„Jesus Christus hat mich von Rachegefühlen befreit“

Der Journalist Simon Jacob bereiste jahrelang als „Peacemaker“ den Nahen Osten. Der türkischstämmige Christ wirft der Politik im Westen einen blauäugigen Umgang mit dem politischen Islam vor, fordert eine harte Integrationspolitik – und berichtet, wie Jesus ihm die Lust auf Rache nahm.
Von PRO
Der syrisch-orthodoxe Christ Simon Jacob kam 1978 in Südostanatolien, Türkei, zur Welt. Mit zwei Jahren kam er nach Deutschland. Er ist Vorsitzender des Zentralrates orientalischer Christen. Als Journalist bereist er seit Jahren den Nahen Osten. Im April 2018 veröffentlichte er sein Buch „Peacemaker“ und startete zu dem Thema eine Vortragsreihe (peacemaker-tour.com).

pro: In Ihrem Buch vertreten Sie die Meinung, die meisten westlichen Außenpolitiker hätten keine Ahnung vom Nahen Osten. Warum?

Simon Jacob: Sie sehen in den arabischen Regionen einfach Staaten, die mit denen im Westen vergleichbar sind. Das sind sie aber nicht. Diese Regionen werden seit Jahrtausenden von Familien- und Clanstrukturen kontrolliert. Wer Frieden mit solchen Staaten schließen will, muss wissen, wie der Clankodex funktioniert. Dieser lebt vom Kollektiv und schert sich wenig um das Individuum, wie westliche Politiker es oft gerne hätten.

Sie wurden einmal in Brüssel von einem arabischen Clan angegriffen.

Das war 2012, als ich ironischerweise von einer Veranstaltung der Adenauerstiftung zum Thema Migration kam. Ich war mit Anzug, Krawatte und Laptop-Rucksack unterwegs, fragte junge Männer nach dem Weg. Plötzlich kam ein Mann mit nordafrikanischem Aussehen auf mich zu und zeigte mir den Mittelfinger, griff mich an. Ein arabischer Taxifahrer hatte die Situation beobachtet und schrie: „Police, police, I call the police!“ Die Polizisten kamen und wollten den Täter festnehmen, er wehrte sich. Plötzlich kamen aus allen Richtungen hochgradig aggressive junge Männer und bedrängten uns. Wir standen im Zentrum dieses Mobs, die Männer zeigten auf mich, ich sei für das ganze Unheil verantwortlich. Einer deutete mir mit dem Finger an, er wolle mir den Kopf abschneiden. Die Polizisten forderten eine Hundertschaft mit Hunden an. Mitten in Brüssel! Die Polizisten sagten mir: „Morgen wird im Internet ein Video von dem Einsatz auftauchen und alle werden uns beschuldigen, dass wir Migranten angegriffen hätten.“

Ist ein Clan dasselbe wie eine Familie?

Nein. Ein Clan ist viel größer als eine Familie. Auch Außenstehende können in den Clan aufgenommen werden, wenn sie sich durch ein ehrenvolles Verhalten bewiesen haben.

Was ist wichtiger: Clan oder Religion?

Der Clan. Wer das nicht versteht, versteht weder die Konflikte im Nahen Osten noch die Migrationspolitik in Deutschland. Natürlich spielt auch die Religion mit hinein und legitimiert das Clanrecht. Dann müssen wir sie auch offen und ehrlich hinterfragen, wenn etwa die Scharia das Patriarchat und die Unterdrückung der Frau erlaubt. Solche Aspekte müssen gegebenenfalls verboten werden.

Welche denn?

Wenn Mädchen nicht am Schwimm- oder Biologieunterricht teilnehmen dürfen, wenn Frauen Bildung verweigert wird, wenn der Holocaust angezweifelt wird – nur weil es nicht in die politische Kultur des Clans passt. Das muss per Gesetz geregelt werden.

Sie plädieren also für eine härtere Integrationspolitik.

Selbstverständlich. Für eine viel härtere Integrationspolitik, die darauf ausgerichtet ist, im Besonderen den Frauen Bildungschancen zu geben. Die, die ihre Kinder von Bildungseinrichtungen fernhalten, müssen sanktioniert werden. Wer zu uns kommt, muss wissen: Wer Teil einer pluralistischen Gesellschaft mit ihren immensen Freiheiten sein will, muss Regeln befolgen. Eine religiös legitimierte Clanstruktur höhlt die pluralistische Gesellschaft aus und bringt sie irgendwann zu Fall.

