Als Friedrich Engels noch an Jesus glaubte

Vor 200 Jahren wurde Friedrich Engels als Sohn frommer, pietistischer Eltern in Wuppertal geboren. Bis in seine Jugendzeit vertrat er den christlichen Glauben eifrig. Dann wandte er sich anderen Philosophen zu und wurde schließlich mit Karl Marx ein Vordenker des Kommunismus.
Von PRO
Friedrich Engels im Jahr 1891

„Ich habe nicht um der Poesie willen geglaubt; ich habe geglaubt, weil ich einsah, so nicht mehr in den Tag hineinleben zu können, weil mich meine Sünden reuten, weil ich der Gemeinschaft mit Gott bedurfte.“ So heißt es in einem Brief, den Friedrich Engels (1820-1895) im Juli 1839 – gut zwei Jahre nach seiner Konfirmation – an seinen Wuppertaler Freund Friedrich Graeber von Bremen aus schrieb. Denn hierin hatte ihn sein Vater, der Wuppertaler Fabrikant gleichen Namens, im August 1838 zur kaufmännischen Lehre geschickt. Und hier begann auch die Phase, in der er sich endgültig vom pietistisch gefärbten Glauben seiner Eltern löste.

Dabei hatte Friedrich Engels noch 1836 – er war damals 15 oder 16 Jahre alt – fromm-erbauliche Verse wie diesen gedichtet: „Herr Jesu Christe, Gottes Sohn, / o steig herab von Deinem Thron / und rette meine Seele! / O komm mit Deiner Seligkeit, / Du Glanz der Vaterherrlichkeit. / Gib, dass ich Dich nur wähle! / Lieblich, herrlich, ohne Leide ist die Freude, wenn dort oben / wir Dich, unsern Heiland loben!“

Der junge Engels stand damals kurz vor seiner Konfirmation. Auch war gerade um diese Zeit der von ihm geliebte und verehrte Großvater Bernhard van Haar gestorben. Das alles mag neben der christlichen Sozialisation, die er in seinem moderat-pietistischen Elternhaus erfuhr, mit dazu beigetragen haben, dass er jene temporäre fromme Phase durchlebte. Dass es ihm aber gleichwohl ernst mit seinem Glauben war, das macht nicht zuletzt der oben zitierte Brief deutlich, in dem es übrigens weiter heißt: „Ich habe mein Liebstes auf der Stelle gern weggegeben, ich habe meine größten Freuden, meinen liebsten Umgang für Nichts geachtet, ich habe mich vor der Welt blamiert an allen Ecken.“

Dass Engels offensichtlich seinen Glauben damals auch missionarisch vertrat, darauf lässt auch ein Artikel schließen, den er wenige Monate später im „Telegraph für Deutschland“ veröffentlichte. In ihm bekannte er, dass er sich „wehmütigen Gefühls (…) an die glückliche Zeit“ erinnere, „wo man selbst noch kindlich glauben konnte (…), wo man von heiligem Eifer glühte gegen religiöse Freisinnigkeit – einem Eifer, über den man jetzt lächelt oder errötet.“

Fasziniert von Strauß und Hegel

1838 begann Engels seine kaufmännische Lehre beim Bremer Leinenexporteur Heinrich Leupold. Und der bergische Fabrikantensohn fühlte sich wohl in Bremen! Fern der väterlichen Aufsicht lebte es sich in der Hansestadt nicht schlecht. In seiner Freizeit las er jetzt Heinrich Heine und politisch anrüchige Schriften.

Den Ablösungsprozess vom Glauben seines Elternhauses verstärkte nicht zuletzt die Lektüre des „Leben Jesu“-Buches von David Friedrich Strauß. Es bestreitet die Gottessohnschaft Jesu sowie seine Wunder und Auferstehung. Und so kritisch Engels nun die Bibel sah, so unkritisch schwärmte er von dem Theologen und Philosophen Strauß. In einem Brief bekannte er: „Ich bin jetzt begeisterter Straußianer (…), ich verkrieche mich unter die Fittiche des genialen David Friedrich Strauß.“ Dann wiederum ist er von der Philosophie Hegels fasziniert. Dieser hatte gelehrt, dass eine ewige, absolute Vernunft, ein „Weltgeist“, den Weltprozess durchwalte. Prompt erklärt sich Engels zum „modernen Pantheisten“.

