Was suchen Jugendliche in der Kirche, Herr Faix?

Jugendliche sind begeistert von Jesus, wollen Gott erleben und Kirche gestalten. Doch religiöse Absolutheitsansprüche, Abgrenzung und innerkirchliche Debatten sind ihnen ein Graus. Das sagt der Theologe Tobias Faix, einer der Referenten des Willow Creek Youngster Kongresses an diesem Wochenende in Erfurt. Er hat untersucht, wie religiöse Jugendliche ticken.
Von PRO
Tobias Faix hat erforscht, warum Jugendliche in die Kirche gehen und was sie dort suchen

pro: Was suchen Jugendliche, die heute in die Kirche gehen?

Tobias Faix: Die Kirche spielt für Jugendliche mit starker religiöser Affinität – wir nennen sie hochreligiös – eine große Rolle. Sie gehen in Gottesdienste, um dort Gott zu erleben, ihm zu begegnen, ihm die Ehre zu geben und um ihren Glauben zu stärken und Gemeinschaft zu erleben. Sie suchen eher moderne Gottesdienste, in denen ihre Lieder gesungen und ihre Sprache gesprochen wird, bevorzugen zugleich aber Kirchen, in denen sich verschiedene Generationen treffen. Der wichtigste Wert für sie ist Authentizität.

Finden sie das in ihren Kirchen?

Ungefähr fünfzig Prozent besuchen mehrere Gemeinden und verschiedene Gottesdienste auch unterschiedlicher Denominationen. Es geht ihnen im Gegensatz zu früheren Zeiten nicht mehr darum, ob eine bestimmte Glaubensrichtung die richtige oder falsche ist. Sie sind zum Beispiel nicht in erster Linie überzeugte Frei- oder Landeskirchler. Sondern sie gehen da hin, wo sie sich wohl und angenommen fühlen. Es ist wie beim Schengener Abkommen: So wie die Grenzen zwischen den Ländern wegfallen, fallen auch die konfessionellen Grenzen der Jugendlichen immer mehr weg.

Nennen Sie drei Dinge, die die Kirchen tun sollte, um junge Menschen zu erreichen.

Erstens: Sie müssen ihre Sprache sprechen. Es gibt einen starken Abbruch von Tradition und Theologie, auch in den Freikirchen. Ein Beispiel: Viele Jugendliche begreifen Mission als übergriffig. Wenn man sie aber fragt, wie sie ihren Glauben leben, dann sagen sie, dass sie gerne mit ihren nichtchristlichen Freunden darüber sprechen und sie gerne zu ihren christlichen Veranstaltungen einladen. Mission würden sie es aber nicht nennen. Die Begriffe haben sich verändert, auch weil sich das Gottesbild ebenfalls gewandelt hat: Während die Großeltern der heutigen Jugendlichen noch an einen eher zornigen, strafenden und heiligen Gott glaubten, betont die heutige Generation den liebenden Gott, den Vater, Hirten und Freund. Das ist einerseits schön, andererseits kennen diese Jugendlichen die heilige Seite Gottes kaum noch. Das hat Einfluss auf ihr Verständnis der Bibel und theologischer Begriffe. Zugleich bewerten die Jugendlichen seltener die Glaubenspraxis anderer. Früher gab es zum Beispiel Streit darum, ob es richtig ist, als Kind oder erst als Erwachsener getauft zu werden. Heute sagen die Jugendlichen: Jeder muss selbst wissen, wie er es handhabt.

Kirchen müssen also deutlicher erklären, was sie mit bestimmten theologischen Begriffen meinen. Was noch?

Zweitens: Sie müssen den Jugendlichen etwas zutrauen und ihnen Gestaltungsspielraum geben. Unter den hochreligiösen Jugendlichen machen die sogenannten „aufstrebenden Macher“ die größte Gruppe aus. Sie kennzeichnet, dass sie einerseits bereit sind, sich einzubringen, sie wollen etwas verändern, das ist ihnen sehr wichtig, und andererseits aber auch Spaß daran haben, zu helfen. Diesen Menschen müssen die Kirchen Raum geben. Drittens: Sie müssen die Jugendlichen dabei unterstützen, zu gestalten. Jugendliche in der Kirche haben nichts gegen Ältere. Sie wollen nur nicht bevormundet werden. Kirchen sollten einen Schutzraum für junge Menschen bieten, in dessen Grenzen sie sich ausprobieren können und dabei begleitet werden.