Fördern solche harten Maßnahmen nicht auch die Radikalisierung?

Wir haben zwei Möglichkeiten: Wir können akzeptieren, dass Clanstrukturen herrschen, in denen Frauen, Juden, Christen und Atheisten zu Menschen zweiter Klasse degradiert werden. Das würde früher oder später zu einem großen Schaden führen. Oder wir können den Menschen, die wir aufnehmen, klar machen, dass die demokratische Gesellschaft nichts dulden kann, was mit ihr kollidiert. Wer hier leben will, muss wissen, dass eine Frau ohne Weiteres mit einem Sommerkleid herumlaufen kann, ohne dass man sie zu einem Stück Fleisch degradiert und dieses Verhalten als „haram“, also Sünde, bezeichnet. Natürlich kann es Menschen beschämen, wenn man klar und deutlich sagt, was geht und was nicht. Aber wenn wir das nicht tun, werden wir in Europa sehr viel stärker mit der Radikalisierung zu kämpfen haben, und zwar sowohl unter religiösen Gruppen als auch am linken und rechten Rand der Gesellschaft.

Terror ist mit dem „Islamischen Staat“ nicht besiegt

Sie schreiben, dass schon 2011 abzusehen gewesen sei, dass sich so etwas wie die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) bilden könnte. Wie kommen Sie darauf?

Der IS ist nichts weiter als die Fortsetzung extremistischer Gruppierungen, die teilweise sogar vom Westen benutzt wurden, um einen Krieg zu führen, etwa bei den Mudschaheddin in Afghanistan. Die völkerrechtswidrige Intervention im Irak 2003 hat die Spirale der Gewalt verstärkt. Der größte Fehler der Amerikaner war die Auflösung der Sicherheitsorgane des Staates. Die zuvor unterdrückten Schiiten kamen dadurch an die Macht.

Die Anhänger von Saddam Husseins Baath-Partei waren Sunniten.

Genau. Sie waren exzellent ausgebildet und wurden dann entfernt. Sie flohen in den Untergrund und führten einen Guerilla­krieg. In den Islamisten fanden sie Verbündete. Aus Al-Kaida Irak wurde später der IS. All das hätten europäische Politiker verstehen können, wenn sie über die eigene arrogante Sichtweise hinaus geblickt hätten. Vor allem Deutschland spielt sich oft schulmeisterhaft auf. Jetzt stellt man den IS als besiegt dar. Dabei sind wir nur auf der Etappe zur nächsten extremistischen Organisation, die sich gerade formiert und die technisch noch professioneller vorgehen wird als der IS. Der Extremismus ist noch lange nicht besiegt. Die Jugend in diesen Ländern braucht Jobs und Perspektive, die Korruption muss beendet werden.

Das versucht zum Beispiel die Bundeswehr in Afghanistan. Es scheint aber nicht zu funktionieren.

Die Ziele der Bundesregierung sind richtig. Aber es braucht insgesamt einen mutigen, umfassenden Plan, diese Zone zu demilitarisieren und Jobs zu schaffen. Auch wird dies nur funktionieren, wenn der Islam eine geistige Kehrtwende macht: Jeder muss gleichermaßen teilhaben können in der Gesellschaft, unabhängig davon, zu welcher Religion er gehört – oder wenn er zum Beispiel dem Islam den Rücken kehrt. Auch die Rechtsschulen, ob in Kairo oder Mekka, müssen das umsetzen. Im Islam müssen die Menschenrechte der Vereinten Nationen gelten, nicht die zweifelhafte Menschenrechtserklärung von Kairo 1990.

Sie wollen eine Reformation des Islam.

Im Nahen Osten haben Anhänger des IS, also Muslime, andere Muslime geköpft. Das hat die Menschen ins Nachdenken über den Islam gebracht. In Europa tragen die Funktionäre ein sehr viel extremistischeres Gedankengut in sich als ihre Kollegen im Nahen Osten, die mit Leid und Tod konfrontiert sind. Ich kann jeden Muslim nur ermutigen, dieses patriarchalische System zu kritisieren.