Zuvor hatte er bereits angefangen, gesellschaftskritische Texte zu veröffentlichen. Sein erster größerer publizistischer Artikel schlug in seinem Heimatort ein wie eine Bombe. Er erschien anonym in einer Artikelserie von sechs Folgen in „Telegraph für Deutschland“ im März und April 1839. Überschrieben war der Aufsatz mit der harmlos klingenden Überschrift „Briefe aus dem Wuppertal“. Scharf kritisiert der erst 18-jährige Engels in seinen Beiträgen das Verhalten der kapitalistischen Unternehmer und die sozialen Verhältnisse in seiner Heimatstadt. Gnadenlos zieht er über den bekannten Elberfelder Erweckungsprediger Friedrich Wilhelm Krummacher und die Pietisten her. Dass diese Artikel nicht frei von Karikierungen und Pauschalisierungen sind, weiß der Autor selbst. Sie litten – wie er später bekennt – „an Einseitigkeiten und halben Wahrheiten“.

Respekt vor Pietismus mit Talent

Und dann kommt jener gescholtene Krummacher im Juli 1840 höchtpersönlich nach Bremen! Zweimal predigt er in der dortigen St. Ansgarii-Kirche. Dabei zieht er gegen das rationalistische Christentum zu Felde. Als deren Hauptvertreter galt in Bremen Pfarrer Paniel. Der hält nun polemische Kontroverspredigten. In dem öffentlich ausgetragenen Kirchenstreit mischt sich auch Engels in Zeitungsbeiträgen ein.

Dabei fällt auf, dass der junge Ex-Pietist die ganze Hohlheit der „vernunftgemäßen“ Theologen, die Jesu Wunder auf natürliche Weise erklären wollten und aus seiner Lehre einen seichten Tugendkatalog machten, schonungslos demaskiert. Ja, er gibt sogar zu: „Man muss gestehen, dass der Pietismus sich diesmal mit mehr Geschicklichkeit benommen hat als seine Gegner. (…) Außerdem war auf Seiten des Pietismus diesmal auch das Talent. Ein Krummacher wird im Einzelnen manche Geschmacklosigkeit vorbringen, nie aber sich ganze Seiten lang in so nichtssagenden Redensarten umdrehen können, wie Paniel es tut.“

Der Verfasser ist Autor des Buchs „Fromme Eltern – unfromme Kinder? Lebensgeschichten großer Zweifler“. Es enthält die Glaubens- und Lebensschicksale von Heinz-Horst Deichmann, Friedrich Dürrenmatt, Friedrich Engels, Gudrun Ensslin, Vincent van Gogh, Julien Green, John Grisham und Hermann Hesse. edition chrismon, 232 Seiten, ISBN 9783960380450 Foto: edition chrismon
Der Verfasser ist Autor des Buchs „Fromme Eltern – unfromme Kinder? Lebensgeschichten großer Zweifler“. Es enthält die Glaubens- und Lebensschicksale von Heinz-Horst Deichmann, Friedrich Dürrenmatt, Friedrich Engels, Gudrun Ensslin, Vincent van Gogh, Julien Green, John Grisham und Hermann Hesse. edition chrismon, 232 Seiten, ISBN 9783960380450

Ein neuer Freund

Nach seiner im Frühjahr 1841 beendeten Bremer Lehrzeit und der Beschäftigung mit der Philosophie Ludwig Feuerbachs erklärt sich Engels offen zum Atheisten. Bevor er zur Absolvierung seines Militärdienstes nach Berlin übersiedelte, lebte er wieder für einige Monate bei seinen Eltern. Diesen blieb natürlich die Wandlung ihres Sohnes nicht verborgen, auch war ihnen mittlerweile bekannt, dass er der Urheber von politisch wie religiös brisanten Artikeln war. Kein Wunder also, dass das häusliche Zusammenleben mit ihm zu Konflikten und Spannungen führte.

So teilte dann auch Friedrich Engels sen. im Oktober 1842 einem Verwandten recht entnervt mit: „Ich danke (…) Dir herzlich für Deinen Brief und besonders für das, was Du mir über Friedrich gesagt hast. Es war mir nichts Neues, ich kenne von Kind an seine Neigung zu Extremen und war überzeugt, dass er (…) nicht bei dem Gewöhnlichen stehen bleiben würde. (…) Mit ihm streiten werde ich nicht, denn das würde nur zur Hartnäckigkeit führen und erbittern. Seine Bekehrung muss von oben kommen. Er hat, wie ich bestimmt weiß, bei der Konfirmation fromme Regungen gehabt, und ich bin der Zuversicht, dass ein Mensch, der einmal die Kraft des Wortes Gottes an seinem Herzen erfahren hat, auf die Dauer nicht mit den faden neuen Systemen ausreichen wird. (…) Bis dahin ist es schwer zu tragen, einen Sohn im Hause zu haben, der wie ein räudiges Schaf unter der Herde da steht und feindselig dem Glauben seiner Väter entgegentritt.“

1844 lernt Friedrich Engels Karl Marx kennen. Er verfasst mit seinem neuen Freund das „Kommunistische Manifest“ und wird selbst immer mehr zum „Missionar des Marxismus“.

Von: Matthias Hilbert

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