„Die Menschen haben alles verloren“

Hunderttausende Menschen der muslimsichen Minderheit Rohingya sind in den vergangenen Wochen aus ihrem Heimatland Myanmar nach Bangladesch geflohen, um der Verfolgung zu entkommen. Romy Schneider, Geschäftsführerin der Hilfsorganisation Medair, schildert die Lage vor Ort.
Von PRO
Medair-Mitarbeiter kümmern sich um die Flüchtlinge

Was sind die Ursachen für die massenhafte Flucht der Menschen in den vergangenen Wochen?

Mitte August eskalierte die Gewalt im Rakhine State in Myanmar und Hunderttausende Rohingyas flohen ins Nachbarland Bangladesch. Das löste einen humanitären Notfall aus.

Wie viele sind geflohen und werden es noch mehr werden?

Allein in den drei Wochen nach dem Gewaltausbruch sind rund 400.000 Menschen über die Grenze nach Bangladesch geflüchtet. Die Vereinten Nationen berichten zwischenzeitlich von einer halben Million Menschen. In den vergangenen Tagen hat sich die Zahl der Flüchtlinge zwar etwas verringert, dennoch wird befürchtet, dass sie ansteigen könnte auf 700.000.

Die Rohingya fliehen ins benachbarte Bangladesch. Wie ist die Lage dort in den Camps?

Wer es sich leisten konnte, kaufte einen Platz auf einem Boot, um nach Bangladesch zu fliehen. Ein achtfacher Familienvater berichtete einer Medair-Mitarbeiterin, dass er seine gesamten Ersparnisse für Plätze für seine Familie hergegeben hat. In Myanmar verkaufte er in seinem kleinen Laden T-Shirts. Jetzt hat er selbst nur noch eines: Das, was er heute jeden Tag trägt. Doch die meisten Rohingyas liefen tagelang kilometerweit auf schlammigen Feldwegen. Sie trugen ihre Bündel mit Habseligkeiten auf den Schultern und ihre Kinder im Arm. Erschöpft und hungrig angekommen, leben sie in überfüllten Camps. Aber die Mehrzahl haust einfach am Straßenrand, an verdreckten Flüssen oder Rinnsalen.

Was ist besonders besorgniserregend?

Unsere Mitarbeiter trafen Familien, die lediglich aus Bambusstöcken, etwas Holz und einer zerfetzten Plane einen Unterstand gezimmert haben. Wir sorgen uns besonders um Säuglinge und Kleinkinder, schwangere Frauen und ältere Menschen. Sie sind besonders gefährdet. Viele kamen schon krank an. Die hygienischen Bedingungen sind nicht nur in den Camps lebensbedrohlich. Fäkalien bedecken den Boden. Cholera- oder andere Krankheitsausbrüche drohen; die Impfraten gegen vermeidbare Krankheiten sind niedrig. Auch haben Medair-Helfer Kinder gesehen, die akut unterernährt sind. Andere leiden an Infekten, Fieber und Durchfällen.

Die hygienischen Bedingungen in den Camps sind lebensbedrohlich Foto: Medair/Nath Fauveau
Die hygienischen Bedingungen in den Camps sind lebensbedrohlich

Kümmert sich die Regierung von Bangladesch oder sind die Flüchtlinge sich selbst überlassen?

Bereits vor dem jüngsten Flüchtlingsstrom lebten in Bangladesch 600.000 Rohingyas. Das Land hat nun auch diese neuen Angehörigen aufgenommen. Es gibt formale Lager. Mindestens verdoppelt hat sich die Zahl der Menschen in den bestehenden Lagern. Ein Großteil lebt daher in provisorischen Camps und Ansiedlungen, die spontan entstanden sind. Die Regierung stellt neues Land zur Verfügung, doch ist Bangladesch mit der Versorgung der Menschen überlastet. Cox‘s Bazar, wohin die meisten geflüchtet sind, ist eine der ärmsten Regionen. Das schlechte Straßennetz erschwert die Versorgung.

Helfen sich die Menschen untereinander?

Geflüchtete berichten uns, dass die einheimische Bevölkerung sie auch spontan unterstützt. Leerstehende Zimmer werden zur Verfügung gestellt, es wird Essen verteilt oder auf anderem Weg Solidarität gezeigt. Daher wird auch die Unterstützung der gastgebenden Gemeinden bei der Bewältigung des Flüchtlingsstroms nötig sein.

Wie hilft Medair vor Ort?

Medair ist spezialisiert auf Krisen- und Notfallhilfe. Wir wollen Lücken schließen, dort, wo Menschen unversorgt sind. Innerhalb weniger Tage wurde ein Notfallteam aus erfahrenen Experten im Bereich Logistik, Gesundheit und Ernährung, WASH (Wasser, sanitäre Anlagen und Hygiene) nach Cox‘s Bazar entsandt. Es verschaffte sich bei mehrtägigen Rundgängen durch Camps ein Bild der Lage und ermittelte, welche Hilfe wo am dringendsten gebraucht wird. So gibt es in einem Lager mit etwa 50.000 Menschen nur wenige funktionierende Wasserstellen und gerade zwei Toiletten.