Es gab solche Versuche etwa durch die Islamkonferenz, die später von wichtigen Verbänden boykottiert wurde. Der bekannteste Verbandschef ist Aiman Mazyek, der mit seinem „Zentralrat der Muslime“ für weniger als 0,5 Prozent der Muslime in Deutschland spricht.

Das Scheitern liegt auch daran, dass die strenggläubigen Verbände viel Geld haben, etwa durch wahhabitische Finanziers aus dem Ausland, die liberalen nicht. Die Politiker lassen die Reformer hängen. Wir müssen uns nicht wundern, dass die AfD selbst unter jungen Menschen viel Zulauf hat. Unsere eigene naive Politik in den vergangenen Jahren trägt die Schuld dafür.

Haben Sie dafür ein Beispiel?

2016 war ich mit dem Soziologen Bassam Tibi auf einer Vortragsreise. Wir unterhielten uns mit einer deutschen Professorin darüber, warum zwei junge Schweizer Muslime ihrer Lehrerin nicht die Hand geben. Professor Tibi und ich waren uns einig, dass die Frau aus der Sicht der beiden jungen Männer minderwertig ist. Sie ist „haram“, schmutzig. Die deutsche Professorin beharrte, dies sei nur ein kultureller Aspekt, die Frau könne sich weiter des Respektes der jungen Männer sicher sein. Ich fragte sie, wie oft sie denn im Nahen Osten gewesen sei. „Nicht allzu oft“, sagte sie, aber sie sei mal Integrationsbeauftragte gewesen. Professor Tibi drehte sich zu mir und sagte: „Siehst du, mein Sohn, so ergeht es uns allen, und so wird es dir auch ergehen. Sie sitzen im Elfenbeinturm und sprechen dir deine Kompetenz ab, obwohl du es besser weißt, weil du selbst in solchen Strukturen aufgewachsen bist.“

Sie schreiben, dass schon 2011 abzusehen gewesen sei, dass sich so etwas wie die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) bilden könnte. Wie kommen Sie darauf?

Der IS ist nichts weiter als die Fortsetzung extremistischer Gruppierungen, die teilweise sogar vom Westen benutzt wurden, um einen Krieg zu führen, etwa bei den Mudschaheddin in Afghanistan. Die völkerrechtswidrige Intervention im Irak 2003 hat die Spirale der Gewalt verstärkt. Der größte Fehler der Amerikaner war die Auflösung der Sicherheitsorgane des Staates. Die zuvor unterdrückten Schiiten kamen dadurch an die Macht.

Die Anhänger von Saddam Husseins Baath-Partei waren Sunniten.

Genau. Sie waren exzellent ausgebildet und wurden dann entfernt. Sie flohen in den Untergrund und führten einen Guerilla­krieg. In den Islamisten fanden sie Verbündete. Aus Al-Kaida Irak wurde später der IS. All das hätten europäische Politiker verstehen können, wenn sie über die eigene arrogante Sichtweise hinaus geblickt hätten. Vor allem Deutschland spielt sich oft schulmeisterhaft auf. Jetzt stellt man den IS als besiegt dar. Dabei sind wir nur auf der Etappe zur nächsten extremistischen Organisation, die sich gerade formiert und die technisch noch professioneller vorgehen wird als der IS. Der Extremismus ist noch lange nicht besiegt. Die Jugend in diesen Ländern braucht Jobs und Perspektive, die Korruption muss beendet werden.

Das versucht zum Beispiel die Bundeswehr in Afghanistan. Es scheint aber nicht zu funktionieren.

Die Ziele der Bundesregierung sind richtig. Aber es braucht insgesamt einen mutigen, umfassenden Plan, diese Zone zu demilitarisieren und Jobs zu schaffen. Auch wird dies nur funktionieren, wenn der Islam eine geistige Kehrtwende macht: Jeder muss gleichermaßen teilhaben können in der Gesellschaft, unabhängig davon, zu welcher Religion er gehört – oder wenn er zum Beispiel dem Islam den Rücken kehrt. Auch die Rechtsschulen, ob in Kairo oder Mekka, müssen das umsetzen. Im Islam müssen die Menschenrechte der Vereinten Nationen gelten, nicht die zweifelhafte Menschenrechtserklärung von Kairo 1990.

Sie wollen eine Reformation des Islam.

