De Maizière: „Das Internet braucht Regeln“

Innenminister Thomas de Maizière hat bei einer Podiumsdiskussion auf dem Kirchentag den aktuellen Gesetzesvorschlag der Bundesregierung verteidigt, demzufolge Facebook und Co. dazu verpflichtet werden, strafbare Inhalte zu löschen. Kritik daran wurde vor allem an einem Punkt laut.
Von Jonathan Steinert
Bundesinnenminster Thomas de Maizière hat auf dem Kirchentag mehrere Auftritte

Bei einer Podiumsdiskussion zum Thema Lüge und Wahrheit im Internet hat sich Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) für Recht und Ordnung im Netz ausgesprochen. Er verteidigte den aktuellen Gesetzesentwurf seines Kabinettskollegen, Justizminister Heiko Maas (SPD). Das Gesetz mit dem sperrigen Namen „Netzwerksdurchsetzungsgesetz“ sieht unter anderem vor, dass Plattformen wie Facebook rechtswidrige Inhalte, die Nutzer dort verbreiten, innerhalb von 24 Stunden bis einer Woche löschen müssen. Sonst drohen Schadensersatzforderungen von bis zu fünf Millionen Euro.

„Die erste Illusion beim Internet war: Jetzt kommt ein herrschaftsfreier Diskurs zustande; aus dem sollen sich alle raushalten, auch der Staat, da entsteht eine neue Freiheitsdimension“, sagte de Maizière. Die sei nicht so eingetreten. Stattdessen gebe es – neben Diskussionen und Austausch – im Internet Waffenhandel, Kinderpornografie und Meinungsmacht. „Deshalb gilt, dass Freiheit auch geordnet und geregelt werden muss, auch in der digitalen Welt“, sagte er.

Für besonders problematisch hält der Minister die Anonymität im Netz. Es sei mit dem Rechst- und Wertesystem der deutschen Gesellschaft „prinzipiell nicht vereinbar“, dass sich jemand auf diesen „Deckmantel“ verlasse und für seine Äußerungen nicht zur Verantwortung gezogen werden könne. Auch die Anbieter entsprechender Plattformen, seien nicht von der Verantwortung für die Äußerungen freizusprechen, die dort veröffentlicht würden. Das Internet sei rechtlich nicht anders zu behandeln als andere gesellschaftliche Bereiche auch. Deshalb sollten Menschen, die dort beleidigt oder verleumdet würden, auch einen Anspruch auf Unterlassung und Auskunft über den Urheber solcher Inhalte haben.

Sorge vor Selbstjustiz

Der netzpolitische Aktivist Markus Beckedahl hielt dagegen und verwies auf die Türkei: Dort könnten Journalisten nur im Schutz der Anonymität ihre Menschenrechte wahrnehmen. Das geplante Gesetz sei „gut gemeint, aber schlecht gemacht“. Die Durchsetzung von Recht werde privatisiert, wenn soziale Netzwerke selber entschieden, welche Inhalte sie löschen und welche nicht. „Wir befürchten, dass Facebook und Co. Richter und Henker spielen, was eigentlich Gerichte übernehmen sollten. Das tangiert die Meinungsfreiheit.“ Er wies darauf hin, dass es zum Teil sehr lange dauere und umfangreiche Prozesse brauche, bis entschieden sei, ob eine Äußerung rechtens war oder nicht. Als Beispiel nannte er das Schmähgedicht des Satirikers Jan Böhmermann über den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyep Erdogan.

Eine ähnliche Sorge äußerte der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen. Er halte es zwar für wichtig, dass die Plattformen zur Verantwortung gezogen würden. Jedoch sieht er in dem aktuellen Vorschlag ein „privatisiertes Anreizsystem zur Sofortlöschung“. Weil den Anbieter so hohe Schadensersatzforderungen drohten, könnte das dazu führen, dass sie Inhalte zu schnell löschten. „Plattformen wie Facebook sollten durch das Gesetz eigentlich an Macht verlieren, aber sie gewinnen an Macht, weil sie noch stärker zu Meinungsfiltern werden.“

„Kein Algorithmus für Nächstenliebe“

Der Wissenschaftler plädierte zudem dafür, viel mehr in Bildung zu investieren, um die Umgangsformen im Internet in den Griff zu bekommen. „Es gibt keinen Algorithmus für Nächstenliebe. Der eigene Wertekompass muss scharfgestellt werden. Das geschieht durch Bildung.“ Er sieht in den Prinzipien journalistischer Arbeit einen Maßstab, der auch für private Veröffentlichungen im Netz gelten sollte: die Frage nach glaubwürdigen Informationen und Quellen. „Im Kern des guten Journalismus liegt das Bildungsprogramm für die digitale Zukunft – eine redaktionelle Gesellschaft.“

Beckedahl forderte ebenfalls mehr Anstrengungen, die Fähigkeiten der Menschen im Umgang mit digitalen Medien zu fördern zu stärken. Weil jeder im Internet zum „Sender“ werden könne, brauche es Kenntnisse für diese Kommunikation, ebenso wie zu digitaler Sicherheit und dazu, wie sich Fakten und Quellen überprüfen ließen.

An der Podiumsdiskussion nahmen außerdem Ilka Brecht, Redaktionsleiterin und Moderatorin der ZDF-Sendung „Frontal 21“ sowie die Historikerin Ulinka Rublack teil. Das ZDF zeichnete die Diskussion auf.

Am Donnerstag gab es um zwölf Uhr auf dem ganzen Kirchentag eine Schweigeminute für die Menschen, die auf ihrer Flucht nach Europa ums Leben kamen. Dafür wurde die Podiumsdiskussion unterbrochen. Dabei kam es zu einem Zwischenfall, als ein Mann aus dem Publikum rief „Ich schweige nicht.“ Die Menschen kämen aus Afrika hierher, weil es ihnen schlecht gehe. Der Westen beute Afrika aus. Er wurde von Sicherheitskräften aus dem Saal geführt. (pro)

Von: jst

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