Kooperieren Sie mit anderen Organisationen?

Wir stehen in engem Kontakt zu den UN-Organisationen und anderen Hilfsorganisationen für die Koordinierung. Mit unserem Partner World Concern verteilen wir in einer Region in Cox‘s Bazar Unterkunftsgüter und Hygieneartikel. Anfang der Woche ist ein deutscher Mitarbeiter im Krisengebiet angekommen. Wir sind derzeit in der ersten Nothilfephase, die wir – je nachdem, ob wir über die Mittel verfügen – ausweiten wollen. Akut unterernährte Kinder müssen fachmännisch behandelt und die Wasserversorgung und sanitäre Situation verbessert werden. Eine Herausforderung für Helfer ist auch, die Menschen zu finden, die bislang noch keine Hilfe erhalten haben – damit sie nicht vergessen werden.

Kümmert sich die Regierung von Bangladesch oder sind die Flüchtlinge sich selbst überlassen?

Bereits vor dem jüngsten Flüchtlingsstrom lebten in Bangladesch 600.000 Rohingyas. Das Land hat nun auch diese neuen Angehörigen aufgenommen. Es gibt formale Lager. Mindestens verdoppelt hat sich die Zahl der Menschen in den bestehenden Lagern. Ein Großteil lebt daher in provisorischen Camps und Ansiedlungen, die spontan entstanden sind. Die Regierung stellt neues Land zur Verfügung, doch ist Bangladesch mit der Versorgung der Menschen überlastet. Cox‘s Bazar, wohin die meisten geflüchtet sind, ist eine der ärmsten Regionen. Das schlechte Straßennetz erschwert die Versorgung.

Helfen sich die Menschen untereinander?

Geflüchtete berichten uns, dass die einheimische Bevölkerung sie auch spontan unterstützt. Leerstehende Zimmer werden zur Verfügung gestellt, es wird Essen verteilt oder auf anderem Weg Solidarität gezeigt. Daher wird auch die Unterstützung der gastgebenden Gemeinden bei der Bewältigung des Flüchtlingsstroms nötig sein.

Wie hilft Medair vor Ort?

Medair ist spezialisiert auf Krisen- und Notfallhilfe. Wir wollen Lücken schließen, dort, wo Menschen unversorgt sind. Innerhalb weniger Tage wurde ein Notfallteam aus erfahrenen Experten im Bereich Logistik, Gesundheit und Ernährung, WASH (Wasser, sanitäre Anlagen und Hygiene) nach Cox‘s Bazar entsandt. Es verschaffte sich bei mehrtägigen Rundgängen durch Camps ein Bild der Lage und ermittelte, welche Hilfe wo am dringendsten gebraucht wird. So gibt es in einem Lager mit etwa 50.000 Menschen nur wenige funktionierende Wasserstellen und gerade zwei Toiletten.

Kooperieren Sie mit anderen Organisationen?

Wir stehen in engem Kontakt zu den UN-Organisationen und anderen Hilfsorganisationen für die Koordinierung. Mit unserem Partner World Concern verteilen wir in einer Region in Cox‘s Bazar Unterkunftsgüter und Hygieneartikel. Anfang der Woche ist ein deutscher Mitarbeiter im Krisengebiet angekommen. Wir sind derzeit in der ersten Nothilfephase, die wir – je nachdem, ob wir über die Mittel verfügen – ausweiten wollen. Akut unterernährte Kinder müssen fachmännisch behandelt und die Wasserversorgung und sanitäre Situation verbessert werden. Eine Herausforderung für Helfer ist auch, die Menschen zu finden, die bislang noch keine Hilfe erhalten haben – damit sie nicht vergessen werden.

Mehrere hunderttausend Rohingya flohen aus ihrer Heimat Myanmar nach Bangladesch Foto: Medair/Nath Fauveau
Mehrere hunderttausend Rohingya flohen aus ihrer Heimat Myanmar nach Bangladesch

Was benötigen die Menschen am meisten?

Unterkünfte und Toiletten, sauberes Trinkwasser, Hygieneartikel, aber auch Kochutensilien wie Töpfe, Teller, Tassen, Nahrung und medizinische Versorgung. Ihre Not ist überwältigend. Sie brauchen einfach alles. Gerade ist Monsunzeit mit heftigen Regenfällen. Die verzweifelten Familien brauchen schlichtweg das, was jeder zum Überleben braucht. Laut den Vereinten Nationen hat etwa die Hälfte der Flüchtlinge in Bangladesch keine feste Unterkunft.

Was benötigen die Menschen am meisten?

