„Jesus war kein Autor“

Der Protestantismus in Europa versteht das Christentum vor allem als Buchreligion, erklärte der evangelische Theologe Ingolf Ulrich Dalferth. Jesus habe jedoch direkt mit den Menschen gesprochen. Die alltägliche digitale Kommunikation komme dem viel näher als geschriebene Texte.
Von Jonathan Steinert
Die Bibel ist ein Buch, in ihren Texten offenbart sich Gottes Wort, erklärt der Theologe Ulrich Dalferth. Von Jesus selbst sind jedoch keine Texte überliefert.

Der Theologe und Religionsphilosoph Ingolf Ulrich Dalferth wirft dem Protestantismus vor, in eine „Gutenberg-Falle“ getappt zu sein und das Christentum zu einer reinen Buchreligion gemacht zu haben. Die Bibel sei an sich zunächst einmal ein Buch, sagte er in einem Interview der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) vom Dienstag. Aber die biblischen Texte offenbarten Gottes Wort und dienten zur Kommunikation des Evangeliums. Das berücksichtige die heutige historisch-kritisch geprägte Exegese im Gegensatz zu Luther nicht mehr, kritisiert Dalferth: „Sie befasst sich mit Texten. Luther hingegen wollte anhand der biblischen Texte Gottes Wort verstehen.“

Dalferth, der in der Tradition Karl Barths steht, in Tübingen, Frankfurt und Zürich Professor war und jetzt am Claremont Graduate College in Kalifornien lehrt, erklärte, Jesus sei selbst kein Autor gewesen, sondern habe persönlich mit den Menschen gesprochen. Digitale Kommunikation heute komme dem Alltagsgespräch viel näher als die schriftliche Hochkultur. „Gerade deshalb müssen wir uns viel stärker darauf besinnen, dass das Christentum aus direkter Kommunikation entspringt.“

Pfingstkirchen fordern Ökumene heraus

Gleichzeitig kritisierte Dalferth in dem Interview eine Theologie, die sich vorwiegend auf Erfahrungen fixiert. „Der Witz des Christentums liegt doch darin, dass es nicht an Erfahrungen anknüpft, sondern eine Gegengeschichte erzählt: Gott ist auch dort, wo er nicht erfahren wird. Jesus stirbt am Kreuz mit dem Schrei: ‚Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?‘“ Es sei wichtig, von dem „neuzeitlichen Modell“ wegzukommen, das alles „aus der eigenen Erfahrung plausibel“ zu machen versuche.

In den weltweit wachsenden Pfingstkirchen spielten jedoch geistliche Erfahrungen eine größere Rolle als in der evangelischen Theologie. Die gewinne ihre Erkenntnisse vor allem aus der Arbeit mit Texten der Bibel und habe keine Methoden, um „Erfahrungen des Geistes“ zu interpretieren. „In Deutschland missversteht man die Pfingstkirchen oft als Spielart des Evangelikalismus mit seinem fundamentalistischen Bibelverständnis. Dabei spielt die Bibel in den Pfingstkirchen höchstens am Rande eine Rolle“, sagte Dalferth. Wegen dieser unterschiedlichen Zugänge seien „nicht der Dialog unter den alteuropäischen Konfessionstraditionen, sondern die Pfingstkirchen (…) die ökumenische Herausforderung des 21. Jahrhunderts“.

Von: Jonathan Steinert

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