Nazi-Papst oder Heiliger? Zeit-Dossier über Pius XII.

Pius XII. war 1939 bis 1958 Papst, also auch während des Nationalsozialismus in Deutschland. Für die einen ist es der Papst, der angesichts des Leides der Juden eisern schwieg, andere wollen ihn möglichst bald heilig sprechen. Die Wochenzeitung Die Zeit dokumentiert eine erste Reise von Forschern in die Archive des Vatikans, um mehr Licht auf das Verhalten von Pius XII. während der Nazizeit zu werfen.
Von Jörn Schumacher
Pius XII. war Papst von 1939 bis 1958, also auch während der Nazi-Herrschaft in Deutschland. Hat er genug für verfolgte Juden getan, die bei ihm um Hilfe riefen?

Papst Pius XII., der mit bürgerlichen Namen Eugenio Pacelli hieß, wurde 1876 in Rom geboren. Weil er zum Nazi-Regime schwieg, gilt er als moralischer Versager. Für Kirchenkritiker war er ein Antisemit und Freund Deutschlands, oder: „Hitler’s Pope“, wie es im Dossier der Wochenzeitung Die Zeit heißt. Er war Vorlage für das Drama „Der Stellvertreter“ des deutschen Schriftstellers Rolf Hochhuth.

Dennoch gibt es auch eine andere Perspektive, die von Historikern vertreten wird: Papst Pius XII. habe immerhin die Rettung Tausender verfolgter Juden veranlasst. Als er 1958 starb, ehrte man ihn sogar in Israel. In Italien wird Pius XII. heute noch wie ein Heiliger verehrt. Viele behaupten, er sei ein besonderer Wohltäter der Juden gewesen, und wünschen sich, dass er heilig gesprochen wird.

Am 2. März 2020 öffnete der Vatikan die Akten aus dem Pontifikat Pius’ XII., und von diesem Tag an besuchte ein deutsches Forscherteam unter der Leitung des Kirchenhistorikers und katholischen Priesters Hubert Wolf diese Archive. Allerdings mussten diese wegen Corona nach einer Woche wieder geschlossen werden, was sie bis zum Sommer sind. „Mehr als 200.000 Schachteln allein im Vatikanischen Geheimarchiv (…) und noch einmal so viel Material in den Archiven andere vatikanischer Kongregationen und Behörden“, schreiben die Forscher in der Zeit.

Kein Protest gegen das „diabolische“ Deutschland

So ist beispielsweise nachweisbar, dass der Papst einen Bericht vom 27. September 1942 gelesen hatte, demzufolge im Warschauer Ghetto Juden massenhaft getötet werden. Im Bericht hieß es: „Während des vergangenen Monats sind allein in Lemberg an Ort und Stelle rund 50.000 Juden ermordet worden. Nach einem anderen Bericht wurden in Warschau 100.000 massakriert. Im ganzen Gebiet von Ostpolen einschließlich der besetzten russischen Gebiete ist kein einziger Jude mehr am Leben.“ Das Memorandum stammt von der Jewish Agency for Palestine. In Washington nahm man die Angelegenheit ernst und informierte deswegen den Vatikan. „Pius XII. las den Text tatsächlich noch am selben Tag“, heißt es in der ersten Zusammenfassung der Forscher. Auch von anderen Morden in ganz Europa wusste das Oberhaupt der Katholischen Kirche zu diesem Zeitpunkt. Doch wie aus den Unterlagen weiter hervorgeht, lehnte es der Papst ab, seinen Einfluss auf die Weltöffentlichkeit dafür zu verwenden, die Verbrechen der Nazis zu verhindern.

Kurz nachdem Pius XII. die Beschreibungen der nationalsozialistischen Verbrechen gelesen hatte, habe der Kardinalstaatssekretär Luigi Maglione in einer Aktennotiz festgehalten, dass es dennoch keine Informationen gebe, welche diese Nachrichten bestätigen könnten. Magliones Stellvertreter Giovanni Battista, der spätere Papst Paul VI., indes betonte, er wisse auch von anderen Berichten aus Polen über Massaker an Juden. Auch der Erzbischof der ukrainischen Stadt Lemberg, Andrej Szeptyzkyj, hatte bereits in einem Schreiben an Pius XII. von schlimmsten Gräueltaten an den Juden berichtet. Der Erzbischof bezeichnete die deutsche Besatzung sogar als „geradezu diabolisch“.

Misstrauen gegenüber Juden aus dem Osten

Wie aus den ersten Untersuchungen im Vatikan weiter hervorgeht, wollte sich der Heilige Stuhl trotz nachhaltiger Bitten der USA dem Protest gegenüber Nazi-Deutschland nicht anschließen. Offenbar zögerte man dort trotz mehrerer Berichte von den Gräueltaten der Nazis, diese als wahr zu akzeptieren. Stattdessen unterstellte man den berichtenden Juden zu lügen, da es, wie es im internen Bericht des Vatikan heißt, „auch unter den Juden leicht zu Übertreibung kommt …“. Der Berater des Papstes stellte damals indes fest: Den Juden und den Katholiken aus dem Osten könne man prinzipiell nicht trauen.

Die Experten resümieren: „Klar ist: Pius XII. hat von den Informationen über den Massenmord an den Juden durchaus Kenntnis genommen. Dennoch hat er sich dem Protest Großbritanniens, Russlands und der USA vom 17. Dezember 1942 nicht angeschlossen. Eine Woche später folgte jedoch seine berühmte Weihnachtsansprache per Radio, in der er von den Hunderttausenden sprach, die nur wegen ihrer ‚Nationalität oder Abstammung‘ dem Tod geweiht seien. Von den Juden war, trotz der Informationen, die Pius XII. spätestens seit Herbst 1942 vorlagen, nicht die Rede.“

Im Gespräch mit der Zeit-Autorin Evelyn Finger sagte der Kirchenhistoriker und Priester Hubert Wolf: „Wir haben jeder bestimmt fünf, sechs, sieben bislang unbekannte Schreiben gelesen, in denen Juden zwischen 1940 und 1945 den Papst anflehen, ihr Leben zu retten. Sie beschreiben ihre ausweglose Situation und bitten inständig um Hilfe. Das sind oft wohl die letzten Dokumente, die es von diesen Menschen gibt.“

Von: Jörn Schumacher

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