„‚Missionarische Ökumene‘ schließt auch die Katholiken mit ein“

Der Theologe Michael Herbst fordert Christen dazu auf, sich im Glauben weiterzuentwickeln, und wehrt sich dagegen, die Welt in schwarz und weiß einzuteilen. Langfristig hält er die „missionarische Ökumene“ für unabdingbar, um als Kirche in der Gesellschaft relevant zu bleiben.
Von PRO
Michael Herbst, geboren 1955 in Bielefeld, ist evangelischer Theologe und lehrt als Professor für Praktische Theologie an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald. Von 1984 bis 1992 war Herbst Vikar und anschließend Pfarrer in Münster. Schwerpunkt seiner Arbeit ist unter anderem der missionarische Gemeindeaufbau in den Landeskirchen. Herbst ist verheiratet und hat vier Kinder.

pro: Sie fordern „mündiges Christsein“. Was ist das?

Michael Herbst: Mündige Christen sind im Glauben erwachsen und können das, was auf sie einströmt, geistlich beurteilen. Sie sind auch in der Gemeinde fähig zu dem, was im NT „geistliche Unterscheidung“ heißt. Sie kennen ihre Stärken und Grenzen und bringen sich in Gemeinde und Gesellschaft als Christen ein. Sie haben auch ein differenziertes Bild vom Leben: Es ist nicht einfach alles „schwarz oder weiß“. Mündige Christen sorgen auch selbst für sich, für ihr Wachstum im Glauben und ihre Weiterentwicklung als Persönlichkeit.

Wie können wir Menschen mit dem Evangelium erreichen?

Der entscheidende Sprung in einer missionarischen Arbeit einer Gemeinde passiert, wenn sie lernt, missionarisch zu denken. Erster Schritt: Hören auf Gott. Hören auf meinen Kontext. Zweiter Schritt: Wo können wir Gemeinschaft mit Menschen knüpfen? Und wie können wir mit ihnen etwas tun, diese Community, diesen Ort, zu verbessern? Dritter Schritt: Wie sind wir jetzt authentische Christen, die Jesus bezeugen und zur Nachfolge einladen?

Welche Rolle spielen dabei die Medien?

Als Kirchen drohen wir die Digitalisierung zu verschlafen. Wir haben als Kirche noch nicht begriffen, dass wir hier vor einer Herausforderung stehen und eine große Chance haben, neue Wege zur Kommunikation des Evangeliums und zur Vernetzung untereinander und mit anderen zu haben. Ich kann es an einem ganz banalen Beispiel aus meinem Berufsfeld sagen: Nach 22 Jahren als Professor ist es mir vor kurzem zum ersten Mal passiert, dass ein Student seine Examensarbeit über Digitalisierung in der Kirche schreibt. Es wird zwar nie einen Ersatz geben für persönliche, leibhaftige Begegnung. Aber das muss kein Widerspruch dazu sein, sich der Digitalisierung mutig zu stellen.

Was macht die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) gut, was schlecht bei der Verkündigung des Evangeliums?

Ich bin leidenschaftlich dafür, dass wir alles in der EKD unterstützen, wo wir merken, da tut sich etwas bei einer neuen Offenheit in Richtung Mission. Aber es geht mir viel zu langsam. Wir sind als Kirche in einer entscheidenden Übergangsphase: Von einer Großorganisation zu einer Minderheitenkirche. Im Augenblick haben wir noch Ressourcen, haben Kontakte, haben noch Zugang zu Menschen und zur Öffentlichkeit. Wir müssten alles tun, um das dafür zu nutzen, uns missionarisch neu aufzustellen. Da ist immer noch viel „Zurückhaltung“. Andererseits: Durch das Zentrum „Mission in der Region“ gibt es nun im Kirchenamt eine Einrichtung, die keine andere Aufgabe hat, als darüber nachzudenken, wie wir in den Regionen unseres Landes besser missionarisch arbeiten können.

Wie kann die Landeskirche wieder mehr (junge) Menschen erreichen?

Sie wird erst mal begreifen müssen, dass sich das Alter unglaublich verändert hat. Ich bin Anfang sechzig. Das wäre vor einer Generation ein wirklich alter Mensch gewesen. Heute haben wir die sogenannten „jungen Alten“. Sie sind die stärkste Ressource für ehrenamtliches Mitarbeiten in der Kirche. Das muss noch begriffen werden.

Wie man jetzt jüngere Menschen erreichen kann, hat wieder mit der Fragen nach Digitalisierung und Medien zu tun. Es hat aber auch damit zu tun, wen man bei Konferenzen auf der Bühne sieht. Die Aufgabe der Protagonisten meiner Generation ist es, den jungen Leuten sozusagen „den roten Teppich auszurollen“, damit sie sehen: So ist es, in der Kirche aktiv zu sein. Und wir müssen mit ihnen überlegen: Welche Themen interessieren sie? Wie können wir zusammen ein Stück Welt (besser) gestalten?

Sollten Landes- und Freikirchen den Fokus stärker auf Verbindendes als Trennendes legen?

Natürlich gibt es Unterschiede zwischen Landes- und Freikirchen. Aber angesichts der Minderheitensituation der Christen in unserem Land tun wir gut daran, zu schauen, dass die, die Christus vertrauen und lieben und ihm in dieser Welt dienen wollen, eine tiefere Gemeinsamkeit verspüren als alles Trennende. Und dann streite ich mit Vergnügen mit einem FEGler über die richtige Form der Taufe. Am Ende der Tage zählt, dass wir gemeinsam vor Christus stehen und ihm in diesem Land dienen wollen. Und das Stichwort „missionarische Ökumene“ schließt auch die Katholiken mit ein.

Was wünschen Sie sich von der Kirche im Punkt Verkündigung?

Die Verkündigung ist es wert, dass wir unser Allerbestes geben. Dass wir eine Sprache finden, die Menschen verstehen. Dass wir erstklassiges Material brauchen und nutzen. Dass wir uns stundenlang in die Texte vertiefen. Ich glaube, dass Predigt auch in Zukunft eine enorme Rolle spielen wird. Dass sie gleichermaßen christuszentriert, humorvoll, lebensnah und authentisch sein sollte.

Dieser Text ist in der Ausgabe 3/2018 des Christlichen Medienmagazins pro erschienen. Bestellen Sie pro kostenlos hier.

Die Fragen stellte Swanhild Zacharias

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