Unterkünfte und Toiletten, sauberes Trinkwasser, Hygieneartikel, aber auch Kochutensilien wie Töpfe, Teller, Tassen, Nahrung und medizinische Versorgung. Ihre Not ist überwältigend. Sie brauchen einfach alles. Gerade ist Monsunzeit mit heftigen Regenfällen. Die verzweifelten Familien brauchen schlichtweg das, was jeder zum Überleben braucht. Laut den Vereinten Nationen hat etwa die Hälfte der Flüchtlinge in Bangladesch keine feste Unterkunft.

Wie versucht Medair, den Menschen Hoffnung zu geben?

Die Menschen haben Schreckliches, Traumatisches erlebt und alles verloren. Sie haben Angehörige sterben sehen oder wurden getrennt – und jetzt wissen sie schlichtweg nicht, wie ihre Zukunft aussieht. In solch einer Notlage ringen selbst erfahrene Helfer mit den Bildern von menschlichem Leid. Sie hören schreckliche Geschichten. Hoffnung geben hat unterschiedliche Facetten. Einerseits ganz praktisch mit Hilfsgütern. Aber andererseits auch in der Art, wie wir den Menschen begegnen. So bedankte sich ein alter Mann bei einer Medair-Mitarbeiterin, dass sie bei ihm stehengeblieben ist, ihm zugehört, sich Zeit genommen hat. Er sagte: „Ich danke euch, dass ihr gekommen seid. Danke, dass ihr mich mit Respekt behandelt.“ Selbst, wenn wir nicht alle Probleme lösen können: Wir geben den Menschen mit jeder Tat die Zuversicht, dass sie nicht vergessen sind, – und damit ein Stück Würde zurück. Das ist jede Extrameile wert!

Wie können Menschen von hier aus helfen?

Medair kann nur handeln, wenn wir über die flexiblen Mittel für einen Notfalleinsatz verfügen. Wer das Leid der geflüchteten Familien lindern möchte, kann an Medair spenden – und damit gemeinsam mit uns helfen. Genauso wichtig ist es, dass diese Krise nicht in Vergessenheit gerät. Das geschieht, wenn die mediale Aufmerksamkeit verschwindet. Über unsere Sozialen Netzwerke wie Facebook posten wir regelmäßig Updates. Jeder geteilte Post ist eine Tat gegen das Vergessen. Als christliche Organisation treibt uns die Liebe Gottes zu allen Menschen an. Sie ist der Motor für unser Handeln. Jesu Beispiel in praktischer Nächstenliebe ist daher nicht nur ein Vorbild für uns: Es ist eine Verpflichtung! Daher bitten wir auch um Gebet für die Helfer. Sie geben in Krisenregionen ihr Bestes unter sehr schwierigen Bedingungen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Wie versucht Medair, den Menschen Hoffnung zu geben?

Die Menschen haben Schreckliches, Traumatisches erlebt und alles verloren. Sie haben Angehörige sterben sehen oder wurden getrennt – und jetzt wissen sie schlichtweg nicht, wie ihre Zukunft aussieht. In solch einer Notlage ringen selbst erfahrene Helfer mit den Bildern von menschlichem Leid. Sie hören schreckliche Geschichten. Hoffnung geben hat unterschiedliche Facetten. Einerseits ganz praktisch mit Hilfsgütern. Aber andererseits auch in der Art, wie wir den Menschen begegnen. So bedankte sich ein alter Mann bei einer Medair-Mitarbeiterin, dass sie bei ihm stehengeblieben ist, ihm zugehört, sich Zeit genommen hat. Er sagte: „Ich danke euch, dass ihr gekommen seid. Danke, dass ihr mich mit Respekt behandelt.“ Selbst, wenn wir nicht alle Probleme lösen können: Wir geben den Menschen mit jeder Tat die Zuversicht, dass sie nicht vergessen sind, – und damit ein Stück Würde zurück. Das ist jede Extrameile wert!

Wie können Menschen von hier aus helfen?

Medair kann nur handeln, wenn wir über die flexiblen Mittel für einen Notfalleinsatz verfügen. Wer das Leid der geflüchteten Familien lindern möchte, kann an Medair spenden – und damit gemeinsam mit uns helfen. Genauso wichtig ist es, dass diese Krise nicht in Vergessenheit gerät. Das geschieht, wenn die mediale Aufmerksamkeit verschwindet. Über unsere Sozialen Netzwerke wie Facebook posten wir regelmäßig Updates. Jeder geteilte Post ist eine Tat gegen das Vergessen. Als christliche Organisation treibt uns die Liebe Gottes zu allen Menschen an. Sie ist der Motor für unser Handeln. Jesu Beispiel in praktischer Nächstenliebe ist daher nicht nur ein Vorbild für uns: Es ist eine Verpflichtung! Daher bitten wir auch um Gebet für die Helfer. Sie geben in Krisenregionen ihr Bestes unter sehr schwierigen Bedingungen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Swanhild Zacharias

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