„Wir wollen keine Experten für Seenotrettung werden“

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) schickt ein Schiff zur Seenotrettung ins Mittelmeer. Die Reaktionen darauf sind freudig bis empört. pro hat Michael Diener, Mitglied des Rates der EKD und Präses des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes, mit der Kritik konfrontiert. Er verriet: Die Kirche denkt darüber nach, das Schiff an eine Organisation wie Seawatch zu übergeben.
Von PRO
Michael Diener ist Mitglied im Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland und war bis 2016 Vorsitzender der Deutschen Evangelischen Allianz

pro: Herr Diener, der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland hat laut seinem Vorsitzenden Heinrich Bedford-Strohm „einmütig“ beschlossen, gemeinsam mit anderen Organisationen ein Schiff zur Seenotrettung ins Mittelmeer zu entsenden. Wie haben Sie die Debatte dazu im Rat erlebt?

Michael Diener: Die große Einmütigkeit, von der der Ratsvorsitzende sprach, habe ich auch wahrgenommen. Wir sind uns bewusst, dass der Kauf und die Weitergabe eines Schiffes allein keine Probleme lösen. Das ist nur ein Puzzleteil eines großen Bildes, denn natürlich ist es auch wichtig, in den Herkunftsländern der Geflüchteten Hilfe zu leisten. Das geschieht bereits an vielen Stellen, etwa durch die Diakonie-Katastrophenhilfe und auch im evangelikalen Bereich. Wir haben im Rat über verschiedene Aspekte der Flüchtlingshilfe gesprochen, etwa die unzureichende Menschenrechtslage in Libyen und Tunesien, die ja immer als alternative Häfen genannt werden. Wir haben uns damit auseinandergesetzt, was geschieht, wenn unser Schiff möglicherweise schnell konfisziert würde, und was wir tun müssen, um Menschen an Bord eine Perspektive zu geben.

Dann lassen Sie uns an den Antworten auf diese Fragen teilhaben: Was tun Sie, wenn Ihr Schiff gezwungen ist, anzulegen, aber nirgendwo Einfahrt erhält?

Zunächst einmal beobachten wir, dass Schiffe mit Flüchtlingen an Bord letztlich immer anlegen. Zum anderen sehen wir, dass Italien bereits begonnen hat, Grundlinien seiner Flüchtlingspolitik zu ändern. Wir glauben und hoffen auf ein solidarisches Europa und wir wünschen uns, dass die private Seenotrettung langfristig wieder durch eine staatliche ersetzt werden kann.

Im Moment ist es noch nicht so weit. Was geschieht, wenn Sie als Kirche in die Lage kommen, gegen nationales Recht verstoßen zu müssen, so wie es Kapitänin Carola Rackete tat, als sie in einen italienischen Hafen einfuhr?

Es ist derzeit überhaupt nicht klar, ob Carola Rackete gegen nationales Recht verstoßen hat und inwiefern internationales Recht das nationale überbietet. Die EKD ist definitiv kein Experte für Seenotrettung und will auch keiner werden, auch wenn wir uns an dieser Stelle haben beraten lassen. Es ist deutlich geworden, dass wir das Schiff an eine Organisation übergeben wollen, die sich damit bereits beschäftigt hat. Seawatch käme zum Beispiel in Frage.

„Ein Urschrei christlicher Nächstenliebe“

Ist es Aufgabe der Kirche, zum politischen Aktivisten zu werden?

Was ist denn der Unterschied zwischen politisch sein und politischer Aktivist sein? Es ist doch auch in pietistischen und evangelikalen Kreisen ein unumstrittener Grundsatz, dass man Menschen in Not hilft. Wenn ich das Gleichnis des Barmherzigen Samariters anschaue, dann sehe ich dort ebenfalls einen politischen Aktivisten. Denn die Menschen um ihn herum halten nur fromme Reden, er aber tut etwas. Die Evangelische Kirche in Deutschland steht hinter dem Grundsatz, dass wir Menschen nicht ertrinken lassen. Punkt. Wir wissen um die Komplexität der Situation. Aber die vorhandene Not macht es erforderlich, dass wir ihr entgegentreten.

