Studie: „Christlicher Nationalismus“ fördert pro-Waffen-Haltungen

Eine neue Studie hat eine Korrelation zwischen Waffenbesitz und „christlichem Nationalismus“ in den USA gefunden. Christliche Nationalisten wünschten sich, dass der Staat möglichst „christlich“ sei. Ihre Interpretation dieses Begriffs dürften christliche Waffengegner nicht unhinterfragt lassen.
Von PRO
Eine Waffenmesse in Texas. Eine Studie hat ergeben, dass die Schießeisen für „christliche Nationalisten“ identitätsstiftend sind.

Mit erschreckender Regelmäßigkeit gibt es neue Meldungen über Amokläufe in den USA. Die Forderungen nach strengen Waffengesetzen werden lauter. Doch die Gruppen scheinen aneinander vorbeizureden. Vielen Amerikanern ist ihre Waffe heilig – anscheinend wortwörtlich, wie eine neue Studie herausgefunden hat. Sie stellte fest: Das entschiedene Ablehnen von schärferen Waffengesetzen hat irgendwie mit dem Glauben zu tun – irgendwie aber auch nicht. Denn es geht nicht um Kirchenbesuche oder Gebet, sondern um so genannten „christlichen Nationalismus“.

Mit diesem Begriff beschreibt die Studie „Gun Control in the Crosshairs“ (etwa: „Waffenkontrolle im Fadenkreuz“) der „American Sociological Association“ ein komplexes soziologisches Phänomen. Im Kern ist gemeint: Der Wunsch, christliche Religiosität und Öffentlichkeit mögen möglichst verbunden, die Politik und der Staat möglichst „christlich“ sein.

Als ein Beispiel für christlichen Nationalismus nennt die Studie den US-Bundesstaat Alabama. Dort gibt es ein Gesetz, das das Ausstellen der zehn Gebote auf öffentlichem Gelände und in Schulen erlaubt. Dies könne gewisse Schüler davon abhalten, ihre Klassenkameraden zu töten, hatte State Senator Gerald Dial im März gesagt.

Die Waffen sind für christliche Nationalisten nicht das Problem

Dahinter steht also für christliche Nationalisten die Überzeugung: Die Waffen sind nicht das eigentliche Problem, sondern ein Werteverfall, eine „Unchristlichkeit“ der Kultur und des öffentlichen Raumes. Die Waffe selbst sei für sie laut Studie sogar ein heiliges, schützenswertes Gut.

Die Argumentation der Waffenbefürworter fasst die Studie wie folgt zusammen: Die amerikanische Verfassung, auf die sich der Staat gründet, sei göttlich inspiriert, das darin zugesicherte Recht, eine Waffe zu tragen, sei also ein göttliches Gebot. Die Waffe wird so als eine Art „Geschenk Gottes“ verstanden.

Vater und Tochter beim Zielschießen. Für viele Amerikaner sind Waffen ein christlicher Wert, den sie wie jeden anderen an ihre Kinder weitergeben möchten. Foto: Loren Kerns, flickr.com | CC BY-SA 2.0 Generic
Vater und Tochter beim Zielschießen. Für viele Amerikaner sind Waffen ein christlicher Wert, den sie wie jeden anderen an ihre Kinder weitergeben möchten.

Waffen spenden Identität

Die Studie verweist außerdem auf Daten, die zeigen, dass Waffen auch als Quelle von Identität fungieren, vor allem für „weiße Männer, die wirtschaftliche Bedrängnis erlebt haben“. Die Schießeisen böten diesen Menschen „moralische und emotionale Unterstützung“. Die Rolle einer Schusswaffe dafür, was es für diese Menschen heiße, ein „echter Amerikaner“ zu sein, sei nicht zu unterschätzen.

Das Phänomen hat also nur sehr indirekt mit dem Glauben selbst zu tun: Obwohl die Wahrscheinlichkeit, eine Handfeuerwaffe zu besitzen, bei theologisch konservativen Amerikanern höher ist, ist sie bei den „religiös aktiven“ – also etwa regelmäßigen Betern oder Kirchgängern – geringer.

Es ist also weniger die Gottesbeziehung selbst, sondern vielmehr das Maß, in dem das Christentum als Teil der amerikanischen Identität verstanden wird, das zu Pro-Waffen-Haltungen beiträgt. „Es ist egal, ob eine Person im traditionellen Sinne religiös ist. Sie kann unabhängig von Kirchenmitgliedschaft oder Gottesdienstbesuch eine symbiotische Beziehung zwischen dem Christentum und der Zivilgesellschaft befürworten“, heißt es in der Studie.

Theologische Richtung entscheidet nicht über Waffenbesitz

Sie urteilt daher, das Phänomen könne „nicht einfach einer spezifischen religiösen Tradition oder Verhaltensweise zugeordnet werden“. Zwar sei die Quote der Waffenbesitzer bei Evangelikalen am höchsten, aber das liege nicht am Evangelikalismus selbst, sondern daran, dass unter Evangelikalen auch die Quote der christlichen Nationalisten am höchsten sei. So gebe es in den so genannten „Mainline Churches“, also unter tendenziell liberalen Protestanten, zwar weniger Waffenbesitzer, aber das Verhältnis zu den christlichen Nationalisten unter ihnen bleibe gleich. Ein Evangelikaler, der kein christlicher Nationalist ist, sei im Schnitt sogar weniger pro Waffe als ein christlicher Nationalist anderer Konfession.

