Debatte um islamisches Kopftuch bei Beamtinnen neu entfacht

Ist das Berliner Neutralitätsgesetz wirklich neutral oder diskriminiert es muslimische Frauen, die im Staatsdienst Kopftuch tragen möchten? Darüber diskutierten Grünen-Politikern Bettina Jarasch, CDU-Frau Cornelia Seibeld und die Juristin Maryam Kamil Abdulsalam bei der Evangelischen Akademie zu Berlin. Außerdem fällte das Bundesarbeitsgericht ein möglicherweise wegweisendes Urteil.
Von PRO
Darüber, ob Staatsbedienstete ein Kopftuch tragen dürfen oder nicht, gibt es Uneinigkeit (Symbolbild)

Zeitlich passend zur Podiumsdiskussion, die die Evangelische Akademie zu Berlin am Donnerstagabend unter dem Titel „Mehr als eine Kopftuchdebatte? Das Berliner Neutralitätsgesetz“ ausrichtete, fällte das Bundesarbeitsgericht in Erfurt am Donnerstag ein möglicherweise wegweisendes Urteil. Das Land Berlin dürfe einer muslimischen Bewerberin für eine Lehrerinnenstelle nicht pauschal das Tragen eines Kopftuches verbieten. Das Berliner Neutralitätsgesetz verbiete das Tragen religiöser oder weltanschaulicher Symbole im Schulunterricht pauschal. Das sei eine nicht hinzunehmende Diskriminierung, urteilte das Gericht. Die Erfurter Richter bestätigten damit ein Urteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) Berlin-Brandenburg. Außerdem sei das pauschale Verbot verfassungswidrig. Die Regelung könne aber verfassungskonform ausgelegt werden, wenn eine konkrete Gefahr vorliege wie zum Beispiel die Störung des Schulfriedens.

Geklagt hatte eine Diplominformatikerin, die Muslima ist und sich an einer Schule in Berlin als Lehrerin beworben hatte. Kurz nach dem Bewerbungsgespräch sei sie darauf hingewiesen worden, dass sie aus Gründen des Berliner Neutralitätsgesetzes im Schulunterricht kein islamisches Kopftuch tragen dürfe. Ausnahmen seien der Religionsunterricht oder Unterricht an beruflichen Schulen. Als die Frau ihr Kopftuch nicht ablegen wollte, wurde sie als Bewerberin abgelehnt. Nach ihrer Klage gab ihr in erster Instanz das LAG Recht und sie erhielt eine Entschädigung in Höhe von eineinhalb Monatsgehältern. Das Urteil bestätigte nun auch das Bundesarbeitsgericht.

„Eine Lehrerin muss ihre Religion nicht verbergen“

Die Juristin Maryam Kamil Abdulsalam von der Universität Bonn befürwortete in der Podiumsdiskussion der Evangelischen Akademie das gefällte Urteil. Es unterscheide zwischen Staat und Staatsbediensteten und betrachte die Schule so, dass diese die religiös-pluralistische Gesellschaft widerspiegeln solle. Das aktuelle Urteil sei außerdem ein wichtiges Signal, da es viele ähnliche Fälle gebe, die derzeit ruhten, sagte Abdulsalam.

Sie ging außerdem auf den juristischen Hintergrund des Berliner Neutralitätsgesetzes und des Begriffes Neutralität ein. Diese richte sich in erster Linie an den Staat und nicht an den Staatsbediensteten. Der Staat dürfe sich nicht mit einer Religion identifizieren, der oder die Staatsbedienstete hingegen schon. Das Ziel der Neutralität sei „gesellschaftlicher Frieden zur Freiheitsmaximierung aller“, sagte die Juristin. „Die Lehrerin darf in ihrer Berufsausübung ihre Religion anderen nicht aufdrängen. Sie muss sie aber in keinem Fall verbergen oder ablegen“, sagte Abdulsalam. Das sichere schon die verfassungsrechtlich festgeschriebene Religionsfreiheit und die Religionsausübungsfreiheit. Es gebe auch noch die negative Religionsfreiheit, also die Freiheit jedes Einzelnen, keinen religiösen Glauben zu haben. Man habe dadurch jedoch nicht das Recht, von Menschen, die ihre Religion ausüben, gänzlich verschont zu bleiben. Die religiös weltanschauliche Neutralität des Staates hingegen diene als Bedingung für den Schulfrieden. Nur so könne der staatliche Bildungsauftrag ausgeführt werden.

Grüne: Schule muss Kinder auf Multireligiosität vorbereiten

Als Gegnerin des Neutralitätsgesetzes führte die Juristin außerdem an, dass in allen anderen Bundesländern auch Lehrerinnen mit Kopftuch oder anderen religiösen Erkennungsmerkmalen in den Schuldienst einträten und keine nennbaren Probleme aufträten. In einem Land, das ursprünglich christlich geprägt sei, fielen Muslime und der Islam mehr auf als zum Beispiel Christen. Man dürfe einer Muslima, die Kopftuch trägt, aber nicht unterstellen, sie lasse sich in ihrem beruflichen Urteilsvermögen von ihrer Religion leiten, nur weil ihre Religiosität nach außen sichtbarer sei als zum Beispiel die eines Christen.