Bezeichnen junge Menschen sich selbst heute noch als evangelikal?

Das haben wir nicht abgefragt. Aber aus den Gesamtergebnissen und vor allem den Interviews können wir herauslesen, dass Jugendliche mit Kategorien wie evangelikal, postevangelikal oder liberal nicht viel anfangen können. Sie fragen nicht zuerst, zu welcher Denomination, Konfession oder Organisation jemand gehört. Wer heute mit Dachverbänden oder Organisationen Kirchenpolitik zu machen versucht, wird die Jugendlichen verlieren. Sie wollen keine Streitgespräche über den rechten Glauben führen. Wer aber mit ihnen inhaltlich an Glaubensthemen arbeitet und ihnen Mitsprachemöglichkeiten bei Themen gibt, die sie selbst betreffen, der wird sie gewinnen.

Die evangelikale Bewegung arbeitet sich am Thema Sexualethik ab, in der jüngeren Vergangenheit hat etwa der Umgang mit Homosexualität Abspaltungsbewegungen hervorgerufen. Bewegt das Thema auch Jugendliche?

Jeder etwa zweite hochreligiöse junge Mensch sagt, dass die Bibel gelebte Homosexualität als Sünde beschreibt. Diese Jugendlichen glauben zugleich aber nicht zwangsläufig, dass das Auswirkungen auf die Akzeptanz oder Mitarbeit Homosexueller in Gemeinden haben sollte. Nur 25 Prozent sind der Meinung, dass dies im Kontext der Gemeinde nicht ausgelebt werden sollte. Sie bringen scheinbar Gegensätzliches zusammen, wir nennen das Wertesynthese. Und dies kennzeichnet die ganze Generation, nicht nur die Christen, sondern fast alle Jugendlichen, wie die letzte Shell Jugendstudie gezeigt hat. In unserer Studie …

… „Generation Lobpreis und die Zukunft der Kirche“, für die Sie 2018 über 3.000 junge Menschen zwischen 14 und 29 Jahren befragt haben …

… da zitieren wir ein Mädchen namens Jessica: „Die Bibel sagt teilweise ganz klare Aussagen zu Homosexualität. Allerdings ist es auch oft Auslegungssache.“ Dieses Denken ist ganz typisch für diese Generation. Und zugleich herausfordernd für die Kirchen.

Es ist der Abschied von Absolutheitsansprüchen. Kann die Kirche das überleben?

Die Jugendlichen haben schon einen exklusiven Glauben und sind sich dessen auch sicher – aber nur für sich selbst. Sie lassen den Glauben der anderen stehen. Mission und Dialog sind keine Gegensätze mehr wie früher, sondern gehören zusammen. 73 Prozent der hochreligiösen Jugendlichen sagen, nur durch Jesus wird man gerettet. Das ist ein absolut exklusiver Glaubensanspruch. Fromme Christen der früheren Generation hätten hinzugefügt: Und wer nicht an Jesus glaubt, geht in die Hölle. Dieser Teil fällt bei der heutigen jungen Generation weg.

Wie wird die Kirche in 30 Jahren aussehen, wenn diese Jugendlichen die Verantwortung in der Kirche tragen?

Gut! Denn sie sind hochengagiert. 88 Prozent arbeiten ehrenamtlich in der Kirche mit. Sie wollen etwas verändern und finden Jesus toll. Die Frage ist: Werden sie Teil einer Kirche bleiben, die sich einerseits in Glaubensfragen ausdifferenziert und andererseits mit einem massiven Mitgliederschwund kämpft? Es steht fest: Diese Generation ist begeistert und engagiert, will eingreifen und mitmachen. Wer aber Kirche in Zeiten gesellschaftlicher Veränderungen zu einem Rückzugsort machen und von der Zivilgesellschaft abgrenzen will, der wird diese Jugendlichen verlieren. Wir brauchen eine Kirche, die nah bei den Menschen ist, neue Formate entwickelt, Mut hat, sie auszuprobieren, und die Rahmenbedingungen liefert, damit junge Menschen sich ausprobieren können mit ihrer Sprache, ihren Glaubensformen und ihrer Musik.

Herr Faix, vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Anna Lutz

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