Im Nahen Osten haben Anhänger des IS, also Muslime, andere Muslime geköpft. Das hat die Menschen ins Nachdenken über den Islam gebracht. In Europa tragen die Funktionäre ein sehr viel extremistischeres Gedankengut in sich als ihre Kollegen im Nahen Osten, die mit Leid und Tod konfrontiert sind. Ich kann jeden Muslim nur ermutigen, dieses patriarchalische System zu kritisieren.

Es gab solche Versuche etwa durch die Islamkonferenz, die später von wichtigen Verbänden boykottiert wurde. Der bekannteste Verbandschef ist Aiman Mazyek, der mit seinem „Zentralrat der Muslime“ für weniger als 0,5 Prozent der Muslime in Deutschland spricht.

Das Scheitern liegt auch daran, dass die strenggläubigen Verbände viel Geld haben, etwa durch wahhabitische Finanziers aus dem Ausland, die liberalen nicht. Die Politiker lassen die Reformer hängen. Wir müssen uns nicht wundern, dass die AfD selbst unter jungen Menschen viel Zulauf hat. Unsere eigene naive Politik in den vergangenen Jahren trägt die Schuld dafür.

Haben Sie dafür ein Beispiel?

2016 war ich mit dem Soziologen Bassam Tibi auf einer Vortragsreise. Wir unterhielten uns mit einer deutschen Professorin darüber, warum zwei junge Schweizer Muslime ihrer Lehrerin nicht die Hand geben. Professor Tibi und ich waren uns einig, dass die Frau aus der Sicht der beiden jungen Männer minderwertig ist. Sie ist „haram“, schmutzig. Die deutsche Professorin beharrte, dies sei nur ein kultureller Aspekt, die Frau könne sich weiter des Respektes der jungen Männer sicher sein. Ich fragte sie, wie oft sie denn im Nahen Osten gewesen sei. „Nicht allzu oft“, sagte sie, aber sie sei mal Integrationsbeauftragte gewesen. Professor Tibi drehte sich zu mir und sagte: „Siehst du, mein Sohn, so ergeht es uns allen, und so wird es dir auch ergehen. Sie sitzen im Elfenbeinturm und sprechen dir deine Kompetenz ab, obwohl du es besser weißt, weil du selbst in solchen Strukturen aufgewachsen bist.“

Vergebung statt Rache üben

Sie sind viel gereist, haben auch Filme für das ZDF gedreht, und Ihr Projekt heißt „Peacemaker“. Wo sehen Sie Chancen für den Frieden?

Meine Hoffnung ist die junge Generation im Nahen Osten, die mit ihren Smartphones mit dem Rest der Welt verbunden ist. Sie könnte die zukünftige Politik mitgestalten, die zum Frieden führt. Die etablierten Politiker, die seit Jahrzehnten in diesen Gebieten herrschen, verteidigen lediglich ein System, das bis zur letzten Zelle korrupt ist. Die jungen Leute haben ein anderes Wissen als die Generation davor. Wir sollten sie ermutigen, sich von der alten herrschenden Kaste zu distanzieren. Viele Millionen Menschen warten darauf.

Welche Rolle spielt Ihr christlicher Glaube dabei?

Eine absolut zentrale. Wenn ich nicht glauben würde, dass unser Vater uns vergibt und er aus Liebe zum Menschen seinen Sohn und seine Schöpfung geopfert hat, dann wäre auch ich nicht fähig gewesen, in den schlimmsten Momenten meines Lebens zu vergeben. Das mag unglaublich klingen, aber durch die Kraft der Vergebung habe ich mich von meinen Dämonen befreit, die mich plagten. Ich hätte auch zu einer Waffe greifen und Rache üben können.

Rache wofür?

Manche meiner Verwandten wurden in Syrien umgebracht. Andere wurden entführt, gefoltert. Meine Glaubens­geschwister wurden massakriert. Jahrelang erlebte ich, wie Kinder brutal umgebracht oder vergewaltigt wurden. Ich kann mich noch erinnern, dass ich den Schädelknochen eines Kindes in Händen hielt. Ihm wurde lebendig der Kopf abgeschlagen. Ich lernte in Syrien eine Frau kennen, die drei Jahre lang Sexsklavin beim IS war. Sie schaute mich an und sagte: „Sei mir nicht böse, aber du erinnerst mich an einen von denen.“ Mich hat das getroffen. Natürlich wünscht man solchen Tätern irgendwann die Hölle.