Bettina Jarasch, Grünen-Politikerin in Berlin und Sprecherin für Religionspolitik, Integration und Flucht, sprach sich ebenfalls gegen das Neutralitätsgesetz aus. Faktisch diskriminiere es muslimische Frauen und sei ein „Anti-Kopftuch-Gesetz“, weil es in der Praxis nur Fälle von Muslimas behandele. Im Hinblick auf die Signalwirkung, die eine Kopftuch tragende Lehrerin auf Schüler ausüben könne, sagte sie: „Frauen mit Kopftuch sind nicht per se unterdrückte Frauen oder politische Agentinnen. Viele sind akademisch gebildet mit großem Aufstiegswillen.“ Die Schule habe die Aufgabe, die Kinder auf eine multireligiöse Welt vorzubereiten. Das Neutralitätsgesetz bedeute, dass der Staat den gleichen Abstand zu allen Religionen halten muss. Es bedeute nicht, zu zeigen, dass es keine Religion gebe. Jarasch hält deshalb eine Novellierung des Gesetzes für nötig.

CDU: Islamisches Kopftuch vermittelt unvereinbare Geschlechterrollen

Cornelia Seibeld, Vizepräsidentin des Abgeordnetenhauses Berlin und integrations- und kirchenpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion, sprach sich für das Neutralitätsgesetz aus. Sie führte an, dass sich das Gesetz nicht nur auf Schulen beschränke, sondern für alle Staatsbediensteten in Berlin, zum Beispiel in der Justiz oder bei der Polizei, gelte. Häufig würden zum Beispiel Richter auch heute noch Roben tragen, um ihre Neutralität zu verdeutlichen. Die Individualität der Person sei auch ohne äußerliche Merkmale gegeben, da jeder Mensch unbewusst von seiner Prägung beeinflusst sei und es die absolute Objektivität nicht gebe.

Das islamische Kopftuch berge zudem mehr Konfliktpotenzial als das christliche Kreuz in heutiger Zeit, sagte die CDU-Frau. Außerdem kämen damit Geschlechterrollen zum Ausdruck, die nicht mit der westlichen Gesellschaft vereinbar seien, insbesondere für Mädchen. Es habe nicht nur religiösen Charakter, sondern vermittle ein bestimmtes Verhältnis von Männern und Frauen. Dies würden betroffene Lehrerinnen ihren Schülern vorleben. „Und gerade in den Grundschulen sind Lehrer extrem prägend für Kinder“, gab Seibeld zu bedenken. Sie befürchtete, dass viele Kinder nicht damit umgehen könnten, wenn ihnen eine Lehrerin mit Kopftuch gegenüberstände, insbesondere Kinder aus sozial schwachen Familien, in denen viele Eltern nicht unterstützend oder aufklärend wirkten. Bei muslimischen Kindern könne der Druck entstehen, ebenfalls ein Kopftuch tragen zu müssen, obwohl sie es selbst gar nicht wollten.

Jarasch hielt dagegen, dass eine Lehrerin, die selbst das islamische Kopftuch trage, viel glaubwürdiger gegenüber muslimischen Eltern auftrete als eine Kollegin ohne diese Prägung, wenn Eltern zum Beispiel ihr Kind zum Kopftuchtragen gegen seinen Willen verpflichten wollten. Sie könne mit den Eltern dann darüber reden. Es sei klar, dass die Lehrerin selbst die Kinder dahingehend nicht überzeugen oder missionieren dürfe, das fordere ihr Status als Beamtin. Zudem spiegelten Schulen, an denen es auch Kopftuch tragende Lehrerinnen gebe, die plurale Gesellschaft wieder und bereiteten die Kinder so auf ihr zukünftiges Leben vor. Vor allem im multireligiösen Berlin sei eine gegenteilige Einstellung weltfremd, denn die Kinder dort wüchsen sowieso in einer veränderten Wirklichkeit auf als früher.

Von: Swanhild Zacharias

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Eine Antwort

  1. Es ist für mich nicht nachvollziehbar, dass eine Muslima nur durch das Tragen eines Kopftuches ihre Bindung an ihre Religion zeigen kann. Auch gewinnt sie nicht per se durch das Tragen eines Kopftuchs das Vertrauen islamischer Eltern. Und es erscheint mir als eine heuchlerische Einstellung zu behaupten, dass Kinder sich gegen den Willen ihrer Eltern frei für eine bestimmte Verhaltensweise entscheiden können. Sie ist heuchlerisch insofern, als mit dem Verweis auf eine individuelle Entscheidungsfreiheit des Kindes das Problem individualisiert wird und ein gesellschaftsbezogener Lösungsansatz für die Sichtbarmachung von religionsbezogenem Zugehörigkeitsgefühl im hoheitlichen Handeln nicht angestrebt wird. Der Verweis auf andere Bundesländer ist in diesem Zusammenhang irrelevant, da auch dort diese religionbezogene Komponente nicht in der gebotenen politischen Verantwortungstiefe diskutiert wird.

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