem offenen Brief vor Auswirkungen auch auf die Kirchen durch das neue Gesetz. „Es ist das erste Mal, dass ich mich als Präsident der Protestantischen Föderation Frankreichs in dieser Situation befinde, die Religionsfreiheit zu verteidigen“, schreibt François Clavairoly, Präsident des Bundes. „Ich hätte nie gedacht, dass so etwas in meinem eigenen Land passieren könnte.“

Der Pastor erinnerte an den französischen Politiker und Friedensnobelpreisträger Aristide Briand, der 1905 mahnte: „Das Gesetz muss den Glauben schützen, solange der Glaube keinen Anspruch erhebt, sich über das Gesetz zu stellen. Weder der protestantische noch der jüdische Glaube haben jemals behauptet, das Gesetz in diesem Land zu diktieren.“ Zur geplanten verstärkten Kontrolle ausländischer Gelder, die die religiösen Vereinigungen des Landes finanzieren, schreiben die Kirchenvertreter, von den rund 5.000 Kulturverbänden in Frankreich seien drei Viertel protestantisch. „Es gibt 1,5 Millionen Verbände in Frankreich. Wir können kaum verstehen, warum eine verstärkte Kontrolle die Probleme lösen sollen“, erklärte Jean-Daniel Roque, Vorstandsmitglied und Rechtsberater der Protestantischen Föderation Frankreichs.

Der Oberrabbiner von Frankreich, Haim Korsia, begrüßte laut FAZ zwar die Absicht, gegen den radikalen Islamismus durchzugreifen, warnte aber auch, es gebe „Religionen, die sich exemplarisch verhalten. Sie dürfen nicht die Leidtragenden verschärfter Kontrollen werden.“

Von: Jörn Schumacher

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