Entscheidend ist nicht das Christentum selbst, sondern seine Rolle im öffentlichen Raum.

Der entscheidende Faktor sei also nicht das Christentum selbst, sondern seine Rolle im öffentlichen Raum. Die Waffenfrage sei für viele ein „symbolisches Schlachtfeld“, in dem es nicht einfach um öffentliche Sicherheit, sondern um tieferliegende Fragen von Identität und moralischen Verfall gehe. Ähnlich verhalte es sich mit Themen wie Rechten für Homosexuelle oder Sozialfürsorge.

Skala des christlichen Nationalismus: 24 Punkte sind Spitzenwert

Doch wer gilt überhaupt als christlicher Nationalist? Um das zu ermitteln, haben die Forscher eine Skala des christlichen Nationalismus erstellt. Sie stellen ihren Interviewpartnern Fragen wie „ist der Erfolg der Vereinigten Staaten Teil von Gottes Plan?“. Jede Antwort bringt eine gewisse Punktzahl, an der dann abgelesen werden kann, wie stark die Person dem christlichen Nationalismus anhängt.

Personen aus diesem Spektrum hat die Studie dann nach ihrer Meinung zu Waffengesetzen gefragt. Das Ganze wurde mit verschiedenen demografischen Faktoren wie Alter, Geschlecht oder ethnische Herkunft abgeglichen. Das Ergebnis: Je höher ein Befragter auf der Skala des christlichen Nationalismus punktet, desto unwahrscheinlicher ist es, dass er für schärfere Waffengesetze ist – unabhängig von demografischen Faktoren.

Höchstwert auf der Skala sind 24 Punkte. Bei rund 12 Punkten sind noch 46 Prozent für schärfere Waffengesetze, bei 19 Punkten sind es nur noch 36 Prozent. Bei nur sechs Punkten beträgt die Wahrscheinlichkeit umgekehrt 70 Prozent. Das beweise die starke Korrelation zwischen Pro-Waffen-Haltungen und christlichem Nationalismus. Dieser führe zu einem „tiefen kulturellen Gräben“ in der Waffen-Debatte.

Der christliche Nationalismus sei sogar so stark, dass er andere, normalerweise ausschlaggebende Faktoren außer Kraft setze. So sei es auf die Gesamtbevölkerung gesehen etwa deutlich wahrscheinlicher, dass jemand aus einer ländlichen Gegend gegen schärfere Waffengesetze sei. Bei christlichen Nationalisten mache es aber keinen Unterschied, ob sie auf dem Land oder in der Stadt wohnen. Gleiches gelte für die politische Zugehörigkeit. Demokraten seien normalerweise viel stärker gegen Waffen als Republikaner – nicht so die christlichen Nationalisten unter ihnen. Dies zeige auch: Christlicher Nationalismus sei zwar ursprünglich ein „weißes evangelikales Phänomen“, er sei aber über dieses Milieu hinaus in die gesamte Gesellschaft eingezogen.

Demonstranten bei einer Protestaktion für schärfere Waffengesetze. Sie appelieren an die Vernunft. Foto: Susan Melkisethian, flickr.com | CC BY-NC-ND 2.0 Generic
Demonstranten bei einer Protestaktion für schärfere Waffengesetze. Sie appelieren an die Vernunft.

Gegner und Befürworter reden aneinander vorbei

Das Urteil der Studie: Die Gruppen reden aneinander vorbei. So berufen sich die Befürworter stärkerer Waffengesetze auf die Vernunft und auf sachliche Überlegungen zur öffentlichen Sicherheit. Bei den Gegnern erreichten sie damit allerdings nichts, weil für diese kulturelle Werte und ihre amerikanische Identität im Vordergrund stünden. Das Argument, dass strenge Waffengesetze ja in anderen Ländern auch funktionieren würden, greift insofern nicht, weil die Waffe für die christlichen Nationalisten ein „heiliger“ Bestandteil christlich-amerikanischen Lebens ist. Wäre Amerika christlicher, so der Gedankengang, wären Amokläufe auch kein Problem. Waffen zu verbieten wäre nach dieser Logik ein Eigentor, weil der Verlust der Waffe der Verlust eines gottgegebenen Rechts wäre, der die „Entchristlichung“ Amerikas beschleunigen würde.

Das Resümee der Studie: Die beiden Gruppen sprechen in verschiedenen Sprachen von verschiedenen Anliegen. Waffengegner müssten „erkennen, dass für viele Amerikaner das Recht, Waffen zu tragen, aufs Engste mit ihrem Glauben an die Vereinigten Staaten als einer christlichen Nation verwoben ist“. Waffengegner müssten sich deshalb darauf einlassen und „christlichen Nationalismus“ neu definieren – indem sie etwa zeigten, dass es auch christlich sein kann, gegen Waffen zu sein. Anstatt einfach an „die Vernunft“ zu appellieren, sei es erfolgversprechender, zu verändern, welche gesellschaftlichen Werte als christlich verstanden würden. Bei Martin Luther King und der Rassentrennung habe schließlich genau das auch funktioniert.

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