Das ist irgendwie auch menschlich.

Ja, aber man fragt sich irgendwann: Will ich so werden? Will ich mich so von Rachegelüsten steuern lassen? Ich kam an den Punkt, an dem ich sagte: „Gott, vergib mir meinen Hass.“ Natürlich würde ich mich notfalls verteidigen, wenn ich kann, aber ich will niemanden leiden sehen, weil es mich nicht erfreut. Ich erfreue mich des Lebens. Das geht nur, wenn du vergibst. Es ist die Spirale der Gewalt, die diese Verblendeten in diese Brutalität treibt. Und weil sie nicht mehr zurück können, wollen sie uns auch in diesen Strudel ziehen. Jesus Chris­tus, der sich selbst für alle Menschen geopfert hat, hat mich daraus gerettet.

Vielen Dank für das Gespräch.

Sie sind viel gereist, haben auch Filme für das ZDF gedreht, und Ihr Projekt heißt „Peacemaker“. Wo sehen Sie Chancen für den Frieden?

Meine Hoffnung ist die junge Generation im Nahen Osten, die mit ihren Smartphones mit dem Rest der Welt verbunden ist. Sie könnte die zukünftige Politik mitgestalten, die zum Frieden führt. Die etablierten Politiker, die seit Jahrzehnten in diesen Gebieten herrschen, verteidigen lediglich ein System, das bis zur letzten Zelle korrupt ist. Die jungen Leute haben ein anderes Wissen als die Generation davor. Wir sollten sie ermutigen, sich von der alten herrschenden Kaste zu distanzieren. Viele Millionen Menschen warten darauf.

Welche Rolle spielt Ihr christlicher Glaube dabei?

Eine absolut zentrale. Wenn ich nicht glauben würde, dass unser Vater uns vergibt und er aus Liebe zum Menschen seinen Sohn und seine Schöpfung geopfert hat, dann wäre auch ich nicht fähig gewesen, in den schlimmsten Momenten meines Lebens zu vergeben. Das mag unglaublich klingen, aber durch die Kraft der Vergebung habe ich mich von meinen Dämonen befreit, die mich plagten. Ich hätte auch zu einer Waffe greifen und Rache üben können.

Rache wofür?

Manche meiner Verwandten wurden in Syrien umgebracht. Andere wurden entführt, gefoltert. Meine Glaubens­geschwister wurden massakriert. Jahrelang erlebte ich, wie Kinder brutal umgebracht oder vergewaltigt wurden. Ich kann mich noch erinnern, dass ich den Schädelknochen eines Kindes in Händen hielt. Ihm wurde lebendig der Kopf abgeschlagen. Ich lernte in Syrien eine Frau kennen, die drei Jahre lang Sexsklavin beim IS war. Sie schaute mich an und sagte: „Sei mir nicht böse, aber du erinnerst mich an einen von denen.“ Mich hat das getroffen. Natürlich wünscht man solchen Tätern irgendwann die Hölle.

Das ist irgendwie auch menschlich.

Ja, aber man fragt sich irgendwann: Will ich so werden? Will ich mich so von Rachegelüsten steuern lassen? Ich kam an den Punkt, an dem ich sagte: „Gott, vergib mir meinen Hass.“ Natürlich würde ich mich notfalls verteidigen, wenn ich kann, aber ich will niemanden leiden sehen, weil es mich nicht erfreut. Ich erfreue mich des Lebens. Das geht nur, wenn du vergibst. Es ist die Spirale der Gewalt, die diese Verblendeten in diese Brutalität treibt. Und weil sie nicht mehr zurück können, wollen sie uns auch in diesen Strudel ziehen. Jesus Chris­tus, der sich selbst für alle Menschen geopfert hat, hat mich daraus gerettet.

Vielen Dank für das Gespräch.

Simon Jacob: „Peacemaker. Mein Krieg. Mein Friede. Unsere Zukunft.“, Herder, 224 Seiten, 20 Euro, ISBN 9783451379048 Foto: Herder
Simon Jacob: „Peacemaker. Mein Krieg. Mein Friede. Unsere Zukunft.“, Herder, 224 Seiten, 20 Euro, ISBN 9783451379048

Die Fragen stellte Nicolai Franz

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