Theologe sieht „Züge des Irrwitzigen“ in Suizid-Debatte

Der Bochumer Theologieprofessor Günter Thomas hat gegen den Vorstoß von evangelischen Theologen argumentiert, dass kirchlich-diakonische Einrichtungen Sterbehilfe ermöglichen sollten. Unter anderem Diakonie-Präsident Ulrich Lilie hatte das vergangene Woche gefordert. Kein Mensch habe aus christlicher Sicht das Recht, über lebenswertes oder nicht lebenswertes Leben eines anderen zu entscheiden, erklärte Thomas.
Von PRO
Über den assistierten Suizid ist unter Theologen eine neue Debatte entbrannt

Schwere Vorwürfe erhebt der Theologieprofessor Günter Thomas gegen hochrangige evangelische Theologen, die sich vor einer Woche für die Möglichkeit von Sterbehilfe in kirchlich-diakonischen Einrichtungen ausgesprochen haben. Es trage geradezu „Züge des Irrwitzigen“, dass dieser Vorstoß inmitten der Corona-Krise publiziert worden sei, schreibt Thomas in einer am Sonntag veröffentlichten Stellungnahme. Während Mitarbeiter der Heime als Folge der Pandemie mit der Erschöpfung rängen, fielen ihnen protestantische Theologen in den Rücken, führt der an der Ruhr-Universität in Bochum lehrende Professor und württembergische evangelische Pfarrer aus.

Die vorgebrachte Idee lege „die Axt an die theologischen Grundlagen der Diakonie“, sagte Thomas. Auch der Suizid sei ein „Urteil über lebenswertes und nicht lebenswertes Leben“, zu dem aus christlicher Sicht kein Mensch das Recht und die Einsicht habe. Jeder Suizid sei deshalb „die Tragödie eines tödlichen Irrtums“. Mit einer kirchlichen Flankierung des assistierenden Suizids machten sich Seelsorger zu Verbündeten all derer, die einen den Tod wünschenden Menschen „so tödlich verletzt haben“, argumentiert der Theologe.

FAZ-Gastbeitrag forderte Möglichkeit des assistierten Suizids

Thomas befürchtet zudem einen Vertrauensverlust evangelischer Einrichtungen, sollten sie den Suizid unterstützen. Menschen müssten vertrauen können, dass sie auch dann, wenn sie sich in Not und Verzweiflung selbst nicht mehr trauen könnten, gut aufgehoben seien. Da kirchlich-diakonisches Handeln im Auftrag Gottes geschehe, müsse es sich an seinen Geboten orientieren.

Am Montag war in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein Gastbeitrag erschienen, der sich für die Möglichkeit des assistierten Suizids in evangelischen Einrichtungen ausspricht. Zu den Autoren gehören neben Diakonie-Präsident Ulrich Lilie der Theologe Reiner Anselm und die Theologin Isolde Karle sowie der hannoversche Landesbischof Ralf Meister, der Jurist Jacob Joussen und der Palliativmediziner Friedemann Nauck. Der Beitrag hatte eine Debatte entfacht. Die offizielle Haltung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) schließt organisierte Suizidassistenz bislang aus.

Auslöser für die Debatte über Sterbehilfe ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem vergangenen Februar. Die Verfassungsrichter hatten den Klagen von Sterbehilfeorganisationen, Ärzten und Einzelpersonen Recht gegeben, die sich gegen das 2015 verabschiedete Verbot organisierter – sogenannter geschäftsmäßiger – Hilfe bei der Selbsttötung richteten. Die Karlsruher Richter erklärten das entsprechende Gesetz für nichtig und begründeten das mit dem Recht auf selbstbestimmtes Sterben, das auch Dritten die Assistenz beim Suizid erlaube.

Hamburger Diakonie-Chef fordert offensive Debatte

Der Hamburger Diakonie-Chef Dirk Ahrens hat indes die Kirche dazu aufgefordert, die Debatte über Suizidassistenz in evangelischen Einrichtungen offensiv zu führen. „Momentan werden Positionen von leitenden Geistlichen hochgehalten, die vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts formuliert wurden. Das geht nicht mehr“, sagte der Leiter des Diakonischen Werks Hamburg dem Evangelischen Pressedienst (epd). Ahrens ist auch Vorsitzender des Ausschusses Diakonie im Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung.

Ahrens sagte, die von Lilie angestoßene Debatte werde gebraucht. Man dürfe nicht versuchen, „die Diskussion unter dem Tisch zu halten“. Die Menschen vor Ort in den diakonischen Einrichtungen müssten konkret mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts umgehen. „Als Leitende müssen wir ihnen dabei helfen“, sagte er. Nicht zuletzt durch das Verfassungsgerichtsurteil sähen sich Einrichtungen in der ambulanten Pflege, in den Pflegeheimen und Krankenhäusern immer wieder mit dem Wunsch konfrontiert, dass Menschen ihr Leben beenden wollen.

Von: epd

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