Manfred Siebald: Der Balance-Künstler

Der christliche Liedermacher und Literaturprofessor Manfred Siebald fühlt in sich „die Spannung zwischen verschiedenen Begabungen“. Ob die Balance, die er gefunden hat, gut war, möchte er irgendwann einmal von Gott wissen. Am 26. Oktober wird der bescheidene Wortartist 70 Jahre alt.
Von PRO
„Ich wünsche dir den schönsten Montagnachmittag der gesamten Woche.“ Sätze wie diesen ruft Manfred Siebald schon mal durch eine Bürotür in seinem Institut. Er möchte für gute Laune sorgen und fühlt sich heute manchmal als „Hofnarr vom Dienst“.

Dewey besiegt Truman“, heißt die Schlagzeile der Chicago Tribune vom 3. November 1948. Gewisse Berühmtheit hat sie deswegen erlangt, weil die Nachricht, Dewey habe die Präsidentschaftswahl gewonnen, zwar brandaktuell war, aber dummerweise falsch. Truman hatte gewonnen, obwohl das niemand erwartet hatte. Fast 70 Jahre danach gab es einen ebenso überraschenden Wahlsieger in den Vereinigten Staaten. Es sind wohl unzählige politische Nachrufe auf Donald Trump unveröffentlicht in den Schubladen von Journalisten beerdigt worden, als der Twitterkönig die Präsidentschaft gewann.

„Absolut überrascht“ habe ihn Trumps Sieg, sagt Manfred Siebald, der bis 2012 als Professor für Amerikanistik an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz lehrte. Beim Thema „Trump“ wird der sonst zurückhaltend wirkende Mann leidenschaftlich: „Ich halte Trump für eine ausgemachte Katastrophe!“, sagt er, denn: „Er hat eines der höchsten Güter des christlichen Glaubens, die Wahrheit, zu seinem Spielzeug gemacht und damit in der Öffentlichkeit entwertet.“ Dass Trump aktuellen Berechnungen zufolge mindes-tens fünf publizierte Lügen pro Tag von sich gebe, empört den schlanken Mann. Für ihn ist Integrität wichtig. Er selbst versuche sich in seinen verschiedenen Rollen als Ehemann, Vater, Musiker und Akademiker treu zu bleiben. „Auf der Bühne bin ich derselbe wie im Hörsaal.“

Siebald ist, genau eine Woche vor Trumans historischem Wahltriumph, im hessischen Alheim zur Welt gekommen. Am 26. Oktober feiert er seinen siebzigsten Geburtstag. Den möchte er stressfrei begehen, erzählt er. Die Beine übereinandergeschlagen sitzt er lässig, in schwarzem T-Shirt, schwarzen Jeans und schwarzen Sneakers, auf einem bordeauxroten Zweisitzersofa. Die Doppelhaushälfte, die Siebald mit seiner Frau Christine bewohnt, strahlt Behaglichkeit aus. Alte Bücherschätze und unzählige CDs stapeln sich in Regalen, eine antike Uhr hängt an der Wand, ein edler Tropfen steht auf dem Schrank. Bilder zeitgenössischer Künstler zieren das Wohnzimmer und deuten darauf hin, dass hier Feingeister zu Hause sind.

Manfred Siebald über prominente Jahrgangsgenossen:

  • Prinz Charles: „Tragische Figur der britischen Geschichte, die nicht immer überlegt, bevor sie redet. Aber ich hätte ihm gewünscht, dass er König geworden wäre.“

  • Otto Waalkes: „Hat mich unglaublich zum Lachen gebracht. Seine Querdenke und sein gespieltes Erstaunen über Idiotien sind sehr erfrischend. Hat meinen Humor beeinflusst.“

  • Jörg Wontorra: „Angenehmes Gesicht im Fernsehen, der mir in seinen Sendungen manche sportlichen Dinge erklärt hat.“

  • Joschka Fischer: „Von Gott geliebter Mensch, der mich manchmal aufgeregt hat in der Art, wie er sich selbst überschätzte. Hat aber auch manche respektablen Dinge bewegt.“

  • Andrew Lloyd Webber: „Große Bewunderung für einen unglaublich fleißigen Menschen mit großem Gespür für Stoffe und einigen Jahrhundert-Melodien. Über sein Musical ‚Cats‘ habe ich meine Antrittsvorlesung in Mainz gehalten. Hat übrigens mit einem frommen Musical, ‚Joseph and the Amazing Technicolor Dreamcoat‘, begonnen.“

  • Alice Cooper: „Nicht meine Art von Musik, und seine schaurigen Bühnenpräsentationen gehen nicht an mich ran. Ist wohl Kirchgänger und ein betender Mensch, aber mit seiner kommerziellen Satanistenrolle kann ich nichts anfangen.“

  • Ozzy Osborne: „Siehe Alice Cooper, wobei ich nicht weiß, zu wem genau Ozzy Osborne betet. Aber für alle gilt: Der Mensch sieht, was vor Augen ist, Gott sieht das Herz an.“

Gottesgeschenke im Alltag wahrnehmen

Dabei scheint Gemütlichkeit so gar nicht zu Siebald zu passen: Über 100 wissenschaftliche Veröffentlichungen gehen auf sein Konto. Und als wäre das allein kein Vollzeitjob, hat Siebald im Lauf seines Lebens über 400 Lieder geschrieben, 22 Studioalben, eine Live-CD, diverse Sampler und drei Chor-CDs herausgebracht. Mindestens 3.000 Mal stand er als Solist auf der Bühne, und ein Blick in seinen Terminkalender verrät, dass er keineswegs ans Aufhören denkt: Bis Ende 2019 sind viele Wochenenden bereits mit Konzerten verplant. Siebald spielt seine Termindichte herunter. Gott habe ihm schlicht Gaben und Gelegenheiten gegeben, Lieder zu verfassen und wissenschaftlich zu arbeiten. Zuweilen fühle er sich hin- und hergerissen zwischen den verschiedenen Begabungen. Denn zu jeder Gabe gehört für ihn eine Aufgabe. Er hoffe, er habe weder den Liederschreiber noch den Amerikanisten noch den Familienvater vernach­lässigt. „Ich versuche der Mensch zu werden, den Gott sich gedacht hat. Ich bin es längst noch nicht.“

Der wohl größte Medien-Aufreger in Manfred Siebalds Geburtsjahr: Die amerikanische Zeitung Chicago Tribune hatte den unterlegenen Präsidentschaftskandidaten voreilig zum Wahlsieger gekürt. Foto: wikipedia, gemeinfrei
Der wohl größte Medien-Aufreger in Manfred Siebalds Geburtsjahr: Die amerikanische Zeitung Chicago Tribune hatte den unterlegenen Präsidentschaftskandidaten voreilig zum Wahlsieger gekürt.

Dabei ist Siebald schon lange Christ. In seiner Kindheit erkrankte seine Mutter an Krebs. Dass sie durch ein Wunder – so die Ärzte – gesund und letztlich 91 Jahre alt wurde, ist für den Musiker und Professor immer noch ein Grund zum Staunen. Die Krankheit der Mutter brachte die Familie damals zum Beten. „So hat mein Glaube angefangen“, erzählt er. Auch von weiteren himmlischen Überraschungen kann Siebald berichten: Er und seine Frau waren schon elf Jahre verheiratet, als ihr heute dreiunddreißig Jahre alter Sohn zur Welt kam. Doch Siebald nimmt nicht nur die großen Gottesgeschenke wahr: „Ich habe den ganzen Tag Gründe zur Freude. Allein, wenn ich eine Libelle beobachten darf, die über unserem Miniteich in der Luft steht, ist das für mich ein kleines Fest.“

Großzügiger Geber und Träger des Bundesverdienstkreuzes

Weil er seine kompletten Konzerteinnahmen an verschiedene Organisationen und Missionswerke spendet, und weil auch seine Frau als Ärztin ausschließlich ehrenamtlich für die Hilfsorganisation humedica tätig ist, hat das Ehepaar vor zehn Jahren zwei Bundesverdienstkreuze verliehen bekommen. Ob ihn das stolz macht? „Nein“, ist die schlichte Antwort des Mannes, der sich herausragend ums Gemeinwohl verdient gemacht hat. Ihn treibe vielmehr der „vor ihm hergehende Jesus“ an. Siebald zögert, überdenkt seine Worte und korrigiert sich: „Jesus zieht mich mit“, verbessert er dann. „Antreiben“ – das klinge nach Zwang, und den gebe es bei Jesus nicht.

Siebald legt Wert auf präzise Formulierungen. Worte sind für ihn etwas Kostbares, Filigranes. Er wählt sie behutsam aus und fügt sie sorgfältig zusammen. Deswegen braucht er für einen Liedtext auch meistens viele Monate, bis er damit zufrieden ist. Unter seinen wohl populärsten Titeln: „Ins Wasser fällt ein Stein“, „Geh unter der Gnade“ und „Ich gehe weiter, nur ein wenig weiter“. Das letztgenannte Lied hat er schon über vielen Todesanzeigen gesehen, und sogar auf Grabsteinen. Siebald selbst trägt am liebsten seine neuesten Werke vor: „Das ist wie mit den jüngsten Kindern in einer Familie – die sind meist am interessantesten“, schmunzelt er.

Moderne Technik? Ein Muss für den Künstler

Leben ist für Siebald Lernen. „Ich will nie aufhören, sinnvolle Sachen zu lernen“, hat er sich vorgenommen. „Ich liebe zum Beispiel moderne Technik, wenn sie funktioniert und mir nicht ständig irgendwelche teuren Updates aufschwatzen will.“ In seinem Geburtsjahr, 1948, wurde die Fernbedienung erfunden. Absolut unverzichtbar, findet Siebald. „Sonst müsste ich ja jedes Mal zur CD-Anlage oder zum Fernseher rennen.“ Und weil er jeden Morgen zehn verschiedene amerikanische Nachrichtenportale und Zeitungen studiert, wäre das tatsächlich eine echte Rennerei.

Siebald mag sein Geburtsjahr. Nicht so sehr, weil da die FDP gegründet wurde; auf die Partei mit dem „Chamäleon-Gesicht“, wie er sagt, könnte er auch verzichten. Aber die Gründung Israels in dem Jahr findet er wichtig, zeige sie doch, dass „Gottes Volk wieder in seine Heimat gekommen“ sei. „Ich bin sehr froh, dass ich immer mit Israel Geburtstag feiern kann.“Dass in dem Jahr dem englischsprachigen Lyriker und Dramatiker T. S. Eliot der Literaturnobelpreis verliehen wurde, macht Siebald ebenfalls froh, denn der habe ihn literarisch geprägt und habe in seinem Spätwerk menschliches Verhalten gültig aus christlicher Perspektive beurteilt. Aus dem Stand zitiert der Professor aus Eliots Drama „Mord im Dom“: „The last temptation ist the greatest treason: To do the right deed for the wrong reason“ (Die letzte Versuchung ist der größte Verrat: Aus falschem Grund zu tun die rechte Tat).

„Ich habe den ganzen Tag Gründe zur Freude. Allein, wenn ich eine Libelle beobachten darf, die über unserem Miniteich in der Luft steht, ist das für mich ein kleines Fest.“

Diese Wahrheit lässt sich für Siebald in Donald Trumps Rhetorik und Politik beobachten. Und sie erklärt letztlich auch, warum ihn so viele amerikanische Evangelikale zum Präsidenten gewählt haben: „Sie haben die evangelische Ethik auf drei Felder, Abtreibung, Homosexualität und Israel, reduziert, haben ihm geglaubt, als er für sie wichtige Werte zu schützen versprach, aber die Augen für das geschlossen, wofür dieser Mensch sonst steht. Sie haben nicht seine Menschenverachtung und seine belegten sexuellen Übergriffe, nicht seine selbsterklärte unglaubliche Habgier und die anderen Kardinalsünden in seinem Verhalten wahrgenommen.“

Wetten gegen einen Sieg Donald Trumps

Das amerikanische Time-Magazin hatte 1948 den damaligen Überraschungssieger Truman zur „Person des Jahres“ gekürt. Siebald würde zu einer solchen Person heute Papst Franziskus ernennen. „Der vertritt die richtigen Werte, und er lebt sie. Anders als im Augenblick in den USA tätige Politiker.“ Diese weitere Spitze gegen den aktuellen Amtsinhaber kann er sich nicht verkneifen.

Ob Trump noch eine zweite Amtszeit für sich entscheiden werde? „Ich habe einige Wetten laufen, die mich sehr viel Geld kosten würden, wenn er tatsächlich noch einmal gewinnt. Ich hoffe und bete, dass er nicht nochmal Präsident wird, weil ich Amerika liebe.“

Dieser Text ist in der Ausgabe 5/2018 des Christlichen Medienmagazins pro erschienen. Bestellen Sie pro kostenlos hier.

Von: Stefanie Ramsperger

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