Der Theologe Ulrich Körtner hat im Magazin Zeitzeichen eine Kritik am Seenotrettungssschiff veröffentlicht. Er wirft Ihnen vor, mit dem Vorhaben das Schleppersystem zu unterstützen, illegale Einwanderung zu befördern und den Populismus in Europa zu befeuern. Was antworten Sie ihm?

Erst einmal finde ich es wichtig, dass wir über diese Fragen kontrovers diskutieren. Aber die drei genannten Faktoren werden allesamt unterschiedlich beurteilt. Es existieren zum Beispiel ganz unterschiedliche Untersuchungsergebnisse dazu, ob es einen sogenannten Pullfaktor durch private oder staatliche Seenotrettung gibt. In den Zeiten, als es keine Seenotrettung gab, gingen die Zahlen der Geflüchteten auf dem Mittelmeer nicht zurück. Offenbar machen sich die Menschen aufgrund ihrer Not auf den Weg – unabhängig davon, ob es Aussicht auf Rettung gibt oder nicht. Wir sehen das kriminelle Schlepperwesen und möchten, dass es entschieden bekämpft wird. Aber genau dazu braucht es eine andere Flüchtlingspolitik. Ich glaube auch nicht, dass es sich bei den Geflüchteten um illegale Einwanderer handelt. Es ist nicht illegal, dass Menschen sich auf den Weg begeben und um Hilfe bitten. Das hat es in der Geschichte Europas immer gegeben. Sobald Geflüchtete dann registriert sind, greift doch selbstverständlich eine Behandlung gemäß geltenden Rechts, seien es die Genfer Flüchtlingskonvention oder das Asylrecht.

Befördern Sie den Populismus?

Wir sind uns der Komplexität unseres Handelns bewusst. Aber diese exemplarische Aktion ist so etwas wie ein Urschrei christlicher Nächstenliebe. Wir sind bereit dazu, das den Menschen mit anderen Überzeugungen immer wieder zu erläutern. Und wir haben uns bewusst entschieden, die Aktion nicht aus Kirchensteuergeldern zu tragen, sondern durch Spenden. Denn wir wissen, dass es auch innerhalb der Kirche unterschiedliche Meinungen dazu gibt und wir wollen nicht dazu beitragen, dass sich die Stimmung weiter radikalisiert. Aber es muss uns als Kirche auch möglich sein, ein klares Statement abzugeben.

Ist es Aufgabe der Kirche, zum politischen Aktivisten zu werden?

Was ist denn der Unterschied zwischen politisch sein und politischer Aktivist sein? Es ist doch auch in pietistischen und evangelikalen Kreisen ein unumstrittener Grundsatz, dass man Menschen in Not hilft. Wenn ich das Gleichnis des Barmherzigen Samariters anschaue, dann sehe ich dort ebenfalls einen politischen Aktivisten. Denn die Menschen um ihn herum halten nur fromme Reden, er aber tut etwas. Die Evangelische Kirche in Deutschland steht hinter dem Grundsatz, dass wir Menschen nicht ertrinken lassen. Punkt. Wir wissen um die Komplexität der Situation. Aber die vorhandene Not macht es erforderlich, dass wir ihr entgegentreten.

Der Theologe Ulrich Körtner hat im Magazin Zeitzeichen eine Kritik am Seenotrettungssschiff veröffentlicht. Er wirft Ihnen vor, mit dem Vorhaben das Schleppersystem zu unterstützen, illegale Einwanderung zu befördern und den Populismus in Europa zu befeuern. Was antworten Sie ihm?

Erst einmal finde ich es wichtig, dass wir über diese Fragen kontrovers diskutieren. Aber die drei genannten Faktoren werden allesamt unterschiedlich beurteilt. Es existieren zum Beispiel ganz unterschiedliche Untersuchungsergebnisse dazu, ob es einen sogenannten Pullfaktor durch private oder staatliche Seenotrettung gibt. In den Zeiten, als es keine Seenotrettung gab, gingen die Zahlen der Geflüchteten auf dem Mittelmeer nicht zurück. Offenbar machen sich die Menschen aufgrund ihrer Not auf den Weg – unabhängig davon, ob es Aussicht auf Rettung gibt oder nicht. Wir sehen das kriminelle Schlepperwesen und möchten, dass es entschieden bekämpft wird. Aber genau dazu braucht es eine andere Flüchtlingspolitik. Ich glaube auch nicht, dass es sich bei den Geflüchteten um illegale Einwanderer handelt. Es ist nicht illegal, dass Menschen sich auf den Weg begeben und um Hilfe bitten. Das hat es in der Geschichte Europas immer gegeben. Sobald Geflüchtete dann registriert sind, greift doch selbstverständlich eine Behandlung gemäß geltenden Rechts, seien es die Genfer Flüchtlingskonvention oder das Asylrecht.

Befördern Sie den Populismus?

Wir sind uns der Komplexität unseres Handelns bewusst. Aber diese exemplarische Aktion ist so etwas wie ein Urschrei christlicher Nächstenliebe. Wir sind bereit dazu, das den Menschen mit anderen Überzeugungen immer wieder zu erläutern. Und wir haben uns bewusst entschieden, die Aktion nicht aus Kirchensteuergeldern zu tragen, sondern durch Spenden. Denn wir wissen, dass es auch innerhalb der Kirche unterschiedliche Meinungen dazu gibt und wir wollen nicht dazu beitragen, dass sich die Stimmung weiter radikalisiert. Aber es muss uns als Kirche auch möglich sein, ein klares Statement abzugeben.

„Keine einmütige Haltung in der Evangelischen Allianz“

Welche Reaktionen haben Sie mittlerweile zu dem Plan des Schiffskaufs erreicht, auch zum Beispiel aus Ihrem Gnadauer Verband?

Die positiven Rückmeldungen überwiegen bei weitem. Es gibt aber auch kritische Stimmen. Die Evangelische Allianz oder der Gnadauer Verband etwa haben in dieser Frage keine einmütige Haltung. Ich glaube, dass viele Menschen das ethische Dilemma sehen, es aber schwierig finden, dass unter den gegebenen Umständen damit eben auch das völlig inakzeptable Schleppersystem gefüttert wird. Das kann ich nachvollziehen. Schwierig wird es für mich da, wo in Sozialen Medien Ablehnung derart geäußert wird, dass man sehr schnell den Eindruck gewinnen kann, es gehe letztlich um eine Pauschalkritik am politischen Engagement der Kirche oder eine grundsätzliche Infragestellung von Zuwanderungspolitik. Da sind wir als Christen aufgerufen, zu widersprechen und zu sagen: Ja, man darf Zuwanderung kritisch sehen, aber wir müssen das unterscheiden von der Frage, ob wir Menschen helfen, die im Mittelmeer elendig ertrinken, weil sie ein besseres Leben suchen. Wir verhalten uns nicht dem Evangelium gemäß, wenn wir uns von Notleidenden abwenden. Deshalb hat lebendiger Glaube immer auch eine politische Dimension.

Herr Diener, vielen Dank für das Gespräch!

Welche Reaktionen haben Sie mittlerweile zu dem Plan des Schiffskaufs erreicht, auch zum Beispiel aus Ihrem Gnadauer Verband?

Die positiven Rückmeldungen überwiegen bei weitem. Es gibt aber auch kritische Stimmen. Die Evangelische Allianz oder der Gnadauer Verband etwa haben in dieser Frage keine einmütige Haltung. Ich glaube, dass viele Menschen das ethische Dilemma sehen, es aber schwierig finden, dass unter den gegebenen Umständen damit eben auch das völlig inakzeptable Schleppersystem gefüttert wird. Das kann ich nachvollziehen. Schwierig wird es für mich da, wo in Sozialen Medien Ablehnung derart geäußert wird, dass man sehr schnell den Eindruck gewinnen kann, es gehe letztlich um eine Pauschalkritik am politischen Engagement der Kirche oder eine grundsätzliche Infragestellung von Zuwanderungspolitik. Da sind wir als Christen aufgerufen, zu widersprechen und zu sagen: Ja, man darf Zuwanderung kritisch sehen, aber wir müssen das unterscheiden von der Frage, ob wir Menschen helfen, die im Mittelmeer elendig ertrinken, weil sie ein besseres Leben suchen. Wir verhalten uns nicht dem Evangelium gemäß, wenn wir uns von Notleidenden abwenden. Deshalb hat lebendiger Glaube immer auch eine politische Dimension.

Herr Diener, vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Anna